Dienstag, 14. Oktober 2008
Ballesterer 36
Rezension
Ballesterer fm
Nr. 36, Oktober 2008
66 S.
Der Ballesterer ist layouterisch geliftet und es gibt ihn jetzt monatlich, aber Hauptsache die Qualität der Beiträge stimmt - und das tut sie. Weiterhin gibt's wichtige Standards wie Lachen mit dem ORF, amüsante Groundhopping-Berichte (z.B. Stefan Krafts Drive-in-Spiel auf Korsika) und das Ballesterer-Barometer (aber wo ist die Kurvengrafik hin?! Die will ich unbedingt wiederhaben, um den zeitlichen Verlauf nachvollziehen zu können!). Neue Rubriken wie Tribünengesänge (diesmal über "Who ate all the pies?") lassen Gutes für die Zukunft erhoffen.
Schwerpunktthema ist die Krise des Fußballs in Italien. Jakob Rosenberg und Reinhard Krennhuber zitieren in ihrer faktenreichen und lesenswerten Titelgeschichte gleich zu Beginn den Autor und Soziologen Oliviero Beha mit den Worten "Man versteht nichts vom italienischen Fußball, wenn man ihn nicht im Kontext des Landes sieht". Wie wahr. All die haarsträubenden Skandale und Erschütterungen des italienischen Fußballs in den letzten eineinhalb Jahrzehnten sind nicht erfaßbar, wenn man sie losgelöst von den Umstürzen in Politik (Sturz des Nachkriegssystems, Aufstieg des personifizierten Interessenkonflikts Berlusconi und die Etablierung der Krise in Permanenz als Regierungssystem) und Wirtschaft (Niedergang von FIAT und Parmalat, Aufstieg des personifizierten Interessenkonflikts Berlusconi) sieht.
Herausragend am Ballesterer ist, daß das Thema nicht nur über Zusammentragen von Fachwissen, gute Texte und Interviews aufbereitet wird (was allein schon für Qualität bürgen würde), sondern auch durch Recherche vor Ort. Wir schon zuletzt beim Porträt von Olympique Marseille gehen die todesmutigen Redakteure Krennhuber und Genossen in die Kurve, unter die Fans und berichten aus deren Warte. Sie machen die Auswärtsfahrt von Napoli zur Roma mit, die einige mediale Wellen geschlagen hat. Auch wenn die Reportage sehr lebendig und anschaulich ist, hätte ich mir doch auch etwas mehr Kontextualisierung gewünscht, um vom Einzelfall mehr Schlüsse aufs Gesamte ziehen zu können. Aber ich will nicht hoffärtig sein, das Gebotene ist vom Feinsten. Wo sonst kann man so qualitativ über den Blickwinkel des Fans lesen?
Eine erschreckende Stelle im Heft ist, daß Thomas Zsifkovits in seinem Artikel über die Färöer Inseln schreibt, daß die legendäre Zipfelmütze des Goalies Jens Martin Knudsen beim 1:0 gegen Österreich 1990 vor Jahren von norwegischen Journalisten gestohlen worden wäre. Was ist dann bitte vor kurzem im Leopold-Museum in Wien ausgestellt gewesen? Eine Replik, eine Attrappe, eine Fälschung?
Interessantes gibt es noch über britische Alkoholismustradition unter Fußballern, die sozialen und politischen Begleitumstände der WM in Südafrika, die neue Tribüne am Horr-Platz und die Ignoranz gegenüber Frauen in Stadien zu lesen. Sowie über den Fall des schottischen Gretna: Dorfklubs, die von egomanischen Einzelpersonen abhängig sind und dann irgendwann perdu gehen, wenn's denen nimmer gefällt gibt's nicht nur in Österreich. WSC berichtete kürzlich über Gretnas schweren Neuanfang ganz unten.
P.S.: Daß das Wappen von Genoa den Autor des Berichts zu Palermo-Genoa an die Admira erinnert, erschaudert, da ja die Admira vor Jahren einfach das Genoa-Wappen kopiert hat und seither als ihres führt (ca. Folge 587 der Geschichtsvergessenheit in ihrer jüngeren Vereinsgeschichte).
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