Sonntag, 29. November 2020
Zeitspiel 20
Rezension
Zeitspiel
Magazin für Fußball-Zeitgeschichte
#20 (III/2020)
100 S.
Fußball und Identität ist das Titelthema, das auf 41 Seiten aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Fanidentitäten in Nähe und Distanz, Vereinsidentitäten auf lokaler und regionaler Ebene etc. „Und plötzlich war der Verein weg“ ist darunter ein interessanter Text von Zeitspiel-Herausgeber und Chefredakteur Hardy Grüne betitelt, der beschreibt, wie er als Fußballfan seinen Verein verlor. Nach langen finanziellen Problemen wurde das Insolvenzverfahren seines 1. SC 05 Göttingen im Jahr 2003 abgebrochen und der Verein aus dem Vereinsregister gelöscht.
„Ratlos stand ich vor den Wochenenden. Fast 30 Jahre lang hatte ich im Rhythmus Heimspiel/Auswärtsspiel gelebt. Hatte meine Kumpel im Fanblock getroffen, auf dem Weg zum Auswärtsspiel viel Blödsinn gelabert und viel Bier getrunken, gelitten, gehofft, gejubelt, gejammert, geliebt. Die Leere in mir war unbegreiflich. [...] Die Lücke im Herzen schmerzte weiter. Irgendwann vernarbte sie ein bisschen. Weil aus der Asche etwas erwuchs, das mir erlaubte, es als Ersatz zu akzeptieren: Der aus dem von Fans gegründeten FC 05 und dem Vorstadtklub RSV Geismar gebildete RSV Göttingen 05. Es war wie eine frische Liebe. Alles war neu. Wappen, Farben, Sportplatz. Zugleich war vieles vertraut. Die Mitfans, das ,ich bin 05er‘. Die acht Jahre von 2005 bis 2013 waren die vielleicht schönsten meiner Fanliebe. Dann kam wieder ein Geldgeber, schwadronierte von ,one team, one dream‘ und killte meine Fußball-Liebe erneut und diesmal für immer. Heute gibt es in Göttingen neben dem RSV 05 einen Verein, der sich I. SC 05 nennt, das alte 05-Wappen trägt und im alten Stadion spielt. Er ist mir egal. Mit meiner Liebe zu 05 hat er nichts zu tun, außer, dass er (fast) dessen Namen und Wappen trägt. 2003 ist meine Fußball-Liebe gestorben. Aber erst seit 2013 bin ich endgültig Fußball-Witwer.“
Es lässt über eigene Gefühlslage in solchen Umständen nachdenken. Zu einem Schluss, wie es mir gehen würde, bin ich nicht gekommen. So eine Situation ist überwältigend.
Spannend ist ein Interview mit den Herausgebern des englischen Magazins Groundtastic, das sich mit der britischen Stadionentwicklung beschäftigt. Bemerkenswert ist dabei ein von ihnen angesprochenes Faktum, dass sich die letzten drei Jahrzehnte mit ihren zahlreichen Stadionneubauten gegenüber den Jahrzehnten zuvor drastisch unterscheiden: „Zwischen 1955, als Southend United sein Stadion Roots Hall eröffnete, und 1988, als Scunthorpe United den Glanford Park bezog, gab es in England kein einziges neues Football-League-Stadion. Also über 33 Jahre kein neuer Ground! Allein seit 1990 aber hat es dutzende von Neueröffnungen gegeben.“ Illustriert wird das Interview von zahlreichen Bildern aus ihrem Buch über Lost Grounds, die einen die Augen weiten lassen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen