Samstag, 30. Januar 2021

Der Daggl, 18/19


Rezension

Der Daggl
Doppelausgabe 18/19
111 S. + 149 S.



Eine Doppelausgabe aus dem Hause Daggl sorgt für erneut besten Lesestoff über den 1. FC Nürnberg, Fußballreisen rund um den Globus und das Leben an sich. Zuletzt gab es mit Ausgabe 14/15 eine Doppelausgabe. War das Heft damals chronologisch auf Hinrunde und Rückrunde aufgeteilt, so beschäftigt sich diesmal Nr. 18 ganz mit dem FCN und Nr. 19 mit dem Globetrotting.

„Kaum hatte man die unheilvolle Bundesligasaison 2018/19 durchlitten und zu den Akten gelegt, so setzte der Club in dieser Spielzeit noch einmal einen oben drauf, wobei man zum Saisonfinale dann noch das Sahnehäubchen in Form der Relegation gegen Ingolstadt präsentierte.“ fasst Leuchtturm-Harry in seinem Vorwort zu Heft 18 die FCN-Saison gewohnt gekonnt zusammen. Auf den weiteren Seiten gibt es die Berichte von den Spielen und die Rubrik Was geschah seit dem letzten Daggl?, die einen mit Kurzmeldungen auf den Stand der Ereignisse rund um den Glubb bringt. Dabei gibt es hier auch eine Enthüllung: „Seitdem es diese Rubrik gibt, habe ich vermeintliche User-Kommentare von so Seiten wie nordbayern.de, dem Glubbforum oder auch Faszination Fankurve erfunden und dadurch versucht, dem Ganzen hier einen satirischen Touch zu geben. Doch hat die Realität die Satire rechts überholt und so musste man insbesondere in den letzten Jahren Kommentare lesen, die man nicht mehr überspitzen kann. Diese sind geprägt von Hass, Unwissen und dem scheinbar grenzenlosen Drang nach Hetze.“ schreibt Benny wahre Worte zur Internetzwelt. Ich hatte die, die Stimmungslage gut wiedergebenden, Zitatschnipsel gerade deswegen für bare Münze genommen.

Von Sommertestspielbesuchen beginnend werden die einzelnen Spiele des FCN 2019/20 rekapituliert. In der Sommervorbereitung ragte das Spiel Rapid-Nürnberg heraus. „So genial der kurzfristig für Sonntag vereinbarte Kick bei der magischen Rapid auf der einen Seite natürlich ist, die breite Masse der an diesem Samstag im Pinzgau befindlichen Fanschar war von Zeit und Ort der Planung zumindest not very amused.“ Der für die Nürnberger Trainingslagerbesuchsgruppe in Salzburg reisewegs-geographisch ungünstige Sonntagabendtermin hinderte aber nicht am Besuch. Es wurde ein eindrucksvoller Abend „vor über 12.500 Zuschauern (darunter knapp vierstellig Rotschwarz), die gefühlt an einem Strang ziehen – eine herrliche Gesamtkonstellation! Die völlig positiv-eskalative Stimmung vom letzten Aufeinandertreffen im September 2013 lag mir noch in den Ohren (was für ein geiler Tag damals!!) und auch heute konnte absolut von einer grundsoliden und objektiv wohl ,überragenden Stimmung‘ (Zitat Nikola Dovedan nach dem Spiel), bei übrigens knapp doppelt so vielen Zuschauern wie damals, sprechen.“ Amüsante Anekdoten wie Bierkauf bei einem kurzen Zughalt nach telefonischer Vorbestellung unterwegs beim Bahnhofskiosk, nachvollziehbare Empörung gegen sinnlosen Videobeweis und sich steigernde Unzufriedenheit mit der sportlichen Talfahrt begleiten die Spielberichte der Zweitligasaison. Als Konstante entwickelten sich verspätete Ankünfte bei Auswärtsfahrten. Eine Premiere bringt der 11. Spieltag, da es erstmals seit Bestehen des Hefts umständehalber keinen Bericht von einem FCN-Pflichtspiel gibt. Fast schon wieder vergessen hat man die deutsche Farce um die Beleidigung eines Exponenten des modernen Fußballs als Weltuntergang. Das Heft gibt nochmals einen damals Anfang März 2020 auf der Facebook-Seite des Daggl erschienenen Kommentar zur Lage von Maxe wieder. Wenn die Fußballreise nach einem Nürnberg-Spiel noch weiterging, wird jeweils auf das Heft 19 verwiesen.

