Mittwoch, 20. Juli 2022

Ferencváros – Slovan Bratislava 1:2 (0:0)

Champions League, 2. Qualifikationsrunde, Hinspiel, 20.7.2022
Ferencváros Stadion, 20.459

Heißes Spiel im Europacup, Vereinsfußball vermengt mit Nationalismus. Der ungarische Meister Ferencváros hatte lange mehr Ballbesitz, aber Chancen ergaben sich wenig. Der slowakische Meister Slovan Bratislava verteidigte gut, schließlich erzielte Ferencváros aber doch nach 70 Minuten das 1:0. Freuen konnte man sich über die Führung allerdings nur zehn Minuten, denn binnen fünf Minuten drehte Slovan den Spielstand.
Aufgrund der ungarisch-slowakischen nationalen Konfliktgeschichte der letzten etwas mehr als eineinhalb Jahrhunderte ist keine brisantere Begegnung denkbar als eine der jeweiligen größten Fußballvereine der beiden Länder. Vor dreißig Jahren stand man sich 1992 zuletzt im Europacup der Landesmeister gegenüber. Beim Hinspiel in Bratislava waren damals 8.000 Fradi-Drukker unter den über 30.000 Leuten im alten Štadión Tehelné Pole. Es bestand noch die Tschechoslowakei, aber die Slowakei war bereits in Begriff unabhängig zu werden (1993). Der große Auswärtsmob wurde in Bratislava vor diesem Hintergrund nicht nur als Ferencváros-Anhang sondern auch als ungarische Invasion in die Stadt und das Land gesehen, das bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 Teil Ungarns war. Die Polizei griff den Auswärtssektor brutal an und verletzte viele. Dieses Geschehen von 1992 ist daher in der Fradi-Fangeschichte ein markantes Ereignis. Die Choreographie zu Spielbeginn nahm darauf Bezug: „Nem felejtünk“ („Wir vergessen nicht“) stand zur Jahreszahl 1992 geschrieben.
Die Nation stand hier stark im Vordergrund. Ein ungarisches Fahnenmeer wurde schon vor Spielbeginn gezeigt und dazu von einem Sänger am Spielfeld das Lied „Nélküled“ intoniert, das die Grenzziehung von 1918 bzw. 1920 und die seither außerhalb der Staatsgrenze lebenden Ungarinnen und Ungarn betrauert. „Stolen land. Stolen symbols. No history. Fuck Slovakia!“ fasste ein Spruchband die ungarische Sichtweise zusammen, welche die Slowakei als ungarisches Territorium sieht, das durch die Verwendung des byzantinischen Doppelkreuz im Wappen, das sich auch im ungarischen Wappen findet, keine eigenen nationalen Symbole und durch die Jahrhunderte als Teil des ungarischen Staatsgebiets keine eigene Geschichte habe und daher keine Nation sei. „Vesszen Trianon!“ („Nieder mit Trianon“) verkündete ein weiteres Spruchband. Im Friedensvertrag von Trianon 1920 musste Ungarn als Teil des Kriegsverlierers des Ersten Weltkriegs die 1918 erfolgten Gebietsabtrennungen anerkennen. Auf Doppelhaltern wurde der ungarisch-nationale Anspruch auf die alten Grenzen und Wiedereinverleibung von Slowakei, Burgenland (Österreich), Kroatien, Vojvodina (Serbien) und Siebenbürgen (Rumänien) als Teil Ungarns erhoben.
Im B-Közép waren die Tornados Rapid gut vertreten und die insgesamt rund 50-köpfige Unterstützung durch alle großen Gruppen des Block West wurde am Zaun neben dem TR-Fetzen mit einem alten Rapid-Fetzen symbolisiert, der zuletzt etwa auch in Genk übergreifend für die Szene gestanden war. Śląsk Wrocław und Zalaegerszeg waren ebenfalls zu sehen. Anwesend war auch Motor Lublin.
Trotz eines regulären Kontingents von 1.180 Gästesektorkarten konnte Slovan Bratislava nur 480 Leute hierher bewegen, unter Einschluss von Wiener Lilanen sowie Wisła Kraków und Ruch Chorzów. Die üblichen Verdächtigen hingen wie gewohnt die lila eingefärbte Reichskriegsflagge des Deutschen Reichs mit FAK-Wappen anstelle des Hakenkreuzes auf. Die Begegnungen von 1992 waren auch für Slovan Bratislava fangeschichtlich markante Ereignisse. Beim Rückspiel im alten Üllői úti Stadion waren bis auf einen 15-jährigen namens Dano Antošík keine Gäste anwesend. Für seine Aktion wurde er damals gefeiert, erhielt vom Verein ein lebenslanges Heimspiel-Abo und war als seinerzeit dadurch bekanntester Slovan-Fan des Landes auf Zeitungs-Titelblättern. Für die Anreise des mittlerweile nach Argentinien Ausgewanderten hatten Ultras Slovan Geld gesammelt und ein Flugticket für 2.270€ gekauft. Vor Spielbeginn verließen sie kurz alle den Sektor und nur der angereiste Antošík saß dann wie 1992 kurz allein darin. Unter Jubel kamen dann die anderen wieder zurück. Der Länderspiel-Charakter des Matchs wurde auch hier durch slowakische Flaggen unterstrichen.
Wenngleich diesmal nicht 8.000 Ferencváros-Fans in Bratislava sein werden – der geschützte Vorverkauf wurde von Slovan Bratislava bereits zweimal verlängert, um Gäste außerhalb des Auswärtssektors zu verhindern – wird das Rückspiel in einer Woche wohl ebenso brisant werden. Auf der Tribüne steht man sich feindlich gegenüber und am Spielfeld ist sportlich noch nichts entschieden. Ohne Auswärtstorregel bleibt es offen und Ferencváros kann das gewinnen.

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