Samstag, 10. April 2021

Zeitspiel 22



Rezension


Zeitspiel
Magazin für Fußball-Zeitgeschichte
#22 (I/2021)
100 S.









„Eine kurze Geschichte des europäischen Gedankens im Fußball“ bringt die Titelgeschichte des Hefts. Auf 41 Seiten wird das Thema Fußball und Europa behandelt. Europa ist ja ein komplexer Begriff im Fußball: Weder sind alle Staaten Europas Mitglied der UEFA noch liegen alle UEFA-Mitglieder in Europa. Darüber hinaus sind ja nicht nur Staaten Mitglied der UEFA. Verschiedene Beiträge unterstreichen die Rolle des Fußballs als verbindende und einigende Kraft über staatliche und nationalistische Grenzen hinweg.
Damit es nicht ganz untergeht, wird auch eine andere Ebene zumindest in einer Artikel-Einleitung einmal erwähnt: Fußball als Plattform und geradezu Verstärker von Hass und Nationalismus, wie es doch in der Realität wohl öfter vorkommt, wenn der verkürzte Blick vom Fußball als Spiel auf den Fußball als gesellschaftliches Phänomen erweitert wird. Man tut dies hier mit einem Bezug auf das Diktum vom „Krieg ohne Schießen“ (im Original „War Minus the Shooting“) von George Orwell, der schrieb: „Auf internationaler Ebene ist der Sport ein Kriegsspiel. Aber das Wesentliche ist nicht das Verhalten der Spieler, sondern die Haltung der Zuschauer; und, hinter den Zuschauern, der Nationen, die sich wegen dieser absurden Wettkämpfe in Wutanfälle hineinsteigern und im Ernst glauben – zumindest für kurze Zeitabschnitte –, dass Wettlaufen, Springen und Balltreten Kriterien der nationalen Tugend sind.“ (im Original im hier nicht als Quelle angeführten Artikel The Sporting Spirit aus dem Dezember 1945 in englischer Sprache: „At the international level sport is frankly mimic warfare. But the significant thing is not the behaviour of the players but the attitude of the spectators: and, behind the spectators, of the nations who work themselves into furies over these absurd contests, and seriously believe – at any rate for short periods – that running, jumping and kicking a ball are tests of national virtue.“)
Interessant ist im Rahmen des Schwerpunkt die Auflistung der verschiedenen grenzüberschreitenden Wettbewerbe, die es in Europa im Lauf der Fußballgeschichte gegeben hat, und die Darstellung von Fußball-Grenzgängern, mit einer Beleuchtung der Bodensee-Liga von 1909 bis 1913 mit Vorarlberger, Ostschweizer und süddeutschen Mannschaften, über die man verhältnismäßig wenig weiß.

Weitere Themen im Heft sind der Aufstieg von Degerfors IF in die schwedische Allsvenskan, Fußball in Eswatini (Swasiland) oder die Etablierung von Chemie Leipzig in der Regionalliga. Chemie kommt auch in einem Portrait über Stahl Riesa vor, wo in einem Interview zu erfahren ist: „Zu DDR-Zeiten gab es eine sehr aktive Freundschaft mit Chemie, die gar nicht mehr existiert. Da muss man auch sagen, dass sich die Regionen politisch unterschiedlich entwickelt haben. Je weiter Chemie in die linke Richtung gegangen ist, umso mehr ging es bei uns in die andere. Ohne dass der Verein politisch geworden ist, aber halt Teile der Fanszene.“ Dafür gebe es jetzt einen regen Kontakt der Riesa-Fanszene mit Lok Leipzig.

Eine wieder lehrreiche Ausgabe, die am Heftende die Freude der abgeschlossenen Lektüre mit der Ankündigung des Schwerpunkts Jugoslawien für Ausgabe 23 um die Vorfreude auf zukünftige Lektüre erhöht.

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