Mittwoch, 16. November 2016

Alte Heimat − neues Zuhause



Rezension


Peter Linden
Alte Heimat − neues Zuhause
Von der Pfarrwiese über St. Hanappi in die Grüne Hölle
Wien 2016 (WISO)
384 S.





Ein weiteres Buch des ehemaligen Rapid-Berichterstatters der Kronen Zeitung Peter Linden über den SK Rapid. Diesmal behandelt er anlässlich des neuen Weststadions die Stadien Rapids in seiner Geschichte. Ein interessantes Thema, das hier zwar umfangreich aber nicht aufschlussreich oder tiefgehend behandelt wird.

Die Erzählung zieht sich vom Schmelzer Exerzierfeld über Rudolfsheim, die Pfarrwiese, das Hanappi-Stadion und das Praterstadion bis zur Eröffnung der neuen Heimstätte in Hütteldorf. Es werden konventionell bekannte Geschichten erzählt und die Vereinsgeschichte personenorientiert als Geschichte der Spieler und ihrer Erfolge wiedergegeben. Einen vielschichtigeren Zugang darf man hier nicht erwarten. Dieser Aspekt ist aber durchaus kurzweilig zu lesen, wenngleich das Namedropping teilweise etwas zu umfangreich ausfällt (was aber wohl Geschmackssache ist). Viele Anekdoten und Geschichten liest man ja doch immer gerne. Wie das Stadionerlebnis für den Rapid-Anhang in dem jeweiligen Stadion war erfährt man hier nicht oder nur in geringen Teilen. Das gilt sowohl für die infrastrukturelle Ausstattung (es ist zu lesen, dass die Betonstufen des Stehplatzes auf der Pfarrwiese schon in den 1920er Jahren entstanden − tatsächlich stand man hier bin in die 1950er Jahre im Gras) als auch für Entstehung und Wandel der Fankultur.

Linden schreibt, wie Hickersberger von der den Gegner beeindruckenden Atmosphäre der Pfarrwiese erzählt, oder schreibt von der Stimmung im Hanappi-Stadion ohne zu erklären, was das mit den Leuten auf den Rängen zu tun hatte und wie diese dies zustande brachten. In der spieler- und vereinspolitisch zentrierten Geschichtsbetrachtung ist dies nur Beiwerk. Nebenbei erwähnt Linden erste große Choreographien der Ultras und druckt sogar die zur Weststadion-Eröffnung ausformulierten Verhaltensregeln im Block West, die sogenannten 12 Gebote, ab. Hintergründe fehlen. Wenn Linden kritisch ist, dann gegenüber nicht konformem Verhalten von Fans in jüngerer Vergangenheit. Der Platzsturm und Spielabbruch im Europacup-Semifinale gegen Benfica 1961 wird in traditioneller Weise belustigt berichtet, für den trotz allem katastrophalen Platzsturm 2011 findet das Wort „Bürgerkrieg“ Erwähnung. Mehrmals erwähnt Linden wohl aufgrund einer im Vorfeld der Entstehung des Buches tagesaktuellen Affäre unter Verweis auf vergangene Beispiele als Wunsch, dass Verpflichtungen von Austrianern im Rapid-Anhang gern gesehen würden. Das muss man nicht so sehen. Erneut bedauert Linden, dass bei der Präsidentenwahl 2013 der von ihm gewünschte Kandidat nicht zum Zug gekommen ist und verschweigt die Gründe dafür bzw. lässt dies auch von Hans Krankl als aus der Luft gegriffene Intrige darstellen. Die Erzählungen vom Weststadion-Eröffnungsspiel sind im wesentlichen ein PR-Text ohne dass etwa die in der Nachbetrachtung sicherheitstechnisch bedenkliche Überfüllung des Block West erwähnt wird. Dass die enge Promenade unter den Tribünen als Treffpunkt mit Rapid-Dorf-Charakter dient, mag in der Planung beabsichtigt gewesen sein, ist aber eine nicht verwirklichte Chimäre.

Wenn der spannende Teil über die Geschichte Rapids in der Nazizeit in der Ausstellung des Rapideum abgebildet wird, verweist Linden nicht auf die bemerkenswerte Aufarbeitung jener Zeit dort samt Darstellung von Tätern und Opfern, sondern es sind schlicht „Erinnerungen an erfolgreiche Zeiten in Berlin während des Zweiten Weltkriegs“. Zur Geschichte der Pfarrwiese gehört auch, dass hier Rapidlerinnen und Rapidler nach 1938 keine Spiele mehr besuchen konnten, weil sie von den Nazis verfolgt und später ermordet wurden, oder dass hier der NS-Folterer Fritz Durlach als Rapidspieler in der Nachkriegszeit bei einem Spiel selbst verhaftet wurde. Alles publiziert und nachzulesen, aber nicht hier.

Eine gute Funktion erfüllt das Buch als Nachschlagewerk mit einer Fülle von Zahlen zum Weststadion. Das Stadion beinhaltet etwa 180 Außentüren, 370 Innentüren, 1.500 Betonstopfsäulen und die Flutlichter bestehen aus 188 Stück Halogenscheinwerfer zu je 2.000 Watt. Beim ersten Heimspiel gegen Red Bull wurden abseits der VIP-Ausspeisung 15.345 alkoholische und 15.206 alkoholfreie Getränke verkauft, dazu 6.329 Lebensmittel wie 1.340 Hotdogs mit Käsekrainern, 721 Hotdogs mit Frankfurtern und 331 Hotdogs mit Bratwürsten. Für Freundinnen und Freunde solcher Zahlen ist das Buch sicher eine Fundgrube.

Die Texte sind mit einer wahren Bilderflut hunderter Fotos vor allem von Spielern illustriert. Viele davon sind schön anzusehen, aber sehr viele auch zuviel des Guten. Das Buch ist ein halber Bildband. Manche der Bilder aus älterer Zeit sind in erstaunlich schlecht digitalisierter Qualität abgedruckt. Die Baustellen-Bilder geben dem Buch einen Stellenwert als Zeitdokumentations-Bildband.

„Grüne Hölle“ mag ein Leitbegriff des Architekten für seine Planung gewesen sein. Dass das Weststadion tatsächlich jemand so nennt oder sich mit diesem Begriff identifiziert, wage ich zu bezweifeln.

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