Dienstag, 6. Oktober 2015

Block West Echo, 35


Rezension


Block West Echo
#35
Sommer 2015
198 S.







Fünf Jahre dauerte die Fanzine-Pause der Ultras Rapid und als man schon gar nicht mehr daran dachte, dass sie ihr Block West Echo wiederbeleben würden, kam dann doch die Kunde einer neuen Ausgabe. Es wurde nicht einfach ein neues Heft, sondern ein 200 Seiten dickes, in hoher Druckqualität produziertes Buch im A4-Format mit sehr viel Lektüre und hunderten Fotos.

Zu Lesen gibt es ein Interview mit den Vorsängern und auch viel von und über ihren eineinhalb Jahrzehnte prägenden Vorgänger, Ex-Capo Oliver P., dem ein Foto-Rückblick gewidmet ist und der von seinen ersten Wegen und Reisen nach Haftende erzählt. Interessant sind seine Schilderungen zur Produktion von Erinnerungsstücken aus Steinen und Rasenstücken des Hanappi-Stadions während seines Hausarrests.

Der nachdenklichste Text stammt von Domenico Jacono. Er beschäftigt sich in einem wohldurchdachten Artikel mit der Bedeutung des Westen Wiens für die Identität Rapids. Jacono erzählt von den Hütteldorfer Erinnerungsorten (lieu de mémoire) der Ankunft und Abfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Hütteldorf, von diversen Wirtshäusern und Lokalen, in denen eingekehrt und über Rapid gesprochen wurde und wird, bis hinauf zu den Bezirken XV und XVI. Tausende kamen von dort früher zu Fuß zu den Matches, „weil sie sich nur die Eintrittskarte leisten konnten, den Fahrschein nicht mehr. So bezeichnete ,Völkerwanderungen‘ von Rapidlern aus den Hacklergrätzeln der westlichen Bezirke über den Flötzersteig auf die Pfarrwiese sind bis in die 1960er Jahre belegt.“
In einem großartigen kulturwissenschaftlichen Spaziergang nimmt uns Jacono mit, „vorbei am Reithoffer-Park, über dessen Schottersand schon vor 1910 Leopold Nitsch und in den 1930ern dann Ernst Happel mit dem Fetzenlaberl wirbelten, und in dessen Käfig später Andi Heraf und Ümit Korkmaz das Kicken lernten. Nicht zu vergessen die langjährige Stimme des Block West, der hier ebenfalls seine ersten Bock zerriss.“ zur Selzergasse, an der Rapid den ersten eigenen Sportplatz hatte bis hin zum Urban-Loritz-Platz, wo über Jahrzehnte die Geschäftsstelle ihren Sitz hatte. „Zahlreiche Erinnerungsorte, viele Wege, noch mehr Spuren und ungezählte persönliche und überlieferte Erinnerungen von abertausenden Rapidlern haben sich so im ganzen Wiener Westen und insbesondere in Hütteldorf in den letzten 118 Jahren zu einem gemeinsamen historischen Gedächtnis aufgeschichtet,“ schreibt Jacono, um zu seiner Warnung vor einer „Entwurzelung unseres Lebensbaums aus dem Wiener Westen und seiner Verpflanzung in den Bereich Zentrum-Ost der Stadt“ zu kommen. Derzeit trägt Rapid seine Spiele nach dem Abriss des Hanappi-Stadions und während des Neubaus des Weststadions übergangsmäßig im Ernst-Happel-Stadion im Prater aus. Das Praterstadion ist selbst seit dem ersten Spiel, das Rapid 1932 dorthin verlegte, ein Erinnerungsort Rapid, mit dem viele gute und viele schlechte Momente verbunden sind, wie Jacono festhält. Doch ihm geht es nicht um diesen Spielbetrieb, sondern um die auf längere Sicht vorgenommene Ansiedlung des täglichen Trainingsbetriebs. Damit folgten die Sesshaftwerdung von Spielern und Funktionären in der Leopoldstadt in naher Distanz zu ihrem Arbeitsort statt in Hütteldorf. Es folgte lautes Nachdenken über die Verlegung der Kooperationsschulen aus dem Westen in den Osten Wiens, damit sie näher an den Trainingsplätzen im Prater sind.
Domenico Jacono wendet sich gegen solche Tendenzen und regt u.a. an, etwa Aktivitäten für Fans wie den „Rapid-Lauf“ anstelle im Prater im Wienerwald zu veranstalten. Das neue Weststadion dürfe keine leere Hülle werden, die einmal in der Woche besucht wird. Hütteldorf müsse Zentrum und Heimat Rapids sein, wie es auch im Leitbild festgelegt ist. Ich teile die Ansicht über die unschätzbare Bedeutung des Westen Wiens und insbesondere Hütteldorfs für Rapid, denke aber dass die aus pragmatischen Gründen zustandegekommene Konzentrierung auf den Prater ebenso schnell wieder zurückgenommen werden wird, sollte sich die Gelegenheit eines passenden Grundstücks für ein Trainingszentrum im Westen auftun. Hier aktiv zu suchen wird wohl eine Aufgabe für den Verein und darauf zu drängen eine Aufgabe für den Anhang.

Dazu gibt es im Block West Echo bilderreiche Rückblicke auf Tifo-Höhepunkte der vergangenen Jahre wie das 25-Jahr-Jubiläum der Ultras und das Nürnberg-Freundschaftsspiel im Jahr 2013 oder natürlich den Hanappi-Abschied 2014. Mit den Folgen der Polizeigewalt nach dem Nürnberg-Spiel beschäftigt sich ein ausführliches Interview mit der Rechtshilfe Rapid. Ein Saisonrückblick lässt die Spiele 2014/15 Revue passieren. Sehr erfreulich sind auch die historischen Artikel über die Geschichte des Hanappi-Stadions, zur Geschichte des Torschals hinter dem Heimtor und Erinnerungen an das Erleben des ersten Europacupfinales Rapids gegen Everton in Rotterdam 1985. Es jährte sich heuer ohne Erinnerungsaktivitäten zum 30. Mal. Lesenswert ist der große historische Rückblick auf die Geschichte der Freundschaft der Ultras Rapid mit den Ultras von Venezia Mestre. Gute Lektüre sind weiters Texte über einen Besuch bei Hammarby und der aufgrund seiner vielen Hintergrundinformationen sehr spannende Artikel über das Frühjahrsderby Panathinaikos gegen Olympiakos, der auch bereits in Erlebnis Fußball erschienen war. Schmunzeln lässt die Rubrik „Was wurde aus Hugo Maradona?“ Schön ist die Covergalerie der bisherigen Ausgaben des Block West Echo (28 durchnummeriert, dann sechs Ausgaben mit Zusatz „neu“). Eine gut recherchierte Geschichte der Hütteldorfer Fanzinekultur gab es unlängst im Unterwegs zu lesen.
Im Alltag übersieht man immer wieder einiges, das man dann erst durch Lektüre wie hier erfährt. So war mir bisher entgangen, dass der Weststadion-Schriftzug, der im Zuge der Stadionnamens-Kampagne seit Jahresbeginn Materialien des Block West und Banner im Stadion ziert, dem Aufdruck alter Eintrittskarten entnommen ist (Bild aus der Ausstellung des alten Rapideums). Wer liest, weiß mehr.

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