Donnerstag, 23. März 2017
„Blau-Gelb ist mein Herz“
Rezension
Alexander Juraske
„Blau-Gelb ist mein Herz“
Die Geschichte des First Vienna Football Club 1894
Wien 2017 (Promedia Verlag)
256 S.
In der Zeit der größten existentiellen Krise des ältesten Fußballvereins Wiens und Österreichs brachte der ehrenamtliche Vereins-Historiker und Vienna-Fan Alexander Juraske eine fundierte und umfassende Geschichte des 1894 gegründeten First Vienna Football Club heraus. Nachdem sich der Verein einem Sponsor ausgeliefert hatte, der 80% der Ausgaben deckte, steht die Vienna nach dessen Verlust aufgrund eines Todesfalls am Abgrund.
Aufeinanderfolgende Höhen und Tiefen der Vereinsgeschichte erzählt Juraske in sachlichem Ton, von der Gründung 1894 bis zum Zweitliga-Abstieg 2014 120 Jahre später. Durch das Blickfenster der Vienna-Vereinsgeschichte gleitet man bei der Lektüre des Buchs durch die Wiener und österreichische Fußballgeschichte: Die von britischen Pionieren auf Auslandsarbeitsplätzen in Wien geprägten ersten Fußballjahre. Die Entwicklung zum Großverein. Der Fußballboom der 1920er Jahre. Der Einschnitt der Nazizeit: Er bedeutete den Ausschluss verdienter jüdischer Funktionäre und Mitglieder, der von der Vienna genauso wie anderswo promt vollzogen wurde. Juraske nennt die von den Nazis ermordeten Vienna-Mitglieder und beschreibt den Bruch durch die Vertreibung und Ermordung der Wiener Juden und Jüdinnen − Döbling hatte zu den acht Wiener Bezirken gehört, in denen der jüdische Bevölkerungsanteil knapp zweistellig gewesen war. Die Kriegsjahre brachten aber für die Vienna durch geschicktes Agieren und Handeln von Gönnern (Curt Reinisch, der durch seine berufliche Stellung in der Verwaltung der Lazarette Spieler in Wien halten konnte) in den immer mehr zur sportlichen Farce verkommenden Kriegsmeisterschaften die sportlich erfolgreichsten Jahre: Drei Meistertitel der Bereichsklasse „Ostmark“ (zählen als österreichische Meistertitel), deutscher Pokalsieg 1943 sowie Endspiel um die deutsche Meisterschaft 1942, Semifinale 1943 und Viertelfinale 1943. In der Nachkriegszeit erreichte die Vienna 1955 ihren sechsten österreichsichen Meistertitel. Es folgte aber ein langsamer, schleichender Abstieg aus der ersten in die zweite und schließlich 2001 in die dritte Spielklasse. Er wurde von einem kurzen Höhenflug in den Europacup Ende der 1980er und zuletzt von Zweitliga-Jahren 2009 bis 2014, die mehr oder minder von Chaoszuständen geprägt waren, unterbrochen.
Um Aufmerksamkeit warb die Vienna 1980, als sie den in Barcelona unzufriedenen Hans Krankl für den Bundesliga-Abstiegskampf in der Frühjahrssaison holte. Krankl schoss seine Tore (u.a. zu zwei Rapid-Niederlagen in beiden Spielen gegen die Vienna), dennoch stieg die Vienna ab und Krankl kehrte nach Barcelona zurück. Im Winter 1986 folgte der nächste Sensationstransfer mit dem argentinischen Weltmeister von 1978 Mario Kempes, der von Hércules de Alicante aus der spanischen Primera División in die österreichische Zweite Division wechselte. Er spielte aber auch nur ein Jahr bei der Vienna. Bei beiden Transfers standen Externe dahinter: Krankl wurde vom Vienna-Sponsor Rank Xerox verpflichtet und bezahlt, Kempes von der Agentur des ehemaligen Vienna-Trainers und Managers Josef Schulz, der dafür u.a. zwei Drittel der Zuschauerinnen- und Zuschauereinnahmen bekam. Finanzielles Hasardieren ist kein ausschließliches Phänomen der Gegenwart.
Mit dem Stadion auf der Hohen Warte schuf sich die Vienna 1921 eine Spielstätte, die ihr seither durch ihre spezielle Atmosphäre ein wesentliches Standbein ihrer Vereinidentität bringt. Sie bürdete ihr aber auch immer wieder hohe finanzielle Lasten auf, wie Juraske in einem eigenen Kapitel über das Stadion deutlich macht. Sowohl Errichtung und Ausbau in den 1920er Jahren zu einem Stadion für bis zu 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer als auch die Errichtung der ersten Stadion-Flutlichtanlage Wiens in den 1950er Jahren auf eigene Kosten waren Investitionen des Vereins, die durch Länderspiele und große Spiele anderer Vereine hereingebracht werden sollten. Das verkehrstechnisch günstiger gelegene und infrastrukturell
modernere Praterstadion (1931 eröffnet) war dabei aber eine übermächtige Konkurrenz. Interessant ist, wie lange die Vienna um die Rückkehr auf die 1939 von den Nazis mit einer Motorrad-Veranstaltung ruinierte, im Krieg beschädigte und dann als Sportzentrum der US-Besatzungstruppen genutzte Hohe Warte kämpfen musste. Erst konnte sie nur auf den Trainingsplatz zurückkehren bis sie 1953 erstmals nach eineinhalb Jahrzehnten wieder ein Meisterschaftsspiel auf dem Hauptfeld austragen konnte.
„Blau-gelb ist mein Herz, ich sterb' in Döbling“ ist ein schöner Gesang des Vienna-Fanblocks, dem Juraske seinen Buchtitel entnommen hat. Auch der Fangeschichte widmet er ein Kapitel und beschreibt Anfänge von Fanklubs in den 1950er und 60er Jahren, die Entstehung der alternativen, britisch geprägten Fankultur in den 1980er/90er Jahren und die aktuelle neue Generation, die auch Stilmittel der Ultràkultur verwendet.
Titel und Triumphe beschreibt Jursake genauso nüchtern wie Niederlagen und Abstiege. Es steht zu hoffen, dass in einem möglicherweise in Zukunft folgenden weiteren Buch für das Jahr 2017 die Rettung und nicht das Ende des Vereins referiert werden wird.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Ein kleiner Tippsler drinnen - Johann K. war 1985 nicht bei der Vienna.
AntwortenLöschenLg
Hui, danke! 1980 natürlich. :-)
Löschen