Samstag, 29. November 2025

Magdeburg – Nürnberg 3:0 (0:0)

Deutschland, 2. Bundesliga, 14. Spieltag, 29.11.2025
Heinz-Krügel-Stadion, 26.943

Die gemeinsame Protestaktion von Magdeburger Block U und Nordkurve Nürnberg in der ersten halben Stunde unterstrich die Bedeutung des Themas. Beide Fanszenen betraten in den ersten zwölf Minuten ihre Blöcke nicht und schwiegen dann weiter bis zur Minute 30, um danach „mit einem ekstatischen Start des Supports ab Spielminute 30 aufzuzeigen, wer dem deutschen Fußball Spieltag für Spieltag sein Alleinstellungsmerkmal einbringt!“ wie in der dazu veröffentlichten Erklärung verlautet. „Die Innenministerkonferenz plant tiefgreifende und nachhaltige Einschnitte in die deutsche Fankultur und gefährdet somit unser aller Stadionerlebnis, welches geprägt ist von Kreativität, Zusammengehörigkeitsgefühl und Lautstärke.“ Entsprechend wandte sich der Block U mit Spruchband an die Innenministerin des Landes Sachsen-Anhalt Tamara Zieschang und die Nordkurve Nürnberg an den Innenminister von Bayern Joachim Herrmann.
Am Spielfeld verlor der Tabellenneunte 1. FC Nürnberg nach noch ausgeglichener Anfangsphase dann doch klar gegen den Tabellenletzten 1. FC Magdeburg. Am Ende waren es nur mehr zehn Nürnberger, die das Spiel nicht drehen konnten. Mit zwölfminütiger Spielunterbrechung aufgrund doch ordentlicher Rauchentwicklung aus dem Block U, VAR-Kontrollen, Verletzungen und Auswechslungen summierte sich die Nachspielzeit der zweiten Hälfte auf stolze 17 Minuten.
Über die Geschichte des Block U war zuletzt in einem großen, über 190 Seiten schweren Interview mit der 2000 gegründeten Blue Generation in Ausgabe 85 von Erlebnis Fußball zu lesen. Nachdem ich sie zuvor noch nicht gesehen hatte, besteht mein gesamtes Wissen über sie aus der Lektüre dieses Hefts. Stilprägend ist hier u.a. die Freundschaft zu Hutnik Kraków, wie in dem Interview zu lesen. Auch wenn laut „Fußballclub Magdeburg“ gerufen wurde, war der Support aber nicht dumpf-polnisch sondern es gab auch Lieder zu hören. Optisch fiel das völlige Fehlen von Fahnen auf. Nach dem Protest wurde mit einem lauten „Immer kämpfen, immer siegen, immer vorwärts FCM!“ der Support aufgenommen. Zur zweiten Hälfte überdeckte die bekannte Blockfahne Großer 1. FC Magdeburg den Block U. Dazu hieß es vorn am Zaun „Erhobenen Hauptes schreiten wir voran / immer vorwärts Mann um Mann“. Groß als Jubiläumsspiel gefeiert werden wird hier das 60-jährige Vereinsjubiläum mit Ganzstadionchoreographie beim nächsten Heimspiel am 13. Dezember, wie Ankündigungen des Vereins und ein Spruchband im Block U verlautbarten.
„Unsere Heimat ist die Kurve, unser Stolz der Glubb!“ schmetterte der Nürnberger Block nach dem Protestschweigen zur Minute 31. Wehende Fahnen, viel Pyro, eingängige Lieder. Die zu Beginn der zweiten Hälfte gezeigte Choreographie galt dem FCN – „deine Strahlkraft erhellt die Dunkelheit“. Die Strahlkraft wurde schön erhellend gezeigt. Zum traurigen Anlass eines Todesfalls bei Rapid kondolierten Spruchbänder.
Der 1. FC Magdeburg wurde vor sechzig Jahren im Dezember 1965 gegründet, als im Zuge eines Umbaus des Sportsystems der DDR reine Fußballvereine gebildet wurden und hier dazu die Fußballabteilung aus dem SC Magdeburg ausgegliedert wurde. Mit drei Meistertiteln, sieben Cupsiegen im FDGB-Pokal und vor allem der stolzen Anzahl von 72 Europacupspielen und – dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte – dem Europacupsieg im Cup der Cupsieger 1973/74 zählte man zu den erfolgreichsten und auch populärsten Fußballvereinen in der DDR. Die Fußballgeschichte in Magdeburg wurde in den ersten Jahrzehnten des 20.Jh. vom 1896 gegründeten Magdeburger FC Viktoria und dem 1897 gegründeten FuCC Cricket-Viktoria geprägt. Nach der Auflösung aller Fußballvereine durch die Besatzungsmacht nach der Befreiung von der Nazi-Diktatur 1945 bildeten sich die SG Sudenburg und die SG Lemsdorf, die sich 1949 zur SG Eintracht Sudenburg zusammenschlossen. Mit der Umstellung des Sportsystems in der DDR durch Einführung von Betriebssportgemeinschaften wurde daraus 1950 die BSG Krupp-Gruson Magdeburg einer hiesigen Maschinenfabrik, 1951 die BSG Stahl Magdeburg und 1952 nach Bildung der Sportvereinigung Motor für den Bereich Maschinenbau die BSG Motor Mitte Magdeburg. Im Zuge einer neuen Phase im Sportsystem der DDR mit der Gründungen von Sportclubs durch die Sportvereinigungen entstand hier 1955 der SC Aufbau Magdeburg, der 1957 die Fußballsektion der BSG Motor Mitte übernahm. Nachdem man seit 1951 in der zweitklassigen DDR-Liga gespielt hatte, schaffte man 1959 erstmals den Aufstieg in die erstklassige Oberliga. 