Donnerstag, 6. Januar 2011
Tifare Contro
Rezension
Giovanni Francesio
Tifare Contro
Eine Geschichte der italienischen Ultras
Freital OT Pesterwitz 2010
(Burkhard & Partner)
240 S.
Betont eine, keinesfalls die Geschichte der Ultras in Italien von 1968 bis 2007 erzählt Giovanni Francesio in seinem 2008 im italienischen Original erschienenen Buch. Das Spannende ist die Innensicht des Autors, der über die von ihm miterlebte und mitgetragene Ultràbewegung erzählt − und dabei auch laut und deutlich anspricht, was ihm mißfällt. Übersetzt und auf Deutsch herausgebracht wurde das Buch von Kai Tippmann, Autor des lesenswerten Blogs altravita.com − Betrachtungen eines Deutschen in Italien.
Francesio beginnt mit den Anfängen, mit der Gründung der allgemein als „erste Gruppe“ anerkannten Fossa dei Leoni des AC Milan 1968 (deren unrühmliche Auflösung nach fast vier Jahrzehnten wird ebenfalls beleuchtet). Trotz dieser klaren zeitlichen Marke streicht er aber hervor, daß dies nicht den Beginn des Supports markiert. Es gab bereits zuvor Beispiele der Unterstützung der Mannschaft akustisch durch Sprechchöre oder Trommeln genauso wie optisch durch Schals oder Fahnen. Es charakterisiere nicht die Ultras, „dass sie ihre Begeisterung für den Fußball choreographisch begleiten“. Es sei aber auch nicht die Gewalt, die das besondere an Ultras ausmache. Gewalt sei seit Beginn trauriger Begleiter des Fußballs. Das Neue, das die Ultras brachten, war für Francesio „die antagonistische Dimension des Supports“, die Aufnahme der jugendkulturellen Ausdrucksweise der italienischen radikalen Linken der 1960er Jahre in die Fußballkultur − die Kurve als „ein perfekter Ort der Freiheit, den es einzunehmen und zu verteidigen gilt. Ultrà sein: in jedem Fall gegen etwas zu sein und zu fühlen, selbst nur irgendwie unklar, selbst nur oberflächlich. Sich von einer Aura des Widerstands umgeben zu fühlen.“ So kommen die Transparente, die Megaphone, die Parolen, die Lieder mit politischen Melodien hinzu.
Harsch kritisiert Francesio die Kommunikationsunfähigkeit der Ultràbewegung. Er sieht es als Fehler, die eigene Geschichte nicht geschrieben zu haben: „wenn wir es nicht getan haben, wir im Sinne von Ultras und Generation, vor allem die der 70er Jahre ungefähr, dann weil wir nicht in der Lage oder nicht wirklich Willens waren, zu kommunizieren, von uns zu erzählen, uns die Kommunikationskanäle zu eigen zu machen oder selbst welche zu erfinden.“ Einen späten, aber wichtigen Beitrag leistet das Buch.
Das Kommunikationsdefizit zieht sich aber auch in hiesigen Verhältnissen durch, von Ausnahmen wie der Initiative Pyrotechnik ist kein Verbrechen, der wohl bestorganisierten politischen Kampagne von Ultras in Österreich, abgesehen.
