Freitag, 1. August 2014

Ballesterer 93



Rezension


Ballesterer
Nr. 93, August 2014
82 S.






Aufgrund der Aussage eines Polizisten, der sich bei der Abführung eines Wacker-Innsbruck-Fans 2003 durch einen Sturz verletzt haben will, wurde ein damals 19-Jähriger Fan zur Zahlung von insgesamt 165.000 Euro verurteilt. Zeugenaussagen waren widersprüchlich, was allerdings oft der Fall ist. Die Aufnahmen der Videoüberwachung wurden vom zweiten der damals den Fan abführenden Beamten im Zuge der Ermittlungen − leider, leider, welch Missgeschick − gelöscht. Vor Gericht wurde wie immer der Aussage eines Polizisten eine viel höhere Glaubwürdigkeit zugemessen als mehreren Entlastungszeugen. Clemens Schotola berichtet davon, wie nun ein Jahrzehnt später ein privates Video einen völlig anderen Hergang zeigte, die Unschuld des Fans und die Falschaussage der Polizisten bewies.

Zum 100-jährigen Jubiläum des ältesten Salzburger Fußballvereins SAK 1914 gibt es eine Reportage von Michael Schnöll. Leider habe ich es verabsäumt, den alten SAK-Platz mit seiner großen Hintertortribüne und der Holztribüne vor dem Abriss 2007 zu sehen. Auf der neuen Anlage war ich auch noch nicht. Der Westen ist ein Stiefkind in meinen Fußballreisen.
Mit den Verblendungen und Verrücktheiten der Debatte in Italien um Ultras, Fußballfans und Gewalt nach den tödlichen Schüssen auf einen Napoli-Fan beim Cupfinale beschäftigt sich Neapel-Kenner Jakob Rosenberg. Dazu gibt es im Heft etwas aus Ostdeutschland: Das erste Vereinsportrait des BFC Dynamo, das ich bislang gelesen habe, das den Namen Mike Polley nicht erwähnt, sowie eine Geschichte über den Europacupsieg des 1. FC Magdeburg im Cup der Cupsieger vor vierzig Jahren. Das Finale gegen Milan in Rotterdam 1974 ist mit nur 5.000 Zuschauerinnen und Zuschauern bis heute das schlechtbesuchteste Endspiel. Nur wenige Leute durften aus der DDR zu diesem Spiel reisen, selbst den Frauen der Spieler wurde dies vom Regime verboten.

In der Titelgeschichte geht es wieder um die österreichische Bundesliga und sich oft im Kreis drehende Reformdiskussionen. Michael Fiala fokussiert richtigerweise auf die Frage der Stadioninfrastruktur, die ein Hauptproblem darstellt. Die zwanzig Jahren in einem Konzept vorgeschlagene Abschaffung eines der Hauptstandbeine des sportlichen Wettbewerbs, der Frage des Auf- und Abstiegs, hätte daran auch nichts geändert. Die genannten Zahlen sprechen eine klare Sprache: In den letzten fünf Jahren sank die durchschnittliche Zuschauerinnen- und Zuschauerzahl der Liga um ein Drittel, von 9.027 2008/09 auf 6.165 2013/14. Der Großteil der Vereine konzentriert Aufmerksamkeit und Finanzen auf den Transfermarkt anstelle für zeitgemäße Stadien zu sorgen. Diese wirtschaftliche Fahrlässigkeit kommt nicht von ungefähr, sondern deshalb, weil Fußballfans, ihre Anliegen und Bedürfnisse, weder in Vereinschefetagen noch in der medialen Öffentlichkeit eine Rolle spielen − und wenn dann als Melkkühe, gefälligst zu funktionieren habende Kulisse oder Störenfriede wahrgenommen werden. Der Bumerang kommt zurück.

Weil dies nicht regelmäßig vorkommt, möchte ich es zum Abschluss herausstreichen: Ich fand die Satireseiten gelungen und habe mich über Stefan Krafts „wichtigste Zahlen zur Fußball-WM 2014“ amüsiert.

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