Freitag, 24. Januar 2020

Mythos Gruabn – 100 Jahre Sturmplatz



Rezension

Martin Behr, Herbert Troger, Christian Wiedner (Hg.)
Mythos Gruabn
100 Jahre Sturmplatz
110 Jahre Sturm
Graz 2019 (SK Sturm Graz)
336 S.



Zum 100-jährigen Jubiläum der Grazer Gruabn gab es nicht nur eine sehenswerte Ausstellung sondern es erschien auch ein bemerkenswertes Buch, das sich mit der 100-jährigen Geschichte des Stadions und 110 Jahren Sturm Graz beschäftigt.

Beeindruckend ist die Fülle an atmosphärisch dichten Fotos. Hier konnte man im Buch u.a. auf die Bilder eines vom SK Sturm Graz angekauften Archivs des Grazer Sportfotografen Fischer zurückgreifen. Es ist ein wahrer Schatz. Spannend sind die Hinweise, dass die Quellenlage jüngst entdeckter Schriften der tradierten Geschichtsschreibung von einem ersten Fußballspiel in Graz im März 1894 widerspricht.
In chronologischen Kapiteln, unterbrochen von Spezialthemen und Zeitzeugenberichten, wird im Buch die Vereins- und Stadiongeschichte ausgebreitet. Man liest von der 1934 eröffneten Holztribüne, die den Charakter des Platzes bis heute so stark prägt. Man liest von der Schlacke, die lange den Untergrund des Spielfelds bildete bis 1958/59 der erste Rasen verlegt wurde.

Der Name Gruabn für den Sturmplatz taucht erst verhältnismäßig spät auf, erfährt man von Martin Behr. 1953 sprach Ernst Happel angesichts des Zustands des Spielfelds von einer „Lahmgruam“ (Lehmgrube). Die eigentliche Namensgebung wird auf den Sturm-Trainer Gerd Springer zurückgeführt, der 1969 den Namen prägte.

In den Zeitzeugenberichten kommen auch Gegner zu Wort, so der GAKler Walter Koleznik: „Mir taugte, wie es in der Gruabn rundging. Der Rummel fing schon vor Anpfiff an, wenn man als Spieler ganz nah an den Zuschauern die Stiege runter auf den Platz ging. Da stieg einem als Gegner schon die Gänsehaut auf. In Österreich war das einzigartig, am ehesten vergleichbar war vielleicht noch die Pfarrwiese von den Rapidlern in Hütteldorf. Aber Angst hatten wir Rote hier nicht, im Gegenteil, wir waren viel motivierter als anderswo. Und ich wusste mich schon auch zu wehren – sportlich sowieso, und manchmal winkte ich halt ein bisschen zurück auf die Tribüne.“

Das Thema des unsachgemäßen Umgangs mit Bier taucht im Buch öfters auf. Ein Polizist, der über Jahrzehnte bei Sturmspielen eingesetzt war, berichtet: „Wir hatten immer alles im Griff, von den Bierschüttern einmal abgesehen. Das Bierschütten hatte in der Gruabn Tradition. Besonders intensiv war es in der Südwestecke, denn in unmittelbarer Nähe der Gmeindl-Kantine funktionierte der Biernachschub am besten. Wir Polizisten mussten dort auch im Sommer unsere Regenmäntel tragen.“ Herbert Prohaska lobt die Stimmung, erzählt aber auch (wohl mit Schmunzeln): „Einmal war ich als Austria-Trainer in der Gruabn, und just als ich mich das erste Mal von der Trainerbank erhob, ergoss sich schon ein halber Liter Bier über meine damals neu gekaufte Jacke.“

Im Rahmen der chronologischen Abhandlung der Sturmplatz-Geschichte kommt natürlich auch der große Skandal von 1983 vor. Ein Rapid-Tor wurde nicht gegeben, da der Sturm-Tormann und ein Sturm-Ordner den Schiedsrichter überzeugten, dass der Ball von außen unter dem Tornetz hindurch hineingegangen wäre. Im Buch ist man von der rechtmäßigen Entscheidung überzeugt. In Zeiten des VAR jedenfalls ein Blick in eine vergangene Zeit. Ein anderes rapidgeschichtlich bemerkenswertes Ereignis gab es hier im Jahr darauf. 1984 wurde der erste Rauchtopf der Rapid-Fangeschichte im Fansektor in der Gruabn gezündet. Dies wird im Buch nicht berichtet, dafür gibt es allerdings eine gerade für den Außenstehenden lesenswerte und informationsreiche Darstellung zur Entstehung der Sturm-Fanszene in den 1990er Jahren (Ultras in der Gruabn von Georg Kleinschuster / GSF). Ein sehr schönes Bild gibt es weiter hinten im Buch: Ein vom markanten Hochhaus hinter dem Auswärtssektor aufgenommenes Luftbild von einer gesteckt vollen Gruabn beim Spiel-Sturm-Rapid im August 1996 mit Pyroshows auf beiden Seiten (wie damals noch üblich am Spielfeldrand vor dem Sektor).

Abschließend geht es im Buch um „Champions League und Konkurs“, die Jahre 1997 bis 2006, als Sturm im neuen Liebenauer Stadion spielte, Präsident Kartnig den Verein finanziell ruinierte und 2005 die bis dahin als Trainingsplatz und Amateurspielstätte genutzte Gruabn an die Stadt Graz verkaufte. Er hätte dafür einen Beschluss der Generalversammlung gebraucht, kümmerte sich aber nicht darum und für die Vereinsfinanzen brachte der Verlust der Traditions-Heimat auch keinen nachhaltigen Effekt. Die Stadt Graz verpachtet die Gruabn seither an den Grazer Sportklub Straßenbahn, dessen einst nahe Spielstätte abgerissen wurde. Das Buch beschäftigt sich aber nicht mit deren Geschichte sondern der weiteren Sturm-Geschichte bis 2019, mit Legendenspielen in der Gruabn und der Initiative für den Erhalt der Gruabn-Holztribüne.

Eines der besten Fußballbücher, die 2019 erschienen sind.

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