Mittwoch, 23. März 2016
Zeitspiel 3
Rezension
Zeitspiel
Magazin für Fußball-Zeitgeschichte
#03 (1/2016)
98 S.
Erst die dritte Ausgabe und doch möchte man das Zeitspiel-Magazin nicht mehr missen. Die Dichte und Qualität an Informationen, die man hier geboten bekommt, ist schier unglaublich. Erstaunlich sind jedes Mal wieder Länderportraits wie diesmal Ecuador, wo man alles über Fußballgeschichte und Vereine eines solchen Landes erfährt, das doch abseits des Blickfelds liegt. Dazu wieder ein Portrait eines gefallenen Traditionsvereins und seines Stadions (Wuppertaler SV) und eine weitere Folge der Serie über Schlesien, die einen mittlerweile schon in ihren Bann gezogen hat.
Mit einer gesellschaftlich aktuellen Themenstellung beschäftigten sich Hardy Grüne, Dietrich Schulze-Marmeling und Frank Willig im Schwerpunkt Flucht, Vertreibung, Migration, Integration. Sie blicken auf die Migrationsgeschichte im deutschen Fußball und spannen dabei einen weiten inhaltlichen Bogen: Ohne britische Migranten, die Ende des 19.Jh. zur Arbeit in alle Welt ausschwärmten, gäbe es keinen globalen Fußball. Deutsche Auswanderer brachten den Fußball nach Brasilien oder Nordamerika. Die erste migrantische Fußballgeneration in Deutschland waren die polnischen Arbeitsmigranten, die seit den 1870er Jahren aus den heute in Polen liegenden Ostprovinzen des Deutschen Kaiserreichs zu hunderttausenden zur Arbeit in Bergbau und Industrie ins westdeutsche Ruhrgebiet kamen. So „wurde der aufstrebende FC Schalke 04 mit seinen Stars Szepan, Kuzorra, Tibulski, Zurawski etc. als ,Polacken- und Proletenverein‘ bezeichnet.“ Die Vertreibungen und Morde der Nazis werden im Artikel kurz gestreift (würde wohl den Rahmen sprengen), dann wird über die Generationen der Ostvertriebenen und Flüchtlinge infolge des Zweiten Weltkriegs und die später angeworbenen „Gastarbeiter“ berichtet. Sie gründeten sowohl auch eigene Fußballvereine, aber auch ihre Integration erfolgte teilweise über den Fußball. Der DFB verwehrte aber bis in die 1960er Jahre die Teilnahme von Ausländern am westdeutschen Fußballbetrieb. Alleine im Bundesland Nordrhein-Westfalen agierten damals mehr als 80 ausländische Fußballmannschaften außerhalb des DFB-Spielbetriebs, was schließlich zu einer unhaltbaren Situation geführt hatte, wie Zeitspiel berichtet. Ab 1971/72 durften Ausländer dann gleichberechtigt im westdeutschen Amateurfußball teilnehmen. Da gab es aber auch schon einige „Gastarbeitervereine“. Der Berliner Verein Türkiyemspor erregte in den 1980er Jahren Aufsehen und Aufregung, als sie von zahlreichen Fans unterstützt an der 2. Bundesliga anklopften. Als Beispiel eines Vereins, der heute an Integration arbeitet, wird Wacker München präsentiert.
Mit einer Weltkarte werden einige von Flüchtlingen und Migranten gegründete Verein kurz dargestellt, von AEK in Athen über die Boca Juniors in Buenos Aires bis hin zum palästinensischen Verein Al-Widhat in Jordanien. Angesichts der Fülle an weiteren Beispiele, die es hier gäbe (allein in Griechenland gibt es ja viele Beispiele), hätte man hier mehr daraus machen können. Aber ich will nicht hoffärtig sein. Die Botschaft, dass migrantische Fußballvereinsgründungen ein globale Geschichte sind, wird deutlich. Interessant ist ein Interview mit einem Deutschen mit bosnischen Wurzeln über seine Identität, da er Deutschland zwar als Zuhause und Heimat begreift, sein fuballerisches Herz aber in (FK Sarajevo) und an Bosnien hängt. Als Groundhopper hat er eine erfreuliche Präferenz: „Meine Nummer eins ist jedoch Rapid Wien, schon aufgrund persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse. Fantechnisch bin ich bei Rapid-Spielen noch nie enttäuscht worden.“
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