Freitag, 8. Dezember 2023

Erlebnis Fußball, 85/86


Rezension

Erlebnis Fußball
Ausgabe 85/86
03/2022
197 S. + 171 S.



Eine Fanzine-Doppelausgabe, die es in sich hat. Über 190 Seiten Interview mit der Blue Generation des 1. FC Magdeburg. Die ganze Ausgabe 85 besteht daraus. Für mich war es interessant, da ich schlicht keine Meinung über den mir dem Namen nach natürlich schon bekannten Block U hatte. Ich habe sie nämlich noch weder auswärts gesehen noch war ich bislang in Magdeburg. Besonders macht das Interview, dass sich Protagonisten und Interviewer aufgrund der Verbindung von Blue Generation und Diablos Leipzig seit Jahrzehnten kennen. „Auch wenn die Gruppenfreundschaft gemäß dem damaligen Ultra-Sprech schnell zu einem Waffenstillstand herabgestuft wurde, rissen die persönlichen Kontakte nie ab.“ schreibt Stefan dazu im Vorwort. Im Lauf der Lektüre lernt man viel – zumindest ich aufgrund der oben beschriebenen Voraussetzung – über die Entwicklung der Szene in Magdeburg, jene der Blue Generation im besonderen und auch über Ostdeutschland generell. Man liest davon, wie in den 1990er Jahren durch die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen und den tiefen Fall des Vereins („wo wir 1990 noch im Europacup gegen Girondins Bordeaux gespielt hatten, haben wir dann zehn Monate später gegen SC Gatow und die BSV Spindlersfeld gespielt“) alle Fanstrukturen verschwanden und nach dem vorläufigen Wiederaufstieg in die Drittklassigkeit 1997 sich wieder etwa zu entwickeln begann, woraus im späteren Verlauf die Blue Generation wurde. Allein das Namensfindungs-Preisausschreiben aus dem Jahr 2000 zeigt, wie anders die Zeiten waren.
Sehr viele Themen werden weiters behandelt wie Freundschaften und Kontakte, die Optik im Stadion, der Block U im neuen Stadion und die Strukturen darin mit Gruppen und lokal verankerten Fanklubs, die Pfeile-zum-Tor-Aktion 2012, einem Hype mit hoher Mitmachquote im ganzen Stadion, das Verhältnis zu CES, Fanzine oder die Rivalität zu Halle und die Konsequenzen des Umgangs mit dem Todesfall von Hannes („Halle hat einfach seinen Status als würdige Fanszene uns gegenüber verwirkt“).
Interessant sind die Ausführungen zur Freundschaft mit Hutnik Kraków und die bedeutenden Unterschiede, was es bedeutet, in Deutschland oder eben in Polen zum Fußball zu gehen. Aus der Freundschaft kann man wohl auch Schlüsse zum Support-Stil ziehen. „Wenn man in das Land Kontakte hat, schaut man schon auch eher ins restliche Land, als was beispielsweise Marseille gerade in Frankreich so macht, weil man da überhaupt keine Schnittmenge zu hat. Oder halt sonst wohin nach Italien, wo vielleicht andere Gruppen aus dem Westen mehr Bezug haben. Weil man uns immer diesen polnischen Stil nachsagt, – keine Ahnung, ob es so ist, kann man von außen wohl besser bewerten – aber wenn es so ist, dann wird das wohl unter anderem durch die Freundschaft zu Hutnik so sein.“
Wahrscheinlich sollte ich irgendwann mal nach Magdeburg fahren und mir das anschauen, bevor die Lektürekenntnisse im Kopf verblassen.

So viel Stoff das war, so war das doch erst die Hälfte des Bands. Verkehrt herum bietet die Doppelausgabe nach Wenden gleich auch Heft Numero 86. Dieses ist nicht monothematisch sondern reicht von einem Meinungsbeitrag der Harlekins Berlin zum Thema „Zaunfahnenklau mit allen Mitteln“ über ein Interview mit einem der Herausgeber eines umfangreichen Bildbands zur Fürther Fangeschichte zu dessen Entstehung und dem Thema selbst, Kölner Graffiti, einem Interview und Kommentar zum Thema Erhalt der Eintittskarte, einem Gespräch mit den Ultras Krefeld über das Grotenburg-Stadion, einer weiteren Ausgabe der hochspannenden Serie zu Slogans und ihren Hintergründen diesmal von der Cannstatter Kurve, einem Rückblick auf Cupfinali in Europa 2022 bis hin zu Reiseberichten vom Fest der Ultras Tito von Sampdoria, aus Peru (in beachtlichem, sehr persönlich gehaltenem und auch selbstkritischen Stil) und Montenegro.


A5 Format / 9,95 € / Kontakt erlebnis-fussball.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen