Mittwoch, 11. Juli 2012

Unser Mann in London



Rezension


Moritz Volz
Unser Mann in London
Reinbek bei Hamburg 2012
(Rowohlt Taschenbuch Verlag)
255 S.





Dieses Buch ist die amüsanteste, aufschlußreichste und insgesamt lesenswerteste Fußballer-(Auto-)Biographie, die ich bislang gelesen habe − und das von einem Spieler, dessen Name mir zuvor nichts sagte.

Aus dem Nachwuchs von Schalke 04 wagte Moritz Volz einst den Sprung zum Arsenal FC. Er bekam 1999 als 15-jähriger vom Londoner Großklub ein Angebot und tat sich schwer mit der Entscheidung, die unter dem Schlagwort „Kinderhandel“ (so ein DFB-Funktionär) in den deutschen Zeitungen und im Fernsehen diskutiert wurde. Für den Teenager Volz war das nicht leicht: „Es half wenig, daß alle Welt sich bemüßigt fühlte, ihre Meinung zu mir und Arsenal kundzutun. Heute ist es alltäglich geworden, dass deutsche Jugendliche mit 15 oder 16 nach England ziehen, um ihre Ausbildung bei den Klubs der Premier League zu absolvieren. Ich aber war der Erste.“ Volz war bald sehr zufrieden mit seiner Entscheidung für den Wechsel ins große Unbekannte. Auch wenn die Anfangsphase schwer war.

Nicht nur die strukturellen Voraussetzungen waren im englischen Fußball anders als im heimatlichen Umfeld. Die englische Spielkultur prägte Volz bald, wie er dann merkte: „In Deutschland wurden Außenverteidiger wie ich meistens mit einem langsamen Querpass vom Innenverteidiger angespielt. In England dagegen liegt das Augenmerk darauf, die kleinste Unordnung in den Reihen des Gegners sofort auszunutzen. Das schafft man nur mir schnellem Vorwärtsstoßen. [...] Später, wenn ich zur Juniorennationalelf in den deutschen Fußball zurückkehrte, merkte ich immer, wie sehr mich das englische Spiel geprägt hatte. Mein Instinkt war, sofort steil nach vorne zu spielen, sobald ich den Ball hatte.“
Für seinen deutschen Trainer aber „blieb das falsch, selbst wenn daraus etwas geworden war“.

Auch wenn er sich letztlich bei Arsenal nicht in die Kampfmannschaft spielen konnte, wurde ein gestandener Premier-League-Spieler bei Fulham aus ihm. Neben allerlei Geschichten aus dem Leben eines Fußballprofis sind zwei Passagen besonders spannend, in denen er seinen Kontakt mit dem Freizeitfußball beschreibt. Seine Mitspieler wußte zunächst nichts von seiner Profession. So beobachtet er bei seiner Teilnahme an einem Kickerl im Park, wie viel die Hobbykicker miteinander redeten und ihren Mitspielern mit ein paar Worten ihre nächste Aktion, ihren nächsten Pass ankündigten, damit diese sich vorbereiten konnten. Ganz anders als in seinem Fußballalltag: „In der Regel wird Profifußball heutzutage schweigend gespielt. Wir lassen unsere Pässe reden. Wenn du einem Kollegen den Ball scharf und hart zupasst, weiß der automatisch, er hat einen Gegner direkt hinter sich. Wenn der Mittelstürmer zurückeilt, um sich dem linken Außenverteidiger als Anspielstation anzubieten, wissen alle, ohne zu schauen oder gar zu rufen, jetzt sprintet der rechte Außenverteidiger auf seinem Flügel hinunter und kann blind angespielt werden. Die Spielzüge sind mittlerweile derart einstudiert, daß dazu nichts mehr gesagt werden muß und auch kaum Zeit für Sprüche bleibt. Die Spieler, die im Profifußball heute noch während eines Matches reden, wollen nicht ihren Mitspielern helfen, sondern sich selbst. Das Gequassel beruhigt ihre Nerven.“

All sein Können und seine Erfahrung aus dem Profifußball waren in anderem Umfeld Makulatur. Über sein Erlebnis beim Mitspielen in einem der vielen Fußballkäfige in London schreibt Moritz Volz: „Wir spielten 8 gegen 8 auf 30 mal 15 Metern. Es war die Spielwiese der Dribbler und Trickser. Ein Profifußballer spielt anders, ein Profi sucht immer den einfachen Pass, das schnelle Abspiel. [...] Jedes Mal, wenn ich am Ball war, spürte ich die taxierenden Blicke der Ballkönige. Nach einigen Minuten begannen sie mir Tipps zu geben. [...] Meine sauberen, übersichtlichen Pässe waren in ihren Augen ja ganz okay, aber technisch hatte ich wohl nicht so viel drauf, oder warum dribbelte und trickste ich so wenig?“

Die verschiedenen medialen Zuschreibungen zwischen englischer Deutscher und deutscher Engländer findet er nicht überzeugend: „In meinen Augen wurde ich in England einfach nur erwachsen − und im besten Fall ein Londoner.“ Für die Leserin und dem Leser seines Buches fungiert Volz als Verbinder der Kulturen. Er erzählt, wie sehr er sich in London nach Handwerkern, die ihr Handwerk verstehen, sehnte, weshalb die sprichwörtlichen polnischen Installateure, die nach der Arbeitsmarktöffnung in Massen auf die Insel strömten, willkommen geheißen wurden. Neben der extensiven Vorliebe für Sonnenbrände fallen Außenstehenden oft befremdliche Bekleidungssitten in England auf. Volz erklärt sie verblüffend einfach und anschaulich: „Hier richtet man sich bei der Kleiderwahl weniger nach der Temperatur als nach dem Sonnenlicht. Je heller, desto weniger Kleidung, heißt es jedes Jahr im Frühling wieder, wenn nach den dunklen Monaten die Sonne in voller Pracht zurückkehrt. Dann strömen die Londoner in T-Shirts und kurzen Röcken ans Licht, sie sitzen in den Parks auf den Wiesen und vor den Pubs an vielbefahrenen Straßen. Es mag nur zwölf Grad haben, es mag objektiv zu frisch für kurze Ärmel sein, aber das spielt keine Rolle: Die Sonne ist da. Ihr muss gehuldigt werden. Einige Tage später mag die Temperatur auf 16 Grad steigen. Doch wenn es bewölkt ist, trägt die Mehrheit wieder Pullover und Jacken.“

Am Ende wurde die Stadt, in der er erwachsen geworden war, seine Heimat, auch wenn ihn seine später von Rückschlägen geprägte Fußballerkarriere weiterzog.
Mit seinem sehr kurzweiligen Buch macht er Lust auf England und den englischen Fußball.

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