Dienstag, 16. März 2021

Höllenritt 7




Rezension


Höllenritt
elitär unterwegs
Ausgabe 7
104 S.









39 Spielberichte aus der zweiten Jahreshälfte 2020 bringt das Heft, von allen Pflichtspielen der BSG Chemie Leipzig plus Groundhopping. Dazu gibt es am Schluss auch wieder Spezialartikel mit Erinnerungen aus der Vergangenheit im Fanzine des Chemie-Fanclubs Höllenreiter – Das Elite-Gesindel.

Während in der Saisonvorbereitung von Chemie Leipzig fast alle Testspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden und es daher hier keine Berichte davon gibt, waren bei den Pflichtspielen ab Mitte August Zuschauerinnen und Zuschauer in beschränktem Ausmaß zugelassen. So waren zum Regionalliga-Auftaktspiel gegen den BFC Dynamo keine Gäste erlaubt, aber immerhin 1.000 Heimfans auf Sitzplätzen. Die Kurve blieb verwaist bzw. anderen überlassen: „Wo sonst das Leben tobte, die Zaunfahnen hingen, war nichts. Einzig zwei Ziegen trieben am oberen Norddamm neuerdings dort ihr Unwesen.“ Anfang September konnte die Kapazität verdoppelt werden, Ende Oktober musste sie aufgrund Überschreitens des 7-Tage-Inzidenzwerts 20 auf 999 gesenkt werden und nach dem letzten Spiel am 1. November 2020 wurde der Fußballbetrieb wieder eingestellt. Dazwischen blieb das Stadionerlebnis pandemiebedingt trist, wie beim Spiel gegen Carl Zeiss Jena zu lesen ist: „Niemals hätte ich das noch vor fünf Jahren für möglich gehalten, dass es dieses Spiel auf Augenhöhe geben sollte. Und jetzt? Jetzt ist es wahr und man spielt in der Coronapandemie gegeneinander, wo keine Gästefans und nur 2.500 zugelassen sind? Das ist schon extrem bitter.“
Auch Auswärtsspielen, bei denen eigentlich keine Gästefans zugelassen waren und es vorab keinen Onlineverkauf gab, wie bei einem Spiel unter der Woche um 17:30 Uhr in Berlin beim SV Lichtenberg 47, waren die Höllenreiter gemeinsam mit 100 anderen Chemie-Fans vor Ort. („Und nein, mein lieber Turus, der Großteil der hier anwesenden Gäste bestand eben nicht aus diversen Exil-Chemikern aus Berlin. Hier war vom Allesfahrer bis hin zum Ultra alles vertreten, die man auch sonst immer antrifft.“) In Meuselwitz lernte man Ordner mit den Namen „Keine Ahnung“ und „Weiß ich nicht“ kennen. Dass Corona vor niemand Halt macht, zeigte sich beim Auswärtsspiel beim FC Viktoria 1889 Berlin, auf das die aktive Fanszene um die Diablos Leutzsch freiwillig verzichtete, nachdem jemand aus ihren Reihen Kontakt mit einer infizierten Person gehabt hatte. Beim Spiel beim VfB Auerbach wurde aufgrund Überschreitens der 7-Tage-Inzidenz-Grenze 90 Minuten vor Spielbeginn die zugelassene Kapazität von 1.500 auf 999 gesenkt.

Die geringere Anzahl an aktuellen Spielberichten gleicht im Heft einerseits die Rubrik Geschichten aus dem Archiv aus. Hier kann man eine Zeitreise im Kopf zwei Jahrzehnte zurück machen, zu Leipziger Derbys in den Jahren 2000 und 2005 oder zur Gewalt-Orgie beim Derby Dresdner SC gegen Dynamo Dresden im Jahr 2002. Andererseits bietet man darüber hinaus auch spannende und lehrreiche Texte zum Fußball in der DDR und in den Wendejahren anhand der damaligen Beziehungen der Chemie-Fanszene zu Wismut Aue und Union Berlin.

Die Hoppingberichte beginnen – wie könnte es im ersten Jahr der Pest auch anders gewesen sein – im Juni 2020 in Tschechien. Kollege FauliKev vermied zunächst den Kartoffelauflauf“ deutscher Groundhopper ebendort und suchte sich nach mehreren Wochenenden für das Ende des Monats zur Premiere extra ein Spiel heraus, „was nicht gleich in jeder Facebook-Gruppe bzw. Groundhopper-App zu finden war.“ Beim Testspiel des FK Dolní Poustevna angekommen zeigte sich, dass das Vorhaben nicht wirklich gelang. Er vernahm „beim Betreten des Grounds schon den ersten fotografierenden Hopper. Aber damit nicht genug, sah ich Sekunden später ein Werder-Trikot und einen Typen, der seine Kartoffel-Tattoos auf seinem Oberkörper unbedingt präsentieren musste.“ Schließlich stellte er unter den 80 Zuschauerinnen und Zuschauern Hopper aus Aachen, Bremen, Freiburg, München, Basel und Remscheid fest.
Weiters gibt es von zahlreichen Amateurfußballspielen im weiteren Umkreis der Heimatorte der Autoren zu lesen. Sie wurden mit ähnlicher Verve wie von mir in jener Zeit besucht, solange dies eben noch ging. „Dank Corona nehme ich neuerdings jeden Schrott mit.“ heißt es zu einem Testspiel im August in undiplomatischen Worten hier. Ich bin ja ein Freund des Unterhausfußballs. Man lernt daraus hier Plätze wie die von Tasmane besuchte Viadukt Arena in Leipzig kennen und erfährt auch Korrekturen von Groundbezeichnungen auf den normal verlässlichen fussball.de und europlan-online.de. „So weist nämlich die Webseite Europlan den Hauptplatz als ,Sportanlage Schulsiedlung Neuer Platz‘ aus. Dies ist aber falsch, da ich diesen Ground kenne, seit ich denken kann. Den oberen Platz (laut Europlan fälschlicherweise ,Sportanlage Schulsiedlung Alter Platz‘ dagegen gibt es erst seit 10 Jahren.“ Dies hatte beim Testspiel von LSV Großhartmannsdorf und BSG Motor Zschopau ebendort im Juli 2020 eine kleine Hopperversammlung zur Folge, denen FauliKev etwas den Spaß verderben musste. „Zu meiner Erheiterung waren besagte Autobesatzungen aus Aue, Dresden und Kalle-Malle allerdings alle hier, um den Nebenplatz endlich zu kreuzen. [...] Nach meiner Aufklärung war der kleine Hopperauflauf teilweise genervt und verfluchte diverse Webseiten in die ewige Verdammnis.“

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