Freitag, 7. Juni 2019

Der (Pf)lästerstein, 18




Rezension


Der (Pf)lästerstein
Ausgabe 18
Mai 2019
428 S.









13 Jahre nach der letzten Ausgabe des Fanzines Der (Pf)lästerstein brachte Gunnar Hielscher ein neues Werk heraus. In den letzten Jahren hatte er mit seinem Fotobuch Momentaufnahmen und dem Nachdruck alter Hefte in Sammelbänden erfreut. Nun gibt es ein mit 428 Seiten umfangreiches und eng bedruckt sehr inhaltsreiches Mammutwerk. Den Hauptteil macht ein 370 Seiten starker Schwerpunkt Fanszene Österreich aus, in dem es neben allgemeinen Informationen zu den Ländern, Städten, Vereinen und Stadien kenntnisreiche Vorstellungen fast aller wesentlichen Fankurven Österreichs gibt. Durch seine jahrzehntelang gewachsenen Kontakte und seine gute Reputation hat er von fast allen Texte, Fotos und Interviews bekommen. Allein das ist eine Leistung, die so wohl nur wenige Leute geschafft hätten. So eine umfassende Gesamtdarstellung der österreichischen Fußballfanszenenlandschaft gab es noch nie.

Die Informationsdichte ist nicht nur in ihrem Umfang sondern auch in ihrer Vielfalt spannend. Ich habe noch selten beim Lesen einer Publikation so viel aus so vielen verschiedenen Perspektiven erfahren und gelernt: Fangeschichte der jeweiligen Vereine, aktive Gruppen und ihre Größe, Freundschaften und Feindschaften, welche Gruppen welche Freundschaften in den jeweiligen Szenen vor allem betreiben und welche kurvenübergreifend sind etc. Dazu kommt auch eine Unzahl an Anekdoten und besonderen Geschichten an Höhe- und Tiefpunkten. Von den Intertoto-Cup-Spielen von Schwarz-Weiß Bregenz gegen Torino 2002 erfährt man etwa: „Hatten wir im Vorfeld schon viel Gutes über Italien im Allgemeinen und Toro im Besonderen gehört, war man nach unserem Gastspiel einfach nur geflashed. Eine der ältesten Kurven Italiens mit einer absoluten Glanzleistung, was wohl nicht zuletzt an der langersehnten Teilnahme am internationalen Wettbewerb der Granatroten lag. (...) Wir waren im ersten Rang auf der Gegengeraden untergebracht und versuchten mit etwa fünfzig Leuten den Support anzutreiben, was uns dank des überhängenden zweiten Rangs ein paar mal so gut gelang, dass die Heimkurve auf uns reagierte (nachverfolgen konnten wir die Szene in einer Aufzeichnung der Liveübertragung auf RAI, wo zuerst wir zu hören waren, ehe die Antwort der Granata folgte, was dem Kommentator gar ein Lachen abringen konnte).“

Abgesehen von Rapid, das ich hier außer Konkurrenz stelle (wenngleich die Interviews mit Ultras Rapid, Tornados und Lords, ein kurzer Text der Lions und ein Rückblick der Lords auf ihre Ostkurve im Hanappi-Stadion natürlich wärmstens zu empfehlen sind), waren für mich die Kapitel LASK und Wacker Innsbruck am spannendsten. Über die Tivoli Nord erfährt man einige Details zur Fangeschichte (Freaks!) und vor allem im Interview zur ehemaligen, seinerzeit bemerkenswerten Gruppe Nordpol sowie ihrem Scheitern und ihrer Auflösung. „Zuallererst muss gesagt werden, dass die sogenannte ‚Wackerfamilie‘ reine Fiktion war, ein paradiesischer Idealzustand, den wir uns ersehnt haben, der aber mit der Realität nicht viel gemeinsam hatte.“ Zur Auflösung der I Furiosi nach Auswärtsfetzenverlust beim LASK gibt es neben der bekannten Stellungnahme Worte eines Innsbruckers aus Innensicht dazu. Vom angesprochenen LASK gibt es eine zumindest von mir in dieser Tiefe, Ausführlichkeit und Offenheit noch nie gelesene Fangeschichte auf 13 Seiten. Nicht nur, aber vor allem die Eigendarstellung und Bewertung der Jahre 2007 bis 2010 und der Boys Lentia mit ihren Aktivitäten abseits des Stadions ist hier spannend.

Alle öffnen sich hier und erzählen mit Texten, Interviews und/oder Fragebogenantworten von sich: Altach, Austria Lustenau, FC Lustenau, Bregenz, Innsbruck, FC Südtirol, FC Obermais, Bubi Merano (Exkurs Südtirol!), Austria Salzburg, SAK, Sturm Graz, GAK, GSC, LASK, Ried, Blau-Weiß Linz, Vorwärts Steyr, Admira Wacker, St. Pölten, Rapid, WSC, FavAC, Vienna etc. Nur die Szene der Wiener Austria wollte nicht. Auch kleine, aber aktive Fanszenen wie beim SAK in Salzburg, beim GSC in Graz oder dem FavAC in Wien werden somit hier vorgestellt und beantworten Fragen zu ihrer Geschichte und Gegenwart. Neben Fußball finden in manchen Kapiteln auch Eishockey-Fanszenen Erwähnung. Es war mir eine Ehre, bei diesem Projekt ein wenig unterstützen zu können.

Die weiteren Themen des (Pf)lästerstein sind allerdings auch sehr gut. So gibt es interessante Berichte von Fußballreisenden vom Derby in Casablanca 2015, vom afrikanischen Champions-League-Finale Wydad aus Casablanca gegen al Ahly aus Kairo 2017, dem griechischen Cupfinale 2017, Bordeaux-Marseille 2017 und Lok-Chemie 2017 sowie ein Schwerpunkt zu Frauen in Ultragruppen und eine Sammlung von Berichten über Torino aus alten Ausgaben des Hefts zu lesen.

Begleitend zum Heft gibt es online Lesenswertes im Blog derpflästersteinfanzine.blogspot.com. Es gibt noch Hefte, die unter hielscher.der_pflasterstein@t-online.de bestellt werden können (6,00 € plus Versandkosten).

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