Bekanntermaßen veränderte sich Mitte März 2020 vieles im Leben aller. Im Heft ist über das Projekt der Nürnberger „Einkaufshelfer“ im Frühjahr und die Solidaritätssammlung der Ultras Nürnberg für Brescia zu lesen. Mische von UN erzählt über die dramatische Zeit in der Lombardei (27.000 Tote nur in der Region Lombardei bisher): „Hier gab es, anders als bei uns, einen wirklichen ,Lockdown‘. An arbeiten gehen war hier zum Beispiel für eine gewissen Zeit gar nicht zu denken und man musste beim Verlassen des Hauses einen Zettel ausfüllen, wo man hinging und was man dort mache, ansonsten drohte eine saftige Geldstrafe. Die Leute konnten also nur daheim sitzen, in der Hoffnung, dass nicht das Krankenhaus anruft und einen darüber informiert, dass ein Verwandter gestorben ist. [...] Diese Isolation, verbunden mit der konkreten Angst um das Leben seiner Liebsten, welche oftmals mit Sicherheit auch bittere Realität wurde, mag man sich fast gar nicht ausmalen. Allen voran, wenn man weiß, wie lebensfroh und herzlich unsere Freunde sind.“

In der Reihe Glubb-Classics gibt es diesmal Rapid-Classics, denn Leuchtturm-Harry erzählt vom Besuch beim legendären Europacup-Semifinalspiel von Rapid und Feyenoord 1996. „Am Club hatte man seinerzeit eh keine Freude, der Absturz in die Regionalliga stand vor der Tür, sodass man wenigstens ein bisschen an den Erfolgen von Rapid ein wenig Spaß haben konnte.“
Zum Thema Groundhopping gaben Benny und Maxe im Februar ein Interview für die deutsche Akademie für Fußballkultur, das viele zutreffende Aussagen enthält und für die Ewigkeit hier auch nocheinmal abgedruckt wird. Einzelne Zitate kann ich daraus nicht herausgreifen, da es zu viele wahre Sätze enthält.
Zur Nürnberger Fanzinegeschichte (aufgearbeitet auch in Ya Basta! 42) bietet das Heft eine interessante Aufstellung mit Titelblättern und Daten.
Zum Abschluss gibt es den Bedienungshinweis: „Wenn ihr das Heft jetzt umdreht, habt ihr die Ausgabe 19 vor euch!“

Nach erfolgreichem Wenden liegt das Heft 19 vor einem, das sich ganz dem Fußballreisen abseits des FCN widmet. Neben kleineren Fahrten gibt es wieder Erzählungen von den schon daggltypischen Asienreisen, diesmal sogar mit einer „Reise nach Absurdistan.“ Dieses mythische Absurdistan wurde bereits bei der Visabeschaffung in heimischen Gefilden betreten – besser hätte Jaroslav Hašek die Umstände auch nicht schreiben können. Als selbst eher kleinräumigem Reisen verschriebener Fußballtourist beeindrucken mich ja Sachen wie die von Benny erzählte dreiwöchige Reiseroute Belarus – Turkmenistan – Usbekistan – Tadschikistan – Thailand oder eine ebenfalls dreiwöchige Reise Bahrain – Saudi-Arabien – Kenia – Tansania, wie von marc04 berichtet, samt dementsprechenden Abenteuern. Von solchen lese ich jedenfalls lieber als dass ich ihnen ausgesetzt bin.