Zum Thema der Gewalt ist Francesio eine Unterscheidung sehr wichtig: „Achtung: ,Kämpfe‘, nicht ,Gewalt‘. Die Gewalt gab es schon immer im Fußball. Die organisierten Zusammenstöße nicht. Die Kämpfe sind eine Spezialität der Ultras, wahrscheinlich aus den politisch motivierten Straßenkämpfen entlehnt“ Die Kämpfe zwischen Gruppen als Methode der Definition des eigenen Stellenwerts sieht Francesio als zentral an. Die Spirale der Rivalitäten drehte sich aber immer schneller, sodaß er in den letzten zehn Jahren eine Schwelle überschritten sieht. Die Logik der „ehrenvollen Auseinandersetzung“ habe die Bewegung, wie er hart urteilt, „wahrscheinlich in den Selbstmord geführt“. Er verdammt sinnlose Zerstörungen und grundlose Gewalt pöbelnder Jugendlicher. Er klagt die brutalen Einsatzstrategien der italienischen Polizei an, die Gewalt sucht und findet, sowie die Massenmedien, die dazu einseitig schweigen. „Aber das alles darf keine Rechtfertigung für die Ultras werden, die selbst die Kraft hätten finden können, ja hätten finden müssen, aus dieser selbstzerstörerischen Spirale auszubrechen und sich als Bewegung ,zu retten‘.“ Aber Francesio kennt und nennt auch den Grund: „Ich kann, nach einem Vierteljahrhundert in der Kurve, keine andere Antwort geben. Das Adrenalin, die Spannung, die reine Energie, die während einer Prügelei frei wird, haben eine Verführungskraft, die man nie wieder verdrängen kann. Also machst du es wieder.“
Die Gewalt und ihr Beitrag zum Dilemma der Ultras in Italien heute steht im Zentrum des Buchs. Doch Ultrà ist ja mehr, was hier leider zu kurz kommt. Dies liegt wohl am Kontext der Erscheinung des Buchs, das Thema war 2007 wie heute zentral in der italienischen Diskussion um Fußballfankultur. Das Spannende an der Ultràkultur für Außenstehende ist allerdings die funkensprühende Kreativität, die erfreut, emotionalisiert, das Erleben des Fußballspiels im Stadion bereichert. Hierzu erzählt Francesio von den Brigate Gialloblù (1971−1991) von Hellas Verona, denen wie Verein und Fans als ganzes ein nicht unbegründetes übles rechtsradikales Image anhängt. Francesio stellt das gar nicht in Abrede, versucht es aber in den Kontext einer eigenen Logik, den Blick der Ultras, zu stellen: „Die Brigate Gialloblù waren gewalttätig, frech, rassistisch, zugedröhnt und besoffen, aber sie waren auch originell, unvorhersehbar, unterhaltsam, absolut unkontrollierbar.“ Als Beispiele nennt er neben frühen (1983) Bananenwürfen zur rassistischen Verhöhnung eines afrikanischstämmigen Spielers „die Ku-Klux-Klan-Kapuzen, die Schutzmasken, die sich die gesamte Kurve aufsetzte, als die Neapolitaner eintrafen, die von Spruchbändern vom Typ ,Herzlich willkommen in Italien‘ oder ,Wascht euch‘ begrüßt wurden, die Tausende fantasievoll beleidigender oder schlicht roher Gesänge und Dutzende weiterer solcher Gesten, die in der Curva Sud in Szene gesetzt wurden, finden im Kontext des Stadions, der italienischen Stadien der 80er Jahre, eine Art irrationale, ästhetische und vielleicht bedrückende Erklärung.“ Übersetzer Tippmann merkt dazu richtigerweise an, dass Francesios „Wir alle lachten.“ wahrscheinlich nicht für den farbigen Spieler Julio César Uribe galt, der mit Bananen verhöhnt wurde. Das ist nicht die Kreativität des Supports, die ich eingangs gemeint habe.
In den letzten zehn Jahren seit 2000 macht Francesio zwei Strömungen in der Entwicklung der Ultras fest: Einerseits des Verschärfung der Spirale der Gewalt, in der durch die „Militarisierung der Stadien“, wie er es nennt, auch immer mehr die Polizei zum Kombattanten wird. Andererseits die Nutzung des Internets, das „das Bewußtsein der Ultras, eine gemeinsame und ,politische‘ Bewegung zu sein, deutlich verstärkt hat.“ Auch die Ausschreitungen um den G8-Gipfel in Genua 2001 stellt er in diesen Zusammenhang.
Tiface Contro ist das Buch eines Leidenden. Giovanni Francesio liebt seine Ultràkultur und sieht sie nach seinen Maßstäben den Bach hinunter gehen. Er versucht durch einen Rückblick der heutigen Generation an Ultras zu vermitteln, warum das nicht geschehen darf, warum man die Ultràkultur nicht der Gewalt opfern darf und dafür Verantwortung trage.
Manchmal schwankt man bei der Lektüre zwischen Zustimmung zu den harten Urteilen Francesios und dem Verdacht des Verdikts der älteren Generation gegen die Jüngeren. Die Schwerpunktsetzung und seine nachdrückliche Botschaft erklärt sich aus dem italienischen Zusammenhang. Daß die geschilderten Aspekte nur ein Teilaspekt der Geschichte sind, ist klar. Dennoch bietet das Buch spannende Einblicke und Aufschlüsse in drei Jahrzehnte Ultras in Italien. Eine Geschichte, die alle Aspekte umfaßt, bleibt ein Desiderat.
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