Donnerstag, 10. Dezember 2020
Block West Echo, 42
Rezension
Block West Echo
#42
Herbst 2020
232 S.
„In Zeiten wie diesen ist die Herausgabe eines Fanzines noch mehr von Bedeutung als ohnehin schon.“ schreibt die BWE-Redaktion im Vorwort. Darin kann ich sie nur bestärken. Wenn jemand glauben sollte, dass es angesichts von Geisterspielen 2020 weniger für ein Fanzine zu schreiben gäbe, wird er von den Ultras Rapid mit einem Heft widerlegt, das nocheinmal um einige Seiten stärker ist als im Vorjahr. Wie wahr doch auch ihre weitere Feststellung ist: „Der Fußball und das Leben in der Kurve wurden uns vorübergehend genommen. Auf der Suche nach Strohhalmen greifen wir unweigerlich zu den Heftln, die sich in den Regalen stapeln.“
In eine gar nicht lang zurückliegende, aber schon ferne andere Zeit entführen die Berichte des Rapid-Saisonrückblicks in Herbst 2019 und den wenigen noch normalen Spielen in Februar/März 2020. Den Anfang macht das Rapid-Nürnberg-Freundschaftsspiel vom Juli 2019. Die Umstände und auch die notwendigen organisatorischen Vorbereitungsarbeiten mit den Vereinen werden beschrieben. Beim Spiel stand man miteinander im Block West, „mehr als 5.000 Leute in der Kurve, welche die Farben grünweißschwarzrot gleichermaßen hochielten. Es war für beide Szenen etwas Neuartiges, mit dem unsere Brüderschaft auf ein neues Level gehoben wurde.“ Wie gewohnt wird im weiteren Verlauf auf jedes Rapid-Pflichtspiel zurückgeblickt. Vom Auftakt im Cup in Allerheiligen über Tiefpunkte und Höhepunkte bis zum Spiel in Wolfsberg am 7. März 2020, das noch unbeschwert ablief. Ein daran anschließender Text beschäftigt sich mit der Corona-Pause und der Wiederaufnahme des Spielbetriebs mit Geisterspielen und gibt nocheinmal das ebenso ausführliche wie tiefschürfende gemeinsame Statement der österreichischen Fanszenen vom 28. April 2020 wieder.
Über Gruppenleben und Aktivitäten informieren Artikel über u.a. Zoki Barišić, Michael Krammer, Andy Marek oder Alfred Körner, Sommerbergtour, Weihnachtsfeier, Wiener helfen Wienern, Solidaritätsprojekten in der Coronakrise (mit abgedrucktem Dankesbrief der Curva Nord Bergamo für die Teilnahme an der Spendensammlung der Tivoli Nord für das schwer getroffene Bergamo) sowie über Eindrücke von der 15-Jahr-Feier der Lords oder der 25-Jahr-Feier der Green Monsters.
Ein Nachruf samt Bildern des Begräbnisses ist dem verstorbenen UR-Gründungsmitglied Koby gewidmet, der nochmals seine Bedeutung für Rapid und die österreichweite Fanzenenlandschaft unterstreicht.
Sehr interessant sind ein Bericht von der Ausstellung zu 50 Jahren UTC samt Sampdoria-Matchbesuch im September 2019 und eine Dokumentation und Zeitreise zu von den UR produzierten Schals von 1988 bis 2020. Ein Rückblick auf das letzte Rapid-Jahrzehnt lässt weiters Erinnerungen aus den Jahren 2010 bis 2019 wieder frisch werden.
Ein Wochenende im Sommer 2020 haben die Ultras Rapid in Venedig mit den Ultras von Veneziamestre zum zwanzigjährigen Freundschaftsjubiläum verbracht („una grande festa“).
