Dienstag, 23. September 2014
Ballesterer 95
Rezension
Ballesterer
Nr. 95, Oktober 2014
82 S.
Die allegorische Figur der Iustitia ziert das Titelblatt, doch sie hält in der rechten Hand kein Richtschwert sondern einen Polizeischlagstock. Schwerpunktthema des Hefts ist der jüngste von Gerichtsprozessen zum Strafrechtstatbestand des sogenannten Landfriedensbruchs, der dieser Tage mit Schuldsprüchen in der ersten Instanz zu Ende gegangen ist. Nachdem der für bürgerkriegsähnliche Situationen konzipierte Paragraph jahrzehntelang beinahe totes Recht war, wurde er in den letzten Jahren von der (Wiener) Polizei und Staatsanwaltschaft reaktiviert, um vor allem gegen Fußballfans, aber auch gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer politischen Demonstration vorzugehen, bei der es zu Gewalttaten gekommen war. Denn für Verurteilungen muss vereinfacht gesagt lediglich nachgewiesen werden, dass in einer Menschenmenge strafrechtlich Relevantes passiert ist und die Betreffenden anwesend waren. Der Nachweis individueller Schuld und von den Personen konkret begangenen Straftaten (Körperverletzung, Sachbeschädigung etc) ist nicht notwendig. Dutzende Rapid-Fans wurden so seit 2012 zu teils längeren bedingten und unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt.
Im jüngsten und hier behandelten Fall geht es um Ausschreitungen nach dem für die Ultraszene aufgrund Fanfreundschaft bedeutenden Freundschaftsspiel Rapid gegen Nürnberg, bei dem ein Fußballfest und Verbrüderung der Fans gefeiert worden waren. Die Polizei war dennoch in Armeestärke anwesend und nutzte wohl mutmaßlich die Gelegenheit der Abwesenheit des Großteils von Fans außerhalb der aktiven Fanszene zum Demonstrieren, wer der Stärkere ist. Die Justiz bestätigt das repressive Vorgehen, da es der Gesetzeslage des Landfriedensbruchparagraphen entspricht. Mit im sozialen Umfeld möglichst aufsehenerregendem Abführen der Verdächtigten von Wohnsitz und Arbeitsplatz und langer Untersuchungshaft (u.a. von Personen, deren Verfahren später eingestellt wurde oder die schließlich freigesprochen wurden), langer Prozessdauer sowie unterschiedsloser Verhängung von Stadionverboten durch die Bundesliga über alle Angeklagten, auch die als unschuldig Freigesprochenen, wirkte bereits das rechtsstaatliche Prozedere selbst als Bestrafung.
Stefan Kraft und Jakob Rosenberg haben den Prozess beobachtet und stellen seine Problematik und den gesellschaftspolitischen Zusammenhang in ihrem Artikel dar. Mit einer wohl zutreffenden Einschätzung zitieren sie darin die Nationalratsabgeordnete und Rapid-Anhängerin Nurten Yılmaz: „Ich glaube, unsere Polizei kann gut mit Gewalt umgehen, aber nicht mit Respektlosigkeit.“ Das sieht man derzeit wohl auch in anderem Zusammenhang wieder.
Interessant sind im Heft weiters eine Analyse vereinsinterner Problematiken und Vorgänge bei Sturm Graz sowie ein kleiner Text über Verhältnisse in Kroatien. Dort hält sich Dinamo Zagreb mit Lokomotiva Zagreb ein Farmteam, das ebenfalls in der ersten Liga mitspielt und auch am Europacup teilnahm. Der Zweitvertretungsklub ist rechtlich formal eigenständig, wird aber über hohe Transfersummen von Dinamo finanziert, wie Aleksandar Holiga in einer Kolumne beschreibt. Lesenswert ist auch noch Klaus Federmairs Reportage aus İstanbul über Abriss und Neubau des İnönü Stadyumu.
Aus der sehr geschätzten Ballesterer-Serie Fußball unterm Hakenkreuz heraus entstand nun auch ein Buch. Mit David Winterfeld, geb. Forster, einem der Herausgeber des Buchs Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“, führe ich in diesem Heft ein Interview darüber.
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