Dienstag, 1. Dezember 2015
Leo Schidrowitz
Rezension
Matthias Marschik / Georg Spitaler
Leo Schidrowitz
Autor und Verleger, Sexualforscher und Sportfunktionär
Jüdische Miniaturen Bd. 167
Berlin 2015
(Hentrich & Hentrich Verlag)
84 S.
Buchpräsentation
Podium: Matthias Marschik, Georg Spitaler, Domenico Jacono
Jüdisches Museum Wien, 30.11.2015
Auf den Namen Leo Schidrowitz stößt man schnell, wenn man sich mit der österreichischen Fußballgeschichte beschäftigt. Dabei war er weder Spieler noch Trainer sondern Funktionär. Er hatte ein außerordentlich vielfältiges Leben, das nun in einem Buch nachgezeichnet wird. Matthias Marschik und Georg Spitaler haben bereits 2008 einen biographischen Artikel im Ballesterer über Schidrowitz veröffentlicht. Hier legten sie nun eine wenn auch kurze, so dennoch sichtlich so ausführlich wie möglich erarbeitete Biographie vor. Im Wiener Jüdischen Museum wurde das Buch von den Autoren Marschik und Spitaler sowie Domenico Jacono vorgestellt.
Beim SK Rapid war Schidrowitz zwischen 1923 und 1938 enger Mitarbeiter von Dionys Schönecker, der den Verein von 1910 bis zu seinem Tod 1938 als Sektionsleiter (Geschäftsführer würde man heute sagen) leitete. Er gab Vereinspublikationen und Festschriften zu Jubiläen Rapids heraus, war zumindest zeitweise im Vorstand und wurde als Vertreter Rapids in Gremien des Fußballverbands und der Liga entsandt. Die Rapid-Aktivitäten von Schidrowitz werden im Buch genannt, aber man hätte hier gerne mehr darüber gelesen. Die Quellen gaben nicht mehr her. Ein Nachlass wurde trotz Suche nicht gefunden.
Auch wenn es in jener Zeit mehrere Personen jüdischer Herkunft gab, die bei Rapid tätig waren, und selbst zwei Präsidenten aus jüdischen Familien stammten, wie im von Mitautor Spitaler gemeinsam mit Jakob Rosenberg erstellten Buch Grün-weiß unterm Hakenkreuz belegt wurde, gilt dennoch, was Spitaler und Marschik hier schreiben: „Beim Sportklub Rapid war Schidrowitz als ,jüdischer‘ Funktionär jedenfalls eine Ausnahme.“ Einfach gestrickte Zuschreibungen von (Vereins-)Identitäten als „jüdisch“ und „nicht jüdisch“ lassen sich von der Komplexität der Realität aber jedenfalls nicht so ohne weiteres bestätigen.
Georg Spitaler stellte bei der Präsentation die Person Schidrowitz und seine Fußballaktivitäten vor. Anfang der 1920er Jahre zeigte sich Schidrowitz schon als leidenschaftlicher Rapidler, der sich über Bevorzugung der Austria ziemlich aufregen konnte und dies auch schriftlich veröffentlichte. Schidrowitz war eine zumindest in Wiener Kreisen auch bekannte Persönlichkeit und kam als Ungustl gezeichnet mit nur wenig veränderten Namen Direktor Szindrowits in Heimito von Doderers Roman Die Dämonen vor. Er leitet darin einen Verlag namens Pornberger & Graff. Die erste Silbe des Verlagsnamens kennzeichnet dessen Inhalte.
Der Großteil des Buchs handelt vom beruflichen Leben Schidrowitzs abseits des Fußballs. Er war als Kulturpublizist und als Buchverleger tätig. „Im Laufe von 15 Jahren war Schidrowitz in verschiedenen Funktionen für insgesamt sechs Verlage verantwortlich, sei es als Gründer, Eigentümer, Direktor, Programmleiter, Gesellschafter oder Mitinhaber.“ Darunter fällt auch eine umfangreiche Verlagstätigkeit im Themenbereich Erotik und Sex, wo er an der Herausgabe oft hochpreisiger und aufwändig produzierter Bücher beteiligt war. Er leitete auch ein Wiener Institut für Sexualforschung, das im Gegensatz zum Berliner Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld, das hier wohl Pate stand, wenig erforscht ist. Die Darstellung der Tätigkeit von Schidrowitz in diesem Bereich nimmt den Großteil des Buchs ein.
