Sonntag, 11. August 2019

VfB Lübeck – St. Pauli 3:4 i.E., 3:3 n.V. (2:2, 1:0)

DFB-Pokal, 1. Runde, 11.8.2019
Stadion an der Lohmühle, 10.978

Spannung und Dramatik, wie es in einem Cupspiel nicht besser geht. In der ersten Runde des DFB-Pokals hatte der Zweitligist FC St. Pauli im Viertligisten aus Lübeck einen an diesem Nachmittag ebenbürtigen Gegner. Lübeck feierte eine 2:0-Führung, bevor St. Pauli mit einem Doppelschlag nach einer Stunde Spielzeit doch noch ausgleichen konnte. In der Verlängerung ging dann zunächst St. Pauli schnell in Führung, doch in der Schlussphase erzielte Lübeck sehenswert noch das 3:3. Selbst eine rote Karte ging sich nach Nachtreten eines St.-Pauli-Spieler noch aus. Im Elfmeterschießen setzten sich die Gäste schließlich durch.
Der VfB Lübeck hat mit Rolf Landerl einen Wiener als Trainer, der hier 2009 bis 2011 auch schon gespielt hat und seit 2016 als Trainer arbeitet.
Die Lübecker Fanszene, die seit dieser Saison nicht mehr auf der Haupttribüne sondern in der neuerrichteten Pappelkurve steht, zeigte zu Spielbeginn eine Choreographie in den grün-weißen Farben zum Vereinsleitspruch „Echt Leev – Keen Mood“ und zündete später vereinzelt Bengalen und Rauch, der aber schnell vom Wind verweht wurde. Die 2.200 Auswärtsfans aus St.Pauli füllten die ganze Hintertorseite, wobei eine Hälfte Ultràsektor und eine Hälfte Sitzplatzblock war. Als Intro gab es eine bewegte braun-weiße Luftschlangen-Choreographie und schließlich ebenfalls Pyro und Rauch. Brenzlig war die Vorgeschichte aufgrund der Rivalität bereits zuvor. „Scheiß St. Pauli!“ ließ Lübeck mehrmals laut hören, hatte in der Stadt Pickerln mit diesem Slogan verklebt und auch zahlreiche T-Shirts damit waren zu sehen. Dass der Auswärtsblock von St. Pauli mit dem antifaschistischen Klassiker „Siamo tutti anfifascisti!“ begann, kam nicht von ungefähr. Erst 2016 hatte St. Pauli im DFB-Pokal in Lübeck bei hitziger Stimmung 3:0 gewonnen. Von der Haupttribüne wurde dabei „Deutsche! Wehrt euch! Geht nicht zu St. Pauli!“ gehört, eine Abwandlung des antisemitischen Nazi-Kampagnenslogans der 1930er Jahre „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!“ Nicht zuletzt aufgrund der gegensätzlichen politischen Ausrichtung der Fanszenen mit dem rechtsextremen Teil des Lübecker Anhangs steht man sich rivalisierend gegenüber. 2012 gab es in einem dann abgebrochenen Hallenturnier in Hamburg eine Massenschlägerei mit 90 Verletzten nach Polizeieinsatz, nachdem der St.Pauli-Anhang mit entsprechenden rechtsextremen Provokationen begleitete Angriffe von hundert Mann aus Lübeck plus HSV abwehrte und die Polizei dagegen einschritt, indem sie die St.-Pauli-Fans niederprügelte und zahlreich festnahm (74 Festnahmen, davon 72 St. Pauli).
Der VfB Lübeck wurde 1919 als Ballsportverein Vorwärts 1919 Lübeck, kurz BSV Vorwärts, gegründet. Als Arbeitersportverein wurde er nach der Nazi-Machtübernahme 1933 verboten und sein Besitz geraubt. Daneben gab es in der Stadt die 1912 gegründete Sportvereinigung Polizei Lübeck, die sich 1935 in Polizeisportverein Lübeck und 1942 in Spielgemeinschaft Ordnungspolizei umbenannt, und bis Kriegsende zum bedeutendsten Sportverein Lübecks entwickelte. 1945 wurde der Polizeiverein von der britischen Besatzungsmacht aufgelöst. Die Ordnungspolizei war als Teil des staatlichen Nazi-Machtapparats an zahlreichen Morden, Kriegsverbrechen und der Durchführung der Völkermorde Holocaust und Porajmos maßgeblich beteiligt gewesen. Ehemalige Polizeisportvereinsmitglieder gründeten nach der Auflösung gemeinsam mit ehemaligen Mitgliedern des BSV Vorwärts als Rechtsnachfolger des letzteren den VfB Lübeck. Die größten Erfolge waren die Saisonen in der 2. Bundesliga 1995/96 und 1996/97 sowie 2002/03 und 2003/04. Seither spielt man mit Ausnahme des Zwangsabstiegs in die Schleswig-Holstein-Liga für eine Saison 2013/14 (aufgrund Insolvenz) in der Regionalliga Nord. 2003/04 stieg Lübeck zwar aus der 2. Bundesliga ab, im DFB-Pokal erreichte man mit Siegen über Eintracht Rheine, St. Pauli und Freiburg aber das Semifinale, das man erst 2:3 nach Verlängerung auswärts bei Werder Bremen verlor.
Das Stadion an der Lohmühle wurde 1924 eröffnet. Es wurde von mehreren Arbeitersportvereinen, darunter der BSV Vorwärts Lübeck, erbaut, und wurde nach deren Verbot und Enteigung durch die Nazis ab 1933 vom SV Polizei Lübeck verwendet. Nach 1945 gab es einen länger dauernden Rechtsstreit zwischen dem neu gegründeten VfB Lübeck und dem ATSV Lübeck, der ein Miterbauer des Stadions war. Der VfB gewann den Rechtsstreit schließlich als Rechtsnachfolger des ebenfalls am Bau beteiligten BSV Vorwärts Lübeck. Die in den 1930er Jahren errichtete alte Tribüne wurde in den 1990er Jahren abgerissen und durch die große heutige Haupttribüne ersetzt. Als historische Sitzplatztribüne ist gegenüber noch die alte Holztribüne zu sehen. 2019 wurde der mittlere Teil der Hintertor-Stehplatztribüne Pappelkurve neu errichtet. Während oftmals das Fassungsvermögen des Stadions noch mit 17.869 angegeben wird, waren es schon 2016 beim letzten St.-Pauli-Spiel hier 2016 nur mehr 13.300, die hier erlaubt waren, und derzeit ist man mit 11.000 ausverkauft.
Vor dem Spiel wurde die Stadt Lübeck besichtigt.

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