Mittwoch, 24. April 2013

Der tödliche Pass, 68



Rezension

Der tödliche Pass
Magazin zur näheren Betrachtung des Fußballspiels
Heft 68, April 2013
95 S.





Ein Lieblingsthema der Zeitschrift sind die Ultras, denen man mit generationellem Unverständnis gegenübersteht. Eine Extremposition des gewünschten Stadionerlebnisses vertritt in einer Pro-und-Contra-Gegenüberstellung Gerald Wenge, der das zwölf Minuten lange Schweigen in deutschen Stadien im Zuge der 12:12-Proteste als „Wohltat“ erlebte und Spanien als gelobtes Land preist. Dort, wo das Knacken der Nüsse zwischen den Zähnen das oftmals lauteste Geräusch während eines Fußballspiels in vollen Stadien darstellt: „Erinnerungen an die wenigen, gleichwohl unvergeßlichen Besuche des Camp Nou kamen auf, wo genau dieses hochkonzentrierte, zigtausendfache Schweigen und Gebrabbel − in Verbindung mit einer herausragenden Mannschaft, ja − das Stadionerlebnis ausmacht und wo ein Messi nach seinem dritten Tor für eine halbe Minute mit dem einfachen Sprechchor ,Mes-si, Mes-si gefeiert wird; mehr Gesang gibt es nicht, mehr Gesang braucht es nicht.“
Das ist natürlich eine mögliche Sichtweise. Ich gehe selbst wegen des Fußballspiels ins Stadion und bin kein großer Supporter, auch wenn ich öfters und dabei v.a. auswärts singe, sicher kein Ultra, aber die Sehnsucht nach dem Fußballstadion als Ort der Ruhe und Kontemplation, quasi der Wunsch nach ständiger Geisterspiel-Atmosphäre, teile ich nicht. Wie Michael Wollny in seiner Contra-Stellungnahme schreibt: „Es ist kein Zufall, daß der Tifo in den Medien als optisch-akustisches Synonym für gute Stimmung herangezogen wird − niemand zeigt hier Einspieler von sitzenden Zuschauern.“

Passend zum Thema listet Stefan Erhardt eine Auswahl an Verbrechen und Toten bei Fußballspielen im Laufe eines Jahres sowie eine kursorische Sammlung an niveaulosen Fangesängen mehrerer Jahrzehnte auf. Gibt es wirklich nur Mord und Totschlag, wo Fußballfans auftreten? Gibt es wirklich keine Fußballspiele mit freudiger Stimmung und gewitzten Gesängen? Ich kann es nicht glauben und meine Erfahrung lehrt mich anderes.
Das Interview mit dem Ungustl Martin Kind im Heft paßt da dazu. Wie reagieren Sie, wenn Sie im Stadion sitzen, sich auf ein Fußballspiel freuen und Pyros abgefackelt werden? Auf Rechtsradikalismus? Es ist eine verbreitete, aber nichtsdestoweniger einfältige Vermischung und/oder Gleichsetzung der Gefährlichkeit von Feuerwerk mit NS-Wiederbetätigung oder menschenverachtendem Rassimus − wohlgemerkt als eine Frage des Interviewers, nicht etwa als rhetorische Gegenfrage des Interviewten.

So gut und schön die Zeitschrift über Fußballkulturelles berichtet, so sehr sieht sie Fußballfans und Fußballfankultur nicht als Teil des Fußballs. Das ist schade, denn es schränkt den Blick auf die Schönheit und den Erlebniswert des Fußballs im gesamten ein.

Interessant ist hierzu das Hintergrundinterview zur neuen Zeitschrift Transparent, die ja als Anstoß für ihre Gründung dabei auch angeben „Uns ärgerte, daß über Fans und Ultras äußerst selten tiefgründig und objektiv berichtet wurde.“
Erfreut haben mich im Heft wieder einmal die vielen und sehr guten Buchrezensionen. Jedesmal wieder ein ausgezeichneter Wegweiser.

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