1963/64 gewann man den FDGB-Pokal und spielte damit 1964/65 im Europacup der Cupsieger. In der ersten Runde gingen Hin- und Rückspiel gegen Galatasaray jeweils 1:1 aus, sodass nach damaliger Regel ein Entscheidungsspiel ausgetragen werden musste. Dieses fand auf der Hohen Warte in Wien statt, ging aber ebenfalls 1:1 aus. Erst das Los eines Münzwurfs durch den Schiedsrichter entschied dann die Begegnung für Galatasaray und gegen Aufbau Magdeburg. In der nächsten Saison wurde erneut der Cup gewonnen, zur Saison 1965/66 spielte man nunmehr ohne Aufbau als SC Magdeburg bis mit der oben genannten Neuerung im DDR-System der 1. FC Magdeburg gegründet wurde. Mit neuem Namen stieg man zwar aus der Oberliga ab, erreichte im Europacup aber das Viertelfinale. Nach dem Wiederaufstieg folgten erfolgreiche 1970er Jahre in Oberliga und Europacup. Dreimal Meistertitel der DDR 1971/72, 1973/74 und 1974/75, insgesamt siebenmal waren sie FDGB-Pokalsieger 1963/64, 1964/65, 1968/69, 1972/73, 1977/78, 1978/79, 1982/83 und dazu die Europacupsiegersaison 1973/74 als Höhepunkt. Nach Siegen über NAC aus Breda, Baník Ostrava, Beroe Stara Zagora und Sporting aus Lissabon gewann man auch das Finale im Rotterdamer De Kuip gegen den AC Milan mit Trainer Giovanni Trapattoni. Vor nur 4.644 Zuschauerinnen und Zuschauern, zumal eine Mannschaft aus dem Osten für das lokale Publikum unattraktiv klang und die DDR bis auf eine Handvoll Leute niemand aus ihrem Staat in den Westen ausreisen ließ. Alle Spieler der Magdeburger Europacupsiegermannschaften stammten aus dem Bezirk, was für die Verhältnisse der 1970er Jahre in der DDR schon ungewöhnlich war. Nachdem der 1. FC Magdeburg während der letzten Saison der DDR-Oberliga 1990/91 wichtige Spieler und auch den Trainer an verschiedene westdeutsche Vereine verlor, schloss man die Liga nur als Zehnter ab, war auch in der Qualifikationsrunde für die 2. Bundesliga nicht erfolgreich und spielte als vormaliger Erstligist 1991/92 nur mehr drittklassig in der Oberliga Nordost-Mitte im Amateurfußball. Saisonen in Oberliga, Regionalliga und eine Insolvenz 2002 prägten triste 1990er und 2000er Jahre. Epochemachend war der Regionalliga-Meistertitel 2014/15, der den Aufstieg in die 3. Liga und damit in den Profifußball brachte. Nach einem ersten Aufstiegsjahr in der zweiten Liga 2018/19 ist man nun seit 2022/23 in der 2. Bundesliga. Es könnte nach dieser Saison aber wieder in die 3. Liga gehen.
Das Heinz-Krügel-Stadion wurde 2006 anstelle des dafür abgerissenen alten Ernst-Grube-Stadion an dieser Stelle als Neubau eröffnet. Offiziell hieß es zunächst bis 2009 Stadion Magdeburg und trägt seither wechselnde Sponsornamen. Da man beim Bau offensichtlich nicht die Anwesenheit von Fußballfans in einem Fußballstadion einkalkuliert hatte, tauchten 2016 schwerwiegende statische Probleme auf, die zu einem aus Sicherheitsgründen ausgesprochenen Hüpf-Verbot führten. In den Jahren 2019 und 2020 folgte ein dies berücksichtigender Umbau. Auch wenn Heinz-Krügel-Stadion der allgemein übliche Stadionname ist, trägt offiziell seit 2009 nur der Vorplatz als Heinz-Krügel-Platz seinen Namen. 2014 wurde auch ein von Fans finanziertes Denkmal errichtet. Heinz Krügel war in Magdeburg 1966 bis 1976 Trainer und der Hauptverantwortliche für den Aufstieg zum Erfolgsverein, die drei Meistertitel und den Europacupsieg. 1976 wurde er von der politischen Führung als politisch unzuverlässig im Sinne der SED-Diktatur eingeschätzt und daher als Trainer abgesetzt. Er hatte u.a. Maßnahmen wie Abhören des gegnerischen Trainers Udo Lattek durch die Stasi im Europacupspiel gegen Bayern München 1974 abgelehnt und wollte die Informationen daraus nicht verwenden. Da ein fußballerischer Sieg über einen westdeutschen Verein ein politischer Prestigeerfolg für die DDR gewesen wäre, schadete ihm das. Über ihn wurde ein Berufsverbot verhängt. Erst nach dem Ende der DDR und der deutschen Wiedervereinigung wurde er vom DFB im Jahr 1996 rehabilitiert. 2014 wurde bekannt, dass er im Zweiten Weltkrieg nicht einfacher Soldat sondern in der Waffen-SS war. Eine historische Aufarbeitung fand keinen Nachweis einer persönliche Beteiligung an einem Kriegsverbrechen. Aber er war eben freiwilliges Mitglied einer militärischen Organisation, die zu diesem Zweck bestand und diese durchführte. Am Stadion erinnert auch eine Gedenktafel an den von den Nazis im KZ umgebrachten Arbeitersportler Ernst Grube, nach dem das vorherige Stadion benannt war.
Vor dem Spiel habe ich die Stadt Magdeburg besichtigt.

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