Samstag, 9. April 2022

Hertha BSC – Union Berlin 1:4 (0:1)

Deutschland, Bundesliga, 29. Spieltag, 9.4.2022
Olympiastadion Berlin, 74.667

Rückkehr des Berliner Derbys, nach Aufhebung der Schutzmaßnahmen vor Corona-Infektion auch wieder mit Fanszenen. Es war ein beeindruckendes Fußballfest. Am Spielfeld war es eine Demütigung der Hertha durch den 1. FC Union Berlin mit dem Rapidler Christopher Trimmel. Union hatte die letzten Derbys gewonnen und war auch diesmal Favorit, sofern es einen solchen in einem Derby gibt. Nach 24 Minuten gingen die Gäste in Führung. Kurz blitzte eine Chance für die Hertha auf, als sie nach der Pause ausgleichen konnten. Das währte aber nicht lange. In Summe war das Ergebnis klar und deutlich. Für Union Berlin geht es darum, wieder einen Europacupplatz zu erreichen. Für Hertha BSC geht es um den Klassenerhalt.
Beide Fanszenen zogen mit Corteos zum Olympiastadion. Im ausverkauften Stadion war beachtlich, welch große Massen sich beiderseits am Support beteiligten. Es war Derbystimmung.
„Hahohe, Hertha BSC!“ Der bekannte Hertha-Anfeuerungsruf war zu hören. Zu Spielbeginn zeigte die Ostkurve zu ihrer Rückkehr eine imposant große Überrollfahne mit Berliner Motiven und der Aussage, dass es in den Stadtteilen nur Hertha gäbe. „Von Spandau bis nach Hellersdorf, vom Wedding bis Neukölln, von Zehlendorf bis JWD, gibt's nur“ hieß es zunächst, dann gefolgt vom pyrountermalten „Hertha BSC“. Über weite Strecken zeigte man sich trotz des Spielverlaufs sehr supportmotiviert. Hüpfeinlagen im durch Überzieher geschaffenen blau-weißen Balkenmuster der Kurve sahen gut aus. Nach Schlusspfiff erhielt die Mannschaft vor der Kurve eine Standpauke und hatte großteils ihre Dressen auszuziehen und niederzulegen.
„Eisern Union!“ hieß es am anderen Ende des Stadions. Hier befanden sich beiderseits des Marathontor offiziell 12.000, wahrscheinlich doch eher gegen 15.000 Union Fans. Der geteilte Auswärtssektor verführt zu Wechselgesängen, was Union Berlin auch stark nutzte. Die mit Schalparade geschmetterten Wechselgesänge machten ordentlich was her. Das war ein beindruckender Support. Massen an Pyro gab es in der zweiten Hälfte im Auswärtssektor zu sehen. Zu Beginn war zu einer Wand an Union-Berlin-Schals an großem Spruchband erst „Unser Berlin“ und dann „Union Berlin“ zu lesen.
Hertha, Berliner Sport-Club wurde 1892 in Berlin als Berliner Fußball Club Hertha 1892 gegründet und fusionierte 1923 mit dem 1895 gegründeten Berliner Sport-Club zu Hertha BSC. Der BSC trat zwar 1930 wieder aus und besteht bis heute, die Hertha blieb aber bei ihrem Namen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hertha 1945 wie alle deutschen Vereine von den Alliierten aufgelöst. Zunächst spielte an ihrer Stelle eine SG Gesundbrunnen, die 1949 wieder den Namen Hertha BSC annahm. Die größten Erfolge sind die beiden deutschen Meistertitel 1929/30 und 1930/31, die Tiefpunkte der Zwangsabstieg aus der Bundesliga 1965 wegen Finanzvergehen (Schwarzgeldzahlungen an Spieler) und die Verwicklung in den Bundesligaskandal 1971 mit Geldstrafen für Spieler und Funktionäre. Nach dem zweiten Platz in der Bundesliga 1975/75 als größtem Meisterschaftserfolg seit dem letzten Meistertitel viereinhalb Jahrzehnte