Mittwoch, 4. Oktober 2023

Superjuden – Jüdische Identität im Fußballstadion

Superjuden
Jüdische Identität im Fußballstadion
Jüdisches Museum Wien
Sonderausstellung 12.7.2023 – 14.1.2024


Jüdische Geschichte und Fankultur in Wien, von Vienna und Wiener Austria, sowie FC Bayern München, dem AFC Ajax und Tottenham Hotspur FC ist das Thema einer Sonderausstellung des Jüdischen Museum Wien.


„Was macht einen Fußballklub zu einem ,jüdischen Klub‘? Ehemalige jüdische Akteur:innen? Die Eigendefinition der Fans oder die Zuschreibung gegnerischer Anhänger:innen“ stellt die Ausstellung einleitend als Frage und behandelt in Folge Versionen von Antworten anhand ausgewählter Beispiele.


Am Anfang des Rundgangs in der Bel Étage des 1993 von der Stadt Wien und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Palais Eskeles in der Wiener Innenstadt eröffneten Jüdischen Museums steht eine Frau. Das Portaitbild zeigt Ella Zirner-Zwieback, die als Kaufhausbesitzerin und Modeschöpferin wohlhabendes Mitglied des Wiener Bürgertums war und die Gründung der 1. Österreichischen Damenfußball-Union maßgeblich finanziell unterstütze. Die erste Fußballliga für Frauen in Österreich konnte ausgegrenzt vom ÖFB und begleitet von Häme in den Zeitungen 1936 und 1937 zwei volle Meisterschaften ausgetragen, bis sie 1938 von den Nazis verboten wurde. Ella Zirner-Zwieback konnte als Jüdin ihr Leben durch Flucht vor den Nazis aus ihrer Heimatstadt Wien in die USA retten.


Herausragendes Beispiel für die jüdische Fußballkultur in Wien bis 1938 ist der SC Hakoah, österreichischer Meister 1924/25 in der ersten im Profi-Betrieb durchgeführten Meisterschaft. Dies wird im ersten Raum der Ausstellung ebenso gewürdigt wie der wohl einflussreichste Mann der österreichischen Fußballgeschichte, Hugo Meisl. Von ihm gibt es seine Schiedsrichterpfeife zu sehen und das ikonische Gemälde des Wunderteams, auf dem er klassisch im Anzug mit Melone und Gehstock abgebildet ist. Nicht Teil der Ausstellung, aber ein sinnvoller Gegenwartsbezug wäre eine Erwähnung des aktuell im Wiener Unterhausfußball aktiven SC Maccabi.


Wie sich die Frage der jüdischen Identität im Stadion darstellt, ist Gegenstand der weiteren Räume.


Der First Vienna Football-Club wurde 1894 von britischen Gärtnern des Nathaniel Mayer von Rothschild mit den blau-gelben Rothschild-Farben als Vereinsfarben gegründet. Sein Name wurde von der Fangruppe Partisan*Rothschild 2012 aufgenommen.


Das herrliche Gemälde des Stadions auf der Hohen Warte aus dem Jahr 1928 war schon bei mehreren Wiener Fußballausstellungen zu sehen und ist jedesmal eindruckvoll.


Die Ausstellung präsentiert in Bild und Video-Interview die Bemühungen der Vienna-Fanszene um die Aufarbeitung ihrer Geschichte mit vertriebenen und ermordeten jüdischen Spielern und Funktionären sowie den sportlich größten Erfolgen in der NS-Zeit.


Im Teil über die Wiener Austria steht u.a. die Lebensgeschichte des Norbert Lopper im Vordergrund, der die KZs Auschwitz und Mauthausen überlebte und von den 1950er bis in die 1980er Jahre in einer heute wohl als Manager bezeichneten Funktion den Verein maßgeblich gestaltete.


Miniaturausgabe des Mitropacup-Pokals des langjährigen Austria-Präsidenten Emanuel Michael Schwarz (1931 bis 1938 und 1946 bis 1957, unterbrochen durch die Nazis, vor denen er sein Leben durch Flucht und versteckt retten konnte). Den Mitropacup gewann die Austria unter seiner Präsidentschaft 1933 und 1936.


Fankulturell interessant sind eine Fahne aus dem Jahr 2008 und ein Fanschal jüdischer FAK-Fans aus dem Jahr 2005. Angesichts der Dominanz rechtsextrem/neonazistisch ausgerichteter Gruppen in der Fankurve der Wiener Austria waren sie aber nicht im Stadion zu sehen.


Antisemitisches aus den Reihen von Rapid. Rapid ist abgesehen davon sonst nicht Thema, obwohl hier im letzten Jahrzehnt viel in guter Richtung weitergegangen ist.


