Dienstag, 27. April 2021

Ein Fußballverein aus Wien



Rezension


Bernhard Hachleitner / Matthias Marschik / Rudolf Müllner / Johann Skocek
Ein Fußballverein aus Wien
Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938–1945
Wien 2019
(Böhlau)
312 S.






Als der SK Rapid 2011 seine Geschichte in der NS-Zeit wissenschaftlich aufarbeiten ließ (Grün-Weiß unterm Hakenkreuz), kündigte auch die Wiener Austria ein solches Projekt an. Es dauerte dann einige Jahre bis 2016 damit begonnen und im November 2018 die Buchpublikation vorgelegt wurde.

Eingebettet ist die Analyse in eine Geschichte der Wiener Fußballkultur und des Vereins. „Er stand stets für das Wienerische wie kein anderer Fußballverein und war doch nie der Liebling der Massen.“ Dabei wird auch die Zuschreibung als „Judenklub“ diskutiert, die antisemitisch wirkmächtig wurde, auch wenn die Austria nie in dem Sinn ein jüdischer Verein war wie die Hakoah oder andere Vereine, die „nur Juden offenstanden und die jüdische und zionistische Ziel verfolgten.“ Die Nazi-Machtübernahme brachte der Hakoah und jüdischen Vereinen das Ende ihrer Existenz, für die Austria die Absetzung des Vorstands und Zwangsmaßnahmen durch Einsetzung eine regimetreuen Leitung. Mit dem Ausschluss von Juden als Spieler, Funktionäre, Journalisten und Zuschauer aus dem Sportbetrieb wurde ein bedeutender Teil der Wiener Fußballwelt von den Nazis zerstört, der Betrieb ging aber weiter. In drei Phasen eingeteilt wird im Buch das Wiener Fußballgeschehen 1939 bis 1945 periodisiert und dargestellt, es werden die Saisonverläufe der Austria betrachtet sowie Gastspiele und Länderspieleinsätze berichtet.

In der Bewertung der Person Matthias Sindelar kulminierten in den letzten beiden Jahrzehnten die Debatten über die Austria in der Nazizeit. Kann man ihn als herausragenden Fußballer weiter schätzen, wenn man einbekennt, dass er Teilhabe hatte an der Beraubung („Arisierung“) eines jüdischen Kaffeehausbesitzers im Rahmen des NS-Systems? In seiner Wortmeldung dazu in einem der Vorworte des Buchs scheint Herbert Prohaska nicht dieser Ansicht zu sein und gibt die verbreitete Meinung der Bagatellisierung des Handelns eines Helden wieder: „Er wird wie viele Menschen damals auf seinen Vorteil geschaut haben, und wer sind wir, ihn 80 Jahre später zu verurteilen.“

Komplexe Lebensläufe und Brüche sind in den im Laufe des Texts herausgestellten Biographien von Akteuren sinnbildlich dargestellt. Durch ihre Unterschiedlichkeit lernt man hier am meisten. Neben vielen anderen und mir großteils neuen Namen finden sich darunter auch bekannte Personen wie der Manager Robert Lang, der nach Jugoslawien flüchten konnte, aber dort nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf das Land von den Nazis 1941 gefangengenommen und ermordet wurde, oder der als Ehrenpräsident des Vereins fungierende SS-General Ernst Kaltenbrunner, der als einer von zwölf Hauptkriegsverbrechern nach der Befreiung im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Ein interessanter Abschnitt beschäftigt sich mit den Nachwirkungen nach 1945. Die Austria ist hier ein Abbild des österreichischen Nachkriegskonsenses: „Die Geschehnisse der vergangenen sieben Jahre wurden, wenn überhaupt, meist nur im Rückblick auf Kriegsereignisse und Kriegsfolgen erwähnt. Die Ausblendung betraf ebenso den Antisemitismus, die Ermordung und Vertreibung der Juden und auch die jüdische Seite der Austria.“ Auch hier zeigt sich eine in das größere ganze der Nachkriegsgesellschaft eingebettete Beispielgeschichte eines Fußballvereins, wenn es um Elitenkontinuitäten und -brüche, auflebenden Antisemitismus und den Zeitumständen sich anpassenden Imagewandel geht.

Die Autoren arbeiten die Geschichte vielschichtig und wissenschaftlich valide auf, auch wenn von einem politisch Verantwortlichen noch bei der Präsentation des Forschungsprojekts in tradiertem Geschichtsbild postuliert wurde „Die Austria war vor allem Opfer. Andere Wiener Clubs haben den deutschen Meistertitel gewonnen.“ So einfach und eindimensional war und ist Geschichte nicht, wie das Buch deutlich zeigt. „Die Lücken in der bisherigen Aufarbeitung der Geschichte der Austria hängen nicht zuletzt mit der bequemen Opferthese zusammen.“ resumieren die Autoren. Sie bewerteten organisationsgeschichtliche Vorgänge neu, trugen Details zusammen und damit zu einem vielschichtigeren Bild der Vergangenheit bei.

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