davor, und bis heute, gab es ein Auf und Ab: Zwischen Saisonen in der drittklassigen Oberliga 1986/87 und 1987/88 und der Teilnahme an der Champions League 1999/2000. Nach den letzten Zweitligajahren 2010/11 und 2012/13 ist man nunmehr in der Bundesliga, sorgt dort aber mit Investorenprojekten wie dem Versuch 2019/20, sich mit einem Jürgen Klinsmann als Trainer und vielen verbrannten Millionen als „Big City Club“ zu neuen Höhenflügen aufzumachen, für Erstaunen. Aktuell regiert hier Felix Magath.
Im DFB-Pokal erreichte die erste Mannschaft 1976/77 und 1978/79 zweimal das Finale und kurioserweise die zweite Mannschaft 1992/93. Die Hertha BSC Amateure aus der drittklassigen Oberliga hatten am Weg ins Finale den Badischen Pokalsieger SGK Heidelberg, den Zweitligisten SV Meppen, im Achtelfinale Titelverteidiger und Zweitligisten Hannover 96, im Viertelfinale den Bundesligisten 1. FC Nürnberg und im Semifinale den Zweitligisten Chemnitzer FC geschlagen. Im Finale unterlagen sie dann hier im mit 76.391 Zuschauerinnen und Zuschauern ausverkauften Olympiastadion 1:0 gegen Bayer Leverkusen.
Rapid verbindet mit dem Berliner Olympiastadion zwei Titelgewinne: Im nach dem Nazi-Sportführer benannten deutschen Pokal 1938, der hier im Finale am 8. Jänner 1939 – dem 40. Geburtstag Rapids – vor 40.000 Zuschauerinnen im Schneetreiben gegen den FSV Frankfurt gewonnen wurde, sowie im Endspiel der deutschen Meisterschaft 1940/41, das hier Rapid am Tag der Eskalation des Zweiten Weltkriegs durch den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion vor 95.000 Zuschauerinnen und Zuschauern nach 0:3-Rückstand 4:3 gegen Schalke 04 gewann. Im Jubiläumsjahr widmete sich dem 2021 eine Publikation des Rapideum. Gegen Hertha BSC spielte Rapid 1938 (6:2 für Rapid) und 1964 (2:2) in Berlin, 2002 in Eisenstadt (1:1), 2008 bei einem Wintertrainingslagerturnier auf Teneriffa (2:2) sowie 1980 und 1981 bei einem Hallenfußballturnier in Berlin.
Das Berliner Olympiastadion hatte ich bislang nur bei der WM 2006 besucht. Das zähle ich zwar auch, aber im Unterschied zu einem Länderspiel war das hier jetzt doch etwas Richtiges und Besseres. Das Stadion wurde für die Olmypischen Spiele von 1936 errichtet. Über das Propagandaevent der Nazis, während unweit von hier das KZ Sachsenhausen zum Quälen und Ermorden der zahlreichen Verfolgten gebaut wurde, informiert eine 2016 im Rahmen der Besichtigung des Olympiageländes besuchte Ausstellung. Für die WM 1974 wurde das Stadion teilüberdacht und für die WM 2006 schließlich groß renoviert und vollüberdacht. Seit 1985 finden hier die DFB-Pokalfinali statt. In dieser Saison spielte Union Berlin hier auch seine Europacupspiele in der Conference League.
Mit Gründung der Bundesliga ging Hertha BSC 1963 von der heimatlichen Plumpe in das Olympiastadion. In den Regionalliga-Jahren 1965 bis 1968 kehrte Hertha zwar dorthin noch einmal zurück, spielt seit 1968 aber nunmehr hier. Seit Jahren gibt es immer wieder Pläne und Absichten für einen Auszug und den Bau eines neuen Stadions. Die Ostkurve hat zur Standortdebatte eine klar Meinung, die auch dem Derbycorteo vorangetragen wurde: „In Berlin nur Hertha – Hertha nur in Berlin.“

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