Samstag, 25. Oktober 2025

Stahl Brandenburg – BSC Süd 05 1:0 (1:0)

Deutschland, Brandenburgliga, 8. Spieltag, 25.10.2025
Stadion am Quenz, 4.703

Sensationelle 4.703 Leute im Derby in der sechstklassigen Brandenburgliga im ostdeutschen Brandenburg. Das ist das Zehnfache dessen, was hier in einem normalen Ligaspiel dabei ist. Im bis auf die Flutlichtmasten erhaltenen ehemaligen DDR-Oberligastadion traf Aufsteiger BSG Stahl Brandenburg erstmals seit Jahren auf den Brandenburger SC Süd 05. Ein Ambiente und eine Stimmung in einer Stadionkulisse, die vergessen ließ, in welcher Spielklasse man sich hier befindet. Am Spielfeld entwickelte sich ein kämpferisches Derby mit roten Karten auf beiden Seiten und dem 1:0 zum Derbysieg für Stahl Brandenburg nach einer Viertelstunde.
Beide Fanszenen zelebrierten dies. In der Südkurve von Stahl Brandenburg bezog man sich in der Choreographie zu Spielbeginn auf die große Vergangenheit in DDR-Oberliga und UEFA-Cup. „Von Dresden bis nach Coleraine – überall hat man unsere Farben gesehen“. Nicht nur das Zaunfahnenbild war hier sehr Old School im Stil der 1980er und 1990er. „Keiner wird es wagen, unsere BSG zu schlagen“ etc. Speziell sind die „Stahl! Feuer“-Rufe.
Gegenüber im Gästeblock leitete man das Spiel pyrotechnisch ein und zeigte um die Ultimo Branne einen ultràorientierten Support. Hände, hüpfen, melodisch. „Nieder mit dem Eisen, nieder mit dem Stahl. Nieder mit dem Stahl Brandenburg! Das singen wir nochmal...“ In der DDR hieß der 1905 gegründete Verein seinerzeit 1952 bis 1990 BSG Motor Süd, was sich im Gesang „Wir singen rot, wir singen weiß, wir singen rot-weiß Motor Süd“ wiederfand.
Dank des Aufstiegs von Stahl Brandenburg gab es erstmals seit dem Brandenburgpokal-Aufeinandertreffen 2022 wieder das Stadtderby in Brandenburg an der Havel. Davor hatte man 2009 ebenfalls im Cup gegeneinander gespielt und in der Meisterschaft zuletzt 2005/06.
Auch ohne Aufeinandertreffen ging es in der letzten Zeit heiß her. Da wurde anlässlich des Aufstiegs von Stahl Brandenburg auf das gegnerische Vereinsgelände gepinkelt, gegnerische Funktionäre mit Hausverbot belegt und Spieler verprügelten das Gegenüber in der Silvesternacht.
Während zu DDR-Zeiten die BSG Stahl Brandenburg sportlich in der Stadt dominierte, spielte der Stadtrivale BSC Süd 05 meist in der zweiten Liga. In den vergangenen Jahren hingegen war der BSC Süd 05 die höherklassige Mannschaft in der Stadt.
Die BSG Stahl Brandenburg wurde 1950 als Betriebssportgemeinschaft Stahl Brandenburg des Stahl- und Walzwerks in Brandenburg an der Havel gegründet. Die größte Zeit hatte der Verein in den 1980er Jahren, als man 1984/85 bis 1990/91 in der Oberliga der DDR erstklassig spielte (bzw. nach der deutschen Wiedervereinigung in der NOFV-Oberliga 1990/91). Heraus ragt dabei die Saison 1986/87, als man nicht nur bis ins Semifinale des FDGB-Pokals kam, sondern als Tabellenfünfter der Vorsaison auch zum ersten und einzigen Mal im Europacup spielte. Im UEFA-Cup konnte sich Stahl Brandenburg in der ersten Runde knapp gegen den nordirischen Coleraine FC durchsetzen und schied in der zweiten Runde gegen den späteren Europacupsieger IFK Göteborg aus Schweden aus. Reisen ins westliche Ausland verbot die DDR ihren Bürgerinnen und Bürgern, dafür stürmten die Fans das Stahlstadion. Im Rückspiel gegen die Göteborger werden es inoffiziell 20.000 bis 22.200 Leute gewesen sein. 1990 traten Fußball- und Handballabteilung aus der nunmehrigen SG Stahl Brandenburg aus und gründeten den BSV Stahl Brandenburg, der 1991/92 in der gesamtdeutschen 2. Bundesliga spielte, aber gleich abstieg. Aufgrund der Einstellung der Finanzierung durch das Stahlwerk wurde man 1993 nur mehr zum BSV Brandenburg, der in den 1990er Jahren die Ligen hinunterstürzte und 1998 pleiteging. Als Nachfolgeverein entstand der FC Stahl Brandenburg, der sich 2022 wieder den Traditionsnamen BSG Stahl Brandenburg gab. Wobei das BSG heute formal für Ball- und Sportgemeinschaft steht. Nach sieben harten Jahren in der siebtklassigen Landesliga spielt Stahl Brandenburg 2025/26 wieder in der sechstklassigen Brandenburgliga.
In Österreich war die BSG Stahl Brandenburg im Juli 1987 zu Gast und spielte im Trauner Stadion gegen den Bundesligaaufsteiger VfB Mödling (2:0-Sieg für Stahl 11.7.1987) den Linzer Stahlstadtklub SK Voest Linz (2:0-Sieg für Stahl 15.7.1987) sowie am ATSV-Platz in Steyr gegen Vorwärts Steyr. Im Juli 1989 gewann Stahl Brandenburg in einem Freundschaftsspiel am 12. Juli 3:1 gegen Sturm Graz in Kirchbach und 2:1 gegen den Kapfenberger SV in Kapfenberg.
Das Stadion am Quenz wurde 1955 nach dreijährigen Bauarbeiten als Sportstätte des Stahl- und Walzwerk Brandenburg für seine Betriebssportgemeinschaft Stahl Brandenburg am Gelände eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers aus dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Der Schutt der abgerissenen Gebäude wurde zum Aufschütten der als Tribünen dienenden Erdwälle genutzt. Nach dem Aufstieg der BSG Stahl Brandenburg in die zweitklassige DDR-Liga 1970 wurden Stehplatzränge gebaut und die heutige Gegengerade-Tribüne. Nach dem Aufstieg in die erstklassige Oberliga 1984 wurde weiter ausgebaut und die heutige Haupttribüne entstand. Einen offiziellen Namen hatte das Stadion nicht, es bürgerte sich aber die Bezeichnung Stahlstadion ein. 1988 begann man mit dem Bau von vier riesigen, imposante Flutlichtmasten, die den Umbrüchen 1989/90 geschuldet erst 1996 fertiggestellt wurden. Sie waren eine echte Sehenswürdigkeit, wurden aber schon 2017 trotz Protesten abgerissen. Nach der Übernahme des Stadions durch die Stadtgemeinde benannte man es Stadion am Quenz nach dem hiesigen Flusslauf. Seit 2024 laufen Renovierungsarbeiten, die ehrenamtlich freiwillig von Fans durchgeführt werden. So wurde die Südkurve schon hergerichtet. Eine Besonderheit ist die Anzeigetafel, die einst elektronisch war. Da es für die sowjetische Bauart aber keine Ersatzteile mehr gab, wurde die auf eine händisch zu bedienende Anzeige umgebaut, die aber dieselbe Optik hat.
Vor dem Spiel habe ich die Stadt Brandenburg an der Havel besichtigt.

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