Mittwoch, 28. August 2013
Erlebnis Fußball, 60
Rezension
Erlebnis Fußball
Ausgabe 60
August 2013
94 S.
Höhepunkt des Hefts ist ein in Tiefe und Ausführlichkeit (28 Seiten!) ungekanntes Interview mit einem Vertreter der Çarşı von Beşiktaş. Die Erzählungen über Vergangenheit und Gegenwart der Istanbuler Fankultur sind von Anfang bis zum Schluß hochinteressant, das geschilderte Gewaltausmaß ist aber auch beträchtlich hoch.
E. aus dem Kern von Çarşı und Gründer von Çarşı Berlin erzählt u.a. von den Schlachten der Fans von Beşiktaş und Fenerbahçe sowie in geringerem Maß auch Galatasaray, die in den 1970er Jahren begannen und von 1982 bis zu einem Friedensschluß 1997 in einen Krieg ausarteten. „Durch die Stichverletzungen entstanden immer neue Rachegefühle und die Gewaltspirale drehte sich immer weiter. [...] Alle Führungsleute wurden beiderseitig abgestochen; alle Körper sind von Messern entstellt und sehen aus wie Gebirge als wenn du einen Atlas anguckst.“ In jenen Jahren liege der Ursprung, daß türkische Ultras nicht mit Fäusten aufeinander einprügeln sondern sich mit Waffen schwerverletzen. Das Friedensabkommen nach eineinhalb Jahrzehnten Gemetzel entstand aus Kriegsmüdigkeit: „Du konntest bei den Aufeinandertreffen ja immer auch sterben oder für drei bis vier Monate ins Gefängnis gehen, wenn du jemanden abgestochen hast. Keiner hatte mehr richtig Lust, es war irgendwie vorbei.“
Eine bemerkenswerte Sache sind die Übernachtungen zu Hunderten in Parks vor dem Stadion, um vor Einführung von Auswärtsfankontingenten Mitte der 80er Jahre die Fans der Rivalen bei einem Derby am Betreten des eigenen Stadions mit Gewalt zu hindern. Die Übernachtungen wurde auch nachher noch bis 1991 fortgeführt.
Das Ende der blutigen Schlachten führte erst zur Hochblüte der Stadionatmosphäre, da die Konzentration sich nun dem Support bei den Spielen zuwandte. Bei den Çarşı kam noch das soziale Engagement hinzu.
E. erzählt auch von den internen Konflikten mit anderen Gruppen und dem Generationskonflikt bei Çarşı, der in einem Mord gipfelte, sowie einige politische Hintergründe zu den Istanbuler Straßenprotesten um den Gezi-Park.
Weiters gibt es im Heft einen mit martialischem Schluß versehenen Text der Ultras Rapid zu ihrem 25-Jahr-Jubiläum.
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