Weniger geographisch als inhaltlich exotisch sind dafür für mich Berichte wie jene von schammi über eine Baltikum-Tour oder ein Hamburg-Wochenende, wo neben Fußball zahlreiche andere Sportarten besucht wurden (Eishockey, Basketball, Kickboxen, Handball im Baltikum sowie Racquetball, Dreiband, Hallenhockey, Handball in Hamburg, samt Besuch der Tipp-Kick-Europameisterschaft in Nürnberg als Reiseabschluss). Da es mich zu so etwas gar nicht hinzieht und ich das weitgehend ausblende, bin ich immer überrascht, wenn Leute von so etwas reden oder schreiben und mich damit an die Existenz einer mir fremden Sportwelt außerhalb des Fußballs erinnern. Da ein Deutschland-Länderspiel Hauptpunkt der Reise war, traf man beim ersten Fußballspielbesuch auf einem Sportplatz in Tallinn, wo ein estnisches Frauen-Zweitligaspiel stattfand, auch zahlreiche Landsleute. Allerdings auch auf Leute mit Anfängerfehler: „Von den 74 Leutchen war kein unerheblicher Anteil mit bundesdeutschen Papieren ausgestattet. Statt bei der vorherigen Recherche auf die astreine Homepage des hiesigen Verbandes zu setzen, hatten sich diverse Zeitgenossen allerdings auf eine Falschmeldung von Soccerway verlassen, laut der an dieser Stelle ein Cup-Match der Herren sein sollte. Kollege Robert F. ließ es sich daher nicht nehmen, aufgeregt zu hinterfragen, warum hier Weiber aufm Platz wären.“ Exotik bringt auch ein Auswärtsfahrtbericht von Benny mit der Nürnberger Basketballmannschaft, deren Fanszene er in Ausgabe 17 vorgestellt hatte. Dabei machte er auch neue Erfahrungen: „Als wir Jena erreichten und in die Stadt einfuhren, kümmerte das anscheinend nur mich. Nicht dass der Puls jetzt irgendwie nach oben ging, aber ich hab es in einem Reisebus, der zu einer Sportveranstaltung in den Osten fährt, bisher noch nicht erlebt, dass unten an den Türen keine Vermummten standen und auf eventuelle Angriffe gewartet oder auf Gegner gehofft haben.“

Näher dran bin ich da schon eher bei Nicht-Exoten wie Berichten von Spielbesuchen in Luxemburg, Moldawien und natürlich Italien. Italien-Berichte kann man gar nicht genug lesen. Weiters gibt es im Heft Freddys Kooperationsgeschichte mit dem Groben Schnitzer samt Interview zu Partizani Tiranë und im Rahmen der Fanzine-Vorstellung ein Interview mit Gunnar Hielscher über seinen Weg und Der (Pf)lästerstein. Die beste Frage im Gespräch: Ausgabe 18 hatte dann auch mal gleich 428 Seiten! Ich möchte gar nicht wissen, was alleine das Österreich-Spezial für eine Arbeit war. Die gleiche Frage werde ich auch Arne vom La Cosa Nostra bei Gelegenheit stellen: Geht der Trend zum Monumentalwerk oder seid ihr einfach nur wahnsinnig?“

Einen Ausblick auf die Zukunft gibt Benny im Vorwort von Heft 19. Er schreibt, dass für die zwanzigste Ausgabe durch verschobene Berichte bereits einiges Material da ist, wodurch diese gesichert sei. Eine sehr gute Nachricht, die einen in harten Zeiten aufrichtet. Wenngleich die darüber hinausgehende Zukunft ungewiss bleibt: „Was ich nicht vorhersagen kann, ist, wie es nach der #20 mit dem Daggl und allgemein mit der Covid-19-Pandemie weiter geht. Das wird die Zeit zeigen ...“

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