In einem längeren Text über einen Athen-Besuch 2019 wird auch der interne Konflikt in der Fanszene von Panathinaikos angerissen. „Nach längeren Diskussionen einigte man sich auf den Besuch eines Basketballspiels, da dort die Szene einigermaßen zusammensteht. Fußball wäre aufgrund der oben angeführten Situation nicht möglich bzw. wäre es schwierig, unseren Besuchsfetzn auf einer Seite aufzuhängen und damit die andere zu kränken.“
Ausführliche Schilderungen gibt es erneut von UR-Besuchen bei Spielen des 1. FC Nürnberg sowie einen UN-Rückblick auf die Saison 2019/20, der auf den Saisonverlauf, einen Brandbrief „an die Unterhosen-Zupfer und Instagram-Gockel in unserem Lizenspieler-Kader“ und das mit dem Wort hochdramatisch nur unzulänglich zu beschreibende Saisonfinale eingeht.
In den vergangenen Ausgaben war der Rückblick in die Geschichte mit Italien-Auswärtsreisen mit Veneziamestre Anfang der 2000er Jahre ein absoluter Höhepunkt des Hefts. Diesmal ist der Fokus anders, bietet aber mit dem Artikel „Ein Sommer wie damals“ auch eine herrlich zu lesende Zeitreise zu den Mondiali Antirazzisti bzw. „eine Geschichte über die (erfolglosen) Teilnahmen von Ultras Rapid an den Antirassismus-Weltmeisterschaften 2000 – 2003.“ Allein die Fotos sind großartig, aber auch die im Text geschilderten Umstände. Etwa die Anekdoten, dass man 2000 die Fahrt nutzte, um sich unterwegs mit hunderten Bengalen einzudecken – „wir wären ein gefundenes Fressen für jede Polizei-Kontrolle gewesen“ – oder 2003 satte 4.000 Kilometer in vier Tagen im Auto verbrachte: „An einem Donnerstag ging's runter. Rapid spielte am Samstag aber ein Testmatch in Hütteldorf gegen Roter Stern aus Belgrad, das unter Umständen interessant hätte werden können. Also fuhr eine Besatzung am Samstag wieder nach Wien und nach dem Match wieder runter, um am Sonntag, nachdem alle Spiele absolviert waren, endgültig wieder heimzufahren.“ Sportlich war die Bilanz der Turnierteilnahmen eher am unteren Ende: Von insgesamt zwei gewonnenen Spielen gegen ein Mädchenteam aus Berlin und gegen eine Mannschaft der Acid Boys Cavese, die mit einem einarmigen Goalie spielte, ist die Rede. Doch das stand ohnehin nicht im Vordergrund, wie zu lesen ist: „Die Tage in Montecchio waren für uns alle sehr lehrreich und was genauso wichtig war, es war einfach eine leiwande Zeit.“
Ein segr guter und wichtiger Artikel im Heft beschäftigt sich mit der Geschichte von Fanzines in Italien und Österreich. Gerissen hat es mich kurz, als ich hier las, dass die siebte Ausgabe der Grazer Schwarzmalerei schon erschienen wäre. Meines Wissens fand die geplante Veröffentlichung coronabedingt nicht statt. Erwähnt und charakterisiert werden im Fanzine-Artikel Hefte aus Hütteldorf und anderen Fanszenen, wobei es über dasjenige der Salzburger TGS heißt „Das Heft könnte eine etwas höhere Seitenanzahl vertragen, aktuell ist es kein total geniales Meisterwerk, sondern eher ein Prospekt, dennoch ist diesem Fanzine Respekt zu zollen.“ Ein Konter zum Seitenhieb im letzten Sonnenkönig. Sowas gefällt mir.
Die Vorsänger blicken in ihrem Beitrag bereits in die Zukunft und appellieren: „Aktuell stehen wir vor dem Nichts. Der Tag, an dem wir alle gemeinsam wieder in der Kurve stehen, wird jedoch kommen und jeder Rapidler verspürt wohl Gänsehaut, wenn er an diesen Moment denkt. Entscheidend wird aber sein, dass wir das, was wir aktuell durchleben müssen, nicht so schnell wieder vergessen. Die ersten Spiele nach Ende der Corona-Krise werden definitiv in die Geschichte eingehen. Es wird jedoch unser aller Aufgabe sein, diese Euphorie am Leben zu halten.“
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