Donnerstag, 13. Dezember 2012
Il Teppista
Rezension
Giorgio Specchia
Il Teppista
30 verfluchte Jahre in Mailand
Freital OT Pesterwitz 2012
(Burkhardt & Partner Verlag)
182 S.
„Ich habe mich niemals an irgendjemanden verkauft, vor allem an keinen Journalisten. Aber ein Buch, besser ein Roman über mein Leben mußte sein. Warum? Vor allem anderen, weil ich über Ultras immer und ausschließlich Mist gelesen habe, geschrieben von Leuten, die niemals Ultras kennengelernt haben. So als ob man mich ein Konzert in der Mailänder Scala rezensieren oder einen Leitartikel zur Staatsverschuldung schreiben ließe.“ So heißt es im Vorwort aus der Feder des Protagonisten Nino Ciccarelli.
Das Buch Il Teppista („der Rowdy“) ist seine Lebensgeschichte in Romanform, geschrieben von Giorgio Specchia. Der heutige Sportjournalist Specchia ist wie Nino Ultra von Inter, aus der Gründungsgeneration der Gruppe Viking in den 1980er Jahren. Wie der Autor im Interview in Blickfang Ultra erzählte, traf er Nino beim Champions-League-Semifinale 2010 in Barcelona nach Jahren wieder und die Idee für das Buch entstand. Es erschien 2011 im italienischen Original und wurde nun in bewährter Weise von Kai Tippmann vom Blog altravita übersetzt und vom Team genannter Zeitschrift herausgebracht. Schon 2010 und 2011 hatten sie bemerkenswerte Stücke italienischer Ultràliteratur auf Deutsch zugänglich gemacht.
Die Hauptfigur Nino ist kein Sympathieträger. Er ist ein Krimineller. Das Messer sitzt locker, er sticht damit oft und oft zu und schießt in der Auseinandersetzung um ein Revier im Drogenhandel auch mit Schußwaffen auf Menschen. Die geschilderten Affären mit Frauen sind allesamt tragisch. Er wird wegen eines Toten bei einem Auswärtsspiel unschuldig eingesperrt, aber schließlich kommt er auch wegen tatsächlich begangener Taten hinter Gitter. „Ninos Haftjahre summieren sich schnell.“ Zwölf Jahre werden es. „Aber Nino ist eben so, ,im Guten wie im Bösenʻ. Das wiederholt er immer seiner Mamma, wenn die ihn im Knast besucht. Und das wiederholt er sich auch selbst gegenüber. Du bist ein Rowdy, kannst aber mit erhobenem Kopf gehen. Du hast niemals jemanden verraten, hast niemals jemanden in den Rücken getroffen.“
Es ist ein ereignisreicher Roman eines Lebens. Er beginnt bei Auseinandersetzungen in der Schulzeit und führt, durch Gefängnisaufenthalte unterbrochen, zu Phasen neureichen Lebens. Aus dem Privatklub einer Diskothek wirft er nach einer Derbyniederlage einen feiernden Spieler hinaus. Er ist bei der Party eines anderen Spielers zu Gast, die dieser auch noch kurz vor einem Spiel feiert, zu dem er sich dann verletzt meldet. Ein rasantes Leben.
Überfälle, Körperverletzung, Wettbetrug und Gefängnis sind aber nicht alles. Da ist vor allem und immer wieder der Fußball, genauer gesagt eigentlich Inter und seine Freunde in der Kurve. Über das Zusammenwachsens des Freundeskreises der Ultragruppe gibt es den schönen Satz „Die Freunde des Sonntags, dann auch des Mittwochs, werden langsam zu Freunden der ganzen Woche.“
Die interessanteste Passage erzählt den berühmten Mopedwurf von San Siro nach. In einer kreativen Aktion hatten sich die Atalanta-Ultras 2001 in einem Moped-Corteo aus Bergamo nach Mailand aufgemacht und fuhren natürlich auch demonstrativ an der Inter-Kurve vorbei. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen. Der Motorroller, der schließlich in der Curva Nord die Stadionränge hinunterkullerte, hatte einem Capo aus Bergamo gehört. „Für die Nord wird er zum Symbol für die Flucht der Rivalen, zum Skalp, den man dem Feind unter die Nase halten muß. Im San Siro ist das möglich: da gibt es tatsächlich eine äußerst bequeme Rampe, die in den zweiten Oberring führt. Und ein Scooter ist dann auch gar nicht so schwer. Während des Spiels taucht er dort oben auf, im Herzen der Kurve.“
Dann wird die Vespa zum Symbol. 2001 ist nicht 2007, aber es sind auch nicht mehr die 90er Jahre: „Währenddessen wird die Prügelei mit den Scootern aus Bergamo zum Fernsehspot gegen Stadiongewalt. Politiker werden ihn verwenden, um die Einführung neuer Maßnahmen zur Gewaltprävention zu rechtfertigen. Das sind Spezialgesetze, die sich nicht mehr an den Grundsätzen der staatsbürgerlichen Rechte und der Demokratie orientieren [...]. Der geniale Einfall mit den Scootern übersetzt sich in ein vernichtendes Eigentor für die Leute aus der Kurve und eine Vorlage für bestimmte Journalisten.“
In einer Episode taucht ein Österreicher namens Manfred auf, der mit Nino nach Ausschreitungen am Mailänder Domplatz die Gefängniszelle teilt. Nähere Angaben gibt es nicht, aber es könnte sich vom zeitlichen Zusammenhang der Handlung her um einen Anhänger von Austria Salzburg handeln, die 1994 im UEFA-Cup-Finale gegen Inter spielten (damals ja noch in Hin- und Rückspiel ausgetragen). Möglich wäre auch einer von Sturm Graz 1998.
Der Fußball und seine Fankultur sind ein Teil im Leben von Nino. Inter und die Freunde in der Kurve sind wichtig und zentrale Lebensbegleiter. Der biographische Roman erzählt aber mehr, er berichtet von seinem ganzen Leben. Es sind „30 verfluchte Jahre in Mailand“.
Katharsis gibt es nicht.
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