Samstag, 20. März 2021
Lebe lieber außergewöhnlich, 3
Rezension
Lebe lieber außergewöhnlich
Nummer 3
136 S.
„2020 – Was war das bitte für ein haufen Kacke?“ spricht Jan seine „Freunde der gepflegten Scheißhauslektüre“ direkt an. Widersprechen kann man schwerlich. Was ihm das Fußballjahr 2020 dennoch geboten hat, findet sich in der lesenswerten dritten Ausgabe seines Fanzines Lebe lieber außergewöhnlich.
Die Spielberichte beginnen im Jänner 2020 beim Coupe de France und führen dann auf die Insel Malta. Dabei habe ich aufgehorcht, denn der Kollege war am selben Wochenende dort wie ich. Ebenso wie bei mir erfolgte die Anreise Freitagabend und genächtigt wurde in Sliema (mein Hotel befand sich 700 Meter von dem von ihm hier genannten entfernt). Ich blieb aufgrund Sonntagabendflugverbindung nach Bratislava aber nur zwei und nicht drei Nächte. Zwei Spiele am Samstag (14 Uhr und 16 Uhr) und drei am Sonntag (11 Uhr, 13:15 Uhr und 16 Uhr) besuchte ich – davon war Jan beim selben Samstagspätnachmittagsspiel sowie Sonntagfrühnachmittagsspiel und dem abschließenden Sonntagspätnachmittagsspiel. Das touristische Rahmenprogramm lief anders ab, denn während hier am Samstagvormittag eine Grotte, am Sonntagvormittag Valletta und am Montag (da war ich bereits wieder am Arbeitsplatz) Mdina besichtigt wurden, hatte ich nur am Samstagvormittag Valletta am Kulturprogramm. Selbst wenn wir uns persönlich kennen würden, wären wir einander zumindest in den Stadien nicht begegnet: Wie den Fotos zu entnehmen ist, befanden wir uns jeweils auf der anderen Hälfte der in der Mitte abgetrennten Tribünen bzw. beim letzten Spiel auf der anderen Stadionseite. Immer interessant sind in solchen Fällen sich überschneidende und divergierende Eindrücke.
Aus der Zeit vor der Zäsur gibt es im Heft noch Berichte aus der deutschen 3. Liga, von Derbys in Sofia und Hamburg oder der aufgrund Spielverlegung auf den Folgetag mit alkoholreicher Nacht versehenen Auswärtsfahrt mit Eintracht Frankfurt zu den Salzburger Dosen im Februar 2020 (Danke nochmal für deren Hinauswerfen aus dem Europacup! Jeder Dosen-Misserfolg ist ein Schritt zu einer besseren Welt). Andere Spielabsagen erfolgten dann im März. Am 8. März blieb noch der lokale Amateurfußball: „Bumskick-Premiere in der drei“, wie Jan es ausdrückt.
Nach der Corona-Zäsur ging es im Juni 2020 mit einem Tschechien-Wochenende wieder los, wobei von den Spielen auch schon im Trespass zu lesen war, weil sie mit den Kollegen gemeinsam besucht wurden. Danach ging es weiter weg, nämlich ins Baltikum. „Recht früh wurde bekannt, dass Estland seine Stadionpforten mit Beginn des Monats Juli für 1000 Zuseher öffnen will, ein Schnitt welcher bei Ligaspielen sowieso nie erreicht wird. So ging das Planen Anfang Juni allmählich los.“ Dass das so früh bekannt wurde, habe ich erst jetzt dem Heft entnommen. Allerdings hätte ich eine Reise dorthin aufgrund der Grenzübertritts-Unsicherheiten und der zahlreichen von Wien aus einfach zu erreichenden tschechischen (und danach bald slowakischen) Möglichkeiten ohnehin nicht in Erwägung gezogen. Neben diversen sympathischen Eindrücken ragt der Spielbericht von einem unterklassigen Cupspiel auf einem mit kleiner Tribüne ausgestatteten Nebenplatz des Kalevi Keskstaadion in Tallinn heraus. Das liegt zum einem am Lerneffekt, dass ein Kunstrasenplatz auf estnisch „Kunstmuru“ heißt. Zum weiteren rührt das daher, dass bei dem „waschechten Bumskick“ ein Rauchtopf im Einsatz auf der Tribüne zu bestaunen war. Vor allem aber ist der Name der Heimmannschaft Rumori Calcio II grandios. Da sprach das Publikum auch italienisch und ließ ein „Forza Ragazzi“ ertönen. Italienische Verhältnisse in Estland! Herrlich.
Bumskick ist ohnehin ein Stichwort im Heft. Unter dieser Markierung werden die Spielbesuche im regionalen Amateurfußballgeschehen vermerkt. Steigerungsform ist dabei wohl der „Testbums“, wie ein Testspiel liebenswert (?) bezeichnet wird. Vor den das Heft beschließenden Beiträgen (ein Erinnerungstext an eine Kanada-Reise 2016 und ein Nachruf auf Diego Maradona) ragt aus den coronabedingt eingeschränkten Fußballreisen des September und Oktober 2020 neben einer Fahrt zu Plätzen in Berlin und Brandenburg eine Reise in die schönste Stadt der Welt, heraus – Wien. Punktgenau bevor aufgrund den in Österreich durch die Decke schießenden Zahlen an Infizierten, Erkrankten, Spitalsbehandelten und Toten im Herbst 2020 Deutschland eine Quarantäneverpflichtung einführte, reiste Jan nach Wien, aß Schnitzel, besichtigte Graffiti und besuchte Spiele auf der Hohen Warte, in Mauer, in der Südstadt (wo ihn bei einer Partie der Admira-Amateure gegen Stripfing die Aussprache von Stripfing als „Strüüüüpfing“ amüsierte) sowie am Wienerberg und legte dazwischen einen Ausflug nach Rača ein, wo er zum Bericht in einem literarischen Versuch einen inneren Monolog einer Sitzschale beisteuert. Hier schließt sich wohl der Kreis der im Vorwort angerissenen Thematik der Ausscheidung. „So wäre der Punkt geistig komplett Dünnschiss auch erledigt.“
Ich sehe das Heft allerdings nicht in dieser Kategorie sondern finde es gut.
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