Dienstag, 5. November 2013

Bienvenue en Banlieue Rouge


Rezension


Christoph Heshmatpour
Bienvenue en Banlieue Rouge
Mein Jahr mit dem Red Star FC
Wien 2013
(banlieuerouge.org)
167 S.





Paris: Angeblich die Stadt der Liebe, eher keine Stadt des Fußballs. Bienvenue en Banlieue Rouge − Mein Jahr mit dem Red Star FC erzählt von der Liebe zum Fußball in Paris, genauer gesagt in Saint-Ouen, exakt gesagt von einer Liebe zum Drittligaverein Red Star FC.

Der Wiener Christoph Heshmatpour verbringt 2011/12 ein Auslandsjahr als Student in Paris. Er trinkt in diesem Jahr recht viel Alkohol und geht zum Fußball. Unterscheidet ihn der erste Teil noch nicht von durchschnittlichen Erasmus-Studierenden, so bemerkenswert ist der zweite Teil. Er widmet sich nicht dem Lifestyle, wie dies von ihm abschätzig beschriebene andere Leute tun. Er sucht sich eine leistbare Wohnung im proletarischen Speckgürtel der Banlieues und verliebt sich dort Hals über Kopf in den Fußballverein Red Star. Nicht der gelackte PSG, sondern ein kleiner, ehrlicher Stadtteilverein mit nicht so schöner Gegenwart, aber größerer Vergangenheit − gegründet von Jules Rimet (!) und stolz auf fünf Cupsiege, von denen der letzte 1942 datierte. Es ist nicht die Welt der Businessseats, sondern diejenige der einfachen Betonstufen in einem alten Stadion und der mangels Bedarf gesperrten Tribünen. „Ausschließlich die altehrwürdige Haupttribüne ist zugänglich, auf dieser tummeln sich vielleicht 2.000 Zuseher, schätze ich. Von dieser Haupttribüne aus hat man einen Blick auf den keine zwanzig Gehminuten entfernten Montmartre und das Sacré-Cœur, die weithin sichtbare Erinnerung daran, daß Paris wirklich nicht weit weg ist.“

Heshmatpour studiert, möchte sich ansonsten aber nicht an den üblichen Erasmus-Aktivitäten und Vernetzungen beteiligen. Der Fußball bietet eine willkommenere Zeitgestaltung: „Anstatt mit anderen Ausländern Paulaner zu trinken, gehe ich lieber ins Fußballstadion, um mit Franzosen Pastis zu trinken“. Am Schluß des Studienjahres resumiert er, daß er nicht im Louvre war und keine anderen Austauschstudierenden kennengelernt habe. Auch Liebesaffäre hatte er „nur eine, und die ist eine einseitig-parasoziale Beziehung zu einem Fußballclub.“

In den nach Spieltagen gegliederten tagebuchartigen Einträgen erzählt Heshmatour in leichtem Stil von Erlebnissen in und um das Fußballstadion, aber auch von ganz anderen Dingen − von unterschiedlichen Gelegenheiten des Betrunkenseins sowie von spannenden Einsichten über das Leben in Paris. Immer wieder finden sich schöne und wahre Sätze. Eine stadionbesuchsphilosophische Verhaltensweise, die ich bei regelmäßigen Besuchen eines Stadions ganz genauso halte: „Habe ich einmal meinen Platz gefunden, setze ich mich dort immer hin.“ Eine allgemeingültige Fußballweisheit: „Das Tolle am Fußball ist, daß es auch ohne ein Tor zu schießen die Möglichkeit gibt, zumindest nicht zu verlieren.“

Er nimmt sich nicht nur ein Abo und besucht die Heimspiele von Red Star, sondern gehört auch recht bald zu den fünf bis zehn Leuten, die zu den Auswärtsspielen fahren. „Auswärts fahren ist vor allem eines. Fahren. Für zwei Stunden Fußball reist man stunden- oder gar tagelang herum.“ Oh wie wahr das doch ist. Es sind zwar keine französischen Festlanddistanzen (ganz zu schweigen von Korsika oder Übersee-Départements), aber stundenlanges Fahren zu Meisterschaftsspielen hinter den Arlberg oder in südburgenländische Dörfer zu Cupspielen sind mir ebenfalls wohlbekannt. Nach vielen Jahren und vielen zehntausenden Kilometern des Fußballreisens verliert es aber − zumindest für mich und bislang − nicht seinen Reiz. Möglicherweise liegt dies auch daran, daß weniger der Alkohol als der Städtetourismus das Begleitprogramm darstellt und ich vom Groundhoppingvirus befallen bin. Heshmatpour erlebte in diesem Jahr die exzessive, alkohollastige Variante des Auswärtsfahrens.

Die Figuren seines Buchs beschreibt Heshmatpour in kurzen Worten und gibt ihnen jeweils charakterisierende Namen. Es kommen ein Pumuckl, ein Dicker, eine Toupetfrisur oder eine Bommelmütze vor und vor dem geistigen Auge entstehen sofort Bilder von Menschen. Sie begleiten einen durch eine kurzweilige und unterhaltsame Lektüre über den Fußball und das Leben.

Christoph Heshmatpour bietet sein Buch im Internetz zum Download für PC, andere Gerätschaften und E-Books an. Als richtiges Buch gibt es sein Werk leider nicht. Als Freund des haptischen Erlebnisses und der Langlebigkeit von Druckwerken bedaure ich dies. Allerdings bietet Heshmatpour eine sehr gute Erklärung an: Der Verein wie er ihn kennen- und liebenlernen durfte und sein historisches Stadion sind bedroht. Es soll einem Immobilienprojekt weichen und der Verein seine Seele verlieren. Er sieht sein Buch als Beitrag im Kampf der Red-Star-Fans: „Ich möchte Aufmerksamkeit für eine Sache schaffen, und die meisten Menschen erreicht man, wenn man ihnen etwas kostenfrei zur Verfügung stellt.“
Mich hat er erreicht.

1 Kommentar:

  1. Danke für den Verweis. Hab das PDF in einem Zug durchgelesen. Sehr guter Einblick in das Leben am Rande von Paris und natürlich dem Red Star.

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