Im Bereich über den FC Bayern München sind die Aktivitäten der Ultras der Schickeria zur Erinnerung an den ehemaligen Präsidenten Kurt Landauer und jüdische Vereinsgeschichte Thema. Zu sehen ist auch eine Fanzine-Ausgabe ihres Gegen den Strom aus dem Jahr 2006.


Tottenham-Fangesänge „Being a Yid“ erschallen in diesem Bereich aus Lautsprechern. Thematisiert wird in den Texten, dass es in der THFC-Geschichte zwar nur wenige jüdische Spieler und Funktionäre gab, um 1900 aber im Umfeld im East End von London eine jüdische Gemeinde osteuropäischer Geflüchteter entstand. Der jiddische Wort „Yid“ wurde als abwertende Bezeichnung für sie verwendet und in den 1970er Jahren auch gegen die Tottenham-Fans, die das aber als Ausdruck des Stolzes selbst aufnahmen. Als rassistischer Begriff ist das Wort aber derzeit in der Kritik, auch wenn er von Fans weiter verwendet wird.


Ajax ist der vielleicht interessanteste Fall. Das alte Stadion lag in Amsterdam in einem Viertel mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil, bis im Zweiten Weltkrieg die Deutsche Wehrmacht die Niederlande überfiel und die Nazis die Jüdinnen und Juden ermordeten. Jüdische und israelische Symbole und auch in der Ausstellung zu hörende Fangesänge mit Melodien jüdischer Volkslieder entwickelten sich in der Nachkriegszeit als Reaktion auf antisemitische Anfeindungen, welche auf die jüdische Geschichte Amsterdams abzielten, zu einem hervorstechenden Merkmal der Fankultur. Entsprechendes Material der Hooligans der 1976 gegründeten F-Side ist ausgestellt. Von ihnen stammt auch der Ausstellungstitel, denn sie nennen sich „Superjoden“. Man sich hier auch einen Wechselgesang zwischen ihnen und den Ultras der VAK 410 anhören.


Der Film Superjews der in Amsterdam lebenden israelischen Filmemacherin Nirit Peled ging schon 2013 dem Thema nach.


Begleitend zur Ausstellung erschien eine ballesterer-Schwerpunktausgabe, in der Teile der Ausstellungsstücke präsentiert und Hintergründe kontextualisiert werden sowie zur Frage der positiven Selbstzuschreibung jüdischer Identität, die manche stolz verwenden und andere harsch kritisieren, ein Text von Niko Belivakic und auch u.a. in einer spannenden Gesprächsrunde von Barbara Staudinger, Bini Guttmann und Laurin Rosenberg zu lesen ist. Das Thema, dass die jüdische Inszenierung von nichtjüdischen Fans durch Präsenz und Wiederholung von Stereotypen negative Folgen für Jüdinnen und Juden hat, die sich dadurch vereinnahmt und provoziertem Antisemitismus ausgesetzt sehen, ist komplex.

Agnes Meisinger / Barbara Staudinger (Hg.)
im Auftrag des jüdischen Museums Wien
Superjuden
Jüdische Identität im Fußballstadion
Jüdisches Museum Wien 2003
112 S.

Eine Begleitpublikation zur Ausstellung bildet als Katalog die Ausstellungsstücke ab und bietet in deutscher und englischer Sprache Artikel zu Themen der Ausstellung. So gibt es hier einen Essay von Michael Brenner zur Thematik von jüdischen Vereinen und „Judenklubs“ aus persönlicher Warte oder von Agnes Meisinger einen Text über die Geschichte des SC Hakoah zu lesen. Vienna-Historiker Alexander Juraske schreibt über die spannende „Wiederentdeckung“ einer „jüdischen Identität“ der Vienna aus der Fanszene heraus und jüdische Partizipation im Verein bis zur Machtübernahme der Nazis 1938, stellt aber auch fest, dass sich in den 1920er/30er Jahren zwar gelegentlich antisemitische Attacken finden lassen, aber nicht „Zuschreibungen, die auf eine umfassende ,jüdische Identität‘ des Vereins oder die öffentliche Wahrnehmung der Vienna als ,jüdischer Verein‘ hindeuten würden.“ Matthias Marschik beschäftigt sich mit jüdischen Tradition und Gegenwart der Wiener Austria und erwähnt antisemitische Anfeindungen aus Reihen Rapids, Pavel Brunssen widmet sich Geschichtsaufarbeitung und Etinnerungsarbeit aus der Fanszene und dies aufnehmendem Marketing des Vereins bei Bayern München und Agnes Meisinger schreibt über die Frage nichtjüdischer Fans und jüdischer Identität bei Ajax und Tottenham abseits von Kultur und Religion.

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