Mittwoch, 19. Mai 2021

Lexikon jüdischer Sportler in Wien 1900 – 1938



Rezension


Ignaz Hermann Körner
Lexikon jüdischer Sportler in Wien
1900 – 1938
herausgegeben und editiert von Marcus G. Patka im Auftrag des Jüdischen Museums der Stadt Wien
Wien 2008
(Mandelbaum Verlag)
240 S.






Bis zu ihrer Entrechtung, Beraubung, Vertreibung und Ermordung prägten die hier lebenden Jüdinnen und Juden die Stadt Wien in allen Gesellschaftsbereichen mit. Ignaz Hermann Körner war als Mitbegründer des zionistischen Sportvereins 1909 und ihr Präsident von 1919 bis 1928 ein wichtiger Funktionär des jüdischen Sports in Wien. Die Fußballer der Hakoah waren ein bedeutender Bestandteil der Wiener Fußballliga und 1924/25 erster Meister der ersten abseits der britischen Insel im Profibetrieb durchgeführten Meisterschaft. Darüber hinaus betrieb die Hakoah zahlreiche weitere Sektionen. Jüdinnen und Juden waren natürlich nicht nur hier sondern zahlreich in vielen anderen Vereinen tätig. Eine Ahnung von der Vielfalt vermitteln die biographischen Skizzen und Lexikoneinträge dieses Buchs. Körner konnte 1938 sein Leben durch Flucht vor den Nazis aus seiner Heimatstadt nach Palästina retten, wo er bis zu seinem Tod 1944 in großer Armut lebte und aus der Erinnerung Schriften wie dieses Lexikon verfasste. Das von Marcus G. Patka herausgegebene Buch erschien begleitend zur Ausstellung 100 Jahre „Hoppauf Hakoah“ 2008 im Jüdischen Museum Wien.

Im April 2020 verwies der Sportjournalist Horst Hötsch auf die Rolle eines Lexikoneintrags über den seinerzeit allseits Jokl genannten Ernst Walter Joachim im Zuge seiner Forschungsarbeit über den jüngsten Spieler der österreichischen Nationalmannschaft, die in der Tageszeitung Der Standard veröffentlicht wurde.

Der erste Lexikoneintrag berichtete von Ignaz Abele, „Arbeiterfußballer beim Sportklub ,Donau‘, war oft internationaler Stürmer und spielte auch bei Arbeiter-Olympiaden.“ Abele ist nicht zu verwechseln mit dem Fußballverbandspräsidenten Ignaz Abeles, dem der zweite Eintrag gewidmet ist. Es finden sich hier durchaus bemerkenswerte Biographien, auch von berühmten Personen wie die international erfolgreichen Spieler und Trainer Béla Guttmann, Richard „Dombi“ Kohn oder die Brüder Jenő Konrád und Kálmán Konrád.

Der erste Eintrag mit Rapid-Bezug behandelt keinen Fußballer, sondern ein Mitglied der damals weiteren Sportsektionen Rapids: „Ackermann, Max, geb. 1900 in Wien, Allroundsportler, österreichischer Boxmeister im Fliegengewicht, leitete die Boxsektion des Sportklubs ,Rapid‘, für die er auch viele Preise als Leichtathlet gewann.“

Nicht nur Personenbiographien vermerkte Körner, sondern es gibt auch Einträge zu Vereinen oder auch den Sektionen der Hakoah. Hier ist im Fußballzusammenhang die mehrseitige Schildung des Beteiligten Körner über Entstehung und Geschichte der eingangs genannten Hakoah-Fußballsektion (bzw. des später ausgegliederten Fußballklubs) interessant. Hier wie anderswo und auch im eigenen Personeneintrag schreibt Körner von sich in der dritten Person. Über den FAC weiß Körner etwa zu berichten, dass hier eine Zäsur im Februar 1934 mit der Verfolgung und Unterdrückung von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten austrofaschistischen Regime war, womit die Zusammensetzung des Vereins verändert wurde: „der besonders von Juden des XXI. Wiener Bezirkes geförderte Klub blühte namentlich unter seinem Präsidenten, dem Sozialdemokraten Siegfried Deutsch auf. (Anm.: Über ihn gibt es einen eigenen Eintrag) Von jüdischen Spielern ragten besonders in der Vor- und Nachkriegszeit die drei Brüder des Hakoahners Siegmund Deutsch hervor: Gustav, Josef und Leopold, die alle drei in Repräsentativmannschaften verwendet wurden. Auch in der Leitung des Klubs befanden sich längere Zeit Juden. Doch als die Sozialdemokraten von Floridsdorf unter den Ereignissen der Februartage 1934 besonders zu leiden hatten, wurden vor allem die Juden aus dem Klub herausgedrängt und es waren fast keine mehr dabei, als sich der Klub mit dem Eintreffen Hitlers besonders nazistisch gebärdete.“

Im Eintrag zu Rapid schreibt Körner in seinem Lexikon: „einer der führenden Fußballklubs von Wien, hatte viele jüdische Mitglieder und auch einige hervorragende jüdische Spieler. Dazu gehörte bei seiner Gründung 1899 als ,Arbeiterfußballklub‘ der Sohn des Eissportlers Max Wirth. Später spielten H. Kohn, Mehler, Feldmüller in der Kampfmannschaft, ferner der vielfache internationale Goalmann Feigel, der eigentlich Feigelstock hieß. In den dreißiger Jahren feierte Rapid seine größten Erfolge, doch es war kein einziger Jude mehr dabei, weil diese bei nichtjüdischen Vereinen keine Anstellung mehr fanden.“ Rapid ging 1899 aus dem 1897 begründeten 1. Wiener Arbeiter Fußball-Club hervor. Hier ist Körner in seiner Erinnerung ungenau, doch muss man dies vor dem Hintegrund sehen, dass er im Exil wohl keine Quellen zur Überprüfung seiner Niederschriften hatte. So sind seine Angaben eine hochspannende Quelle und ein wichtiges Zeitdokument, aber kein wissenschaftliches Lexikon und natürlich schon gar nicht auf aktuellem wissenschaftlichem Stand. Die Studie Grün-Weiß unterm Hakenkreuz stellt fest, dass Körners Angabe zu den 30er Jahren aufgrund mangelnder Spielerdaten heute schwer zu verifizieren sei, und geht auf die in diesem Lexikoneintrag genannten Namen ein.

Aufgrund der Entstehungszeit des Buchs ist in den Biographien das weitere Schicksal der Sportlerinnen und Sportler in der Verfolgung durch die Nazis nicht ersichtlich (hier ist die DÖW-Personendatenbank wertvoll). Eine weiterführende Lektüre dazu ist die Studie Sportfunktionäre und jüdische Differenz. Körner bewertet in seinem Buch Personen und Vorgänge teilweise subjektiv geprägt und mitunter sehr emotional, wie der Herausgeber vermerkt. Das Lexikon jüdischer Sportler von Ignaz Hermann Körner ist, wie es Marcus G. Patka im Vorwort beschreibt, „das ,Memorbuch‘ des jüdischen Sports in Wien, der 1938 vom NS-Regime zerstört wurde.“

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