Domenico Jacono nahm diesmal nicht in seiner Eigenschaft als Fußballkulturexperte sondern als Literaturkenner und Kulturpublizist am Podium teil. Er widmete sich in seinem Part der Präsentation dem Homme de lettre Schidrowitz und bewertete seine publizistische Tätigkeit vom Bereich Literatur und Kunst als beachtliche Beiträge. Er war Autor, aber vor allem auch Herausgeber und Verleger. Noch sehr viel mehr als tatsächlich erscheinen konnte, war in seinen verschiedenen Verlagsprojekten projektiert gewesen.
Matthias Marschik wandte sich in seiner Vorstellung von Schidrowitz' Aktivitäten im Bereich der erotischen Literatur und Sexualforschung gegen eine Diskreditierung dieses Themenbereichs. Schidrowitz schloss sich einer Populärkultur an und brachte viel Erotisches an Bildern und Schriften für Männer heraus, allerdings eben auch wissenschaftlich Langatmiges. Marschik verwies darauf, dass die Bücher zwar verkaufsfördernd konzeptioniert waren, aber auch einen aufklärerischen und wissenschaftlichen Anspruch hatten. In der Fragestellung, ob Schidrowitz Sexualwissenschaftler oder Pornograph war, solle man das entweder oder durch ein sowohl als auch ersetzen, so Marschik.
Mit der Machtübernahme der Nazis 1938 war Schidrowitz sowohl als Jude als auch als „Pornograph“ in seinem Leben bedroht. Weggefährten wurden im KZ ermordet. Auf unbekannter Route gelang ihm 1938 mit Frau und Tochter rechtzeitig die Flucht nach Brasilien. Er konnte dort auch als Verleger tätig sein und seine Frau wieder wie in Wien als Buchillustratorin arbeiten, wenn auch in geringem Umfang. 1949 kehrte Schidrowitz wieder nach Wien zurück, dürfte aber zuvor an der Vorbereitung der Brasilien-Tournee Rapids 1949 mitgewirkt haben, die mit der aus dortigen Erfahrungen gewonnenen Umstellung des Spielsystems der Ausgangspunkt für die großen Erfolge Rapids in den 1950er Jahren war.
Schidrowitz war zunächst auch wieder im Rapid-Vorstand, widmete sich dann aber der Aufgabe als „Propagandareferent“ des ÖFB, heute würde man dazu Kommunikationschef sagen. Er arbeitete mit modernen Methoden und schuf ein umfangreiches Angebot an ÖFB-Publikationen. „Er war wohl der erste österreichische Verbandsfunktionär im Sportbereich, der im Sinn moderner Public Relations nicht nur Auskünfte erteilte, sondern die Presse aktiv mit Informationen versorgte, also Pressepolitik betrieb. Zugleich erkannte er, dass Informationsarbeit alle Medien − von eigenen Verbandspublikationen bis zum Aufbau eines Archivs und Museums − umfassen sollte.“
Von bleibender Wirkung aus jener Zeit ist Leo Schidrowitzs 1951 erschienene Geschichte des Fußballsports in Österreich. Das Buch ist der Klassiker der österreichischen Fußballgeschichtsschreibung. Es ist, wie Marschik und Spitaler schreiben, eine „zwar mitunter fehlerhafte, jedoch insgesamt profunde und detailreiche Faktengeschichte des Fußballsports inklusive einer Vereins- und Verbandsgeschichte.“
Unter anderem betrieb Schidrowitz für den ÖFB eine Radiosendung. Bei der Präsentation wurde ein Ausschnitt einer Sendung aus dem Jahr 1951 eingespielt, in der er über die internationalen Tourneen österreichischer Vereine informierte und anlässlich eines Wiener Sportstättenverzeichnisses die zu geringe Anzahl der Sportplätze in Wien kritisierte. Seine summarische Erzählung von den Spielen war in jenem ausdrucksstarken essayistischen Stil gehalten, wie man ihn aus der Fußballreportage vor Beginn des Fernsehzeitalters kennt.
Das Ambiente der Buchpräsentation:
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