Dienstag, 6. Dezember 2011

11 Freunde, 121


Rezension


11 Freunde
Magazin für Fußballkultur
Nr. 121, Dezember 2011
122 S.






Steve Rotheram, aus Liverpool stammender Abgeordneter im britischen Parlament hielt dort vor zwei Monaten eine aufrüttelnde Rede. Sie steht im Zentrum eines Artikel von Dirk Gieselmann. Rotheram war mit seinem Anliegen erfolgreich, unterstützt von jahrelanger Arbeit von Opfer-Familien: Es wurde beschlossen, nun, 22 Jahre nach der Hillsborough-Katastrophe 1989, die bislang unter Verschluß gehaltenen Akten der Behörden einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Verfügung zu stellen.
Bereits noch 1989 war im folgendenreichen Taylor-Report zwar festgehalten worden, daß nicht die eingepferchten Fans des Liverpool FC an ihren 96 Toten und 766 Verletzten schuld waren, sondern Sicherheitsmängel im Stadion und das Versagen der Einsatzkräfte. Polizei, Medien und Regierung vermittelten damals allerdings ein konträres Bild, das sich zum Leidwesen der Familien der Opfer hartnäckig in der Öffentlichkeit gehalten hat. Die Stadien wurden umgebaut, für die erdrückten und erstickten Toten wurde aber niemand ad personam zur Verantwortung gezogen. „Vor den Zäunen der Leppings Lane, an denen Menschen zermalmt wurden, standen die Polizisten wie vor einer Herde Vieh. Und als es schon Tote gab, wurde das Spiel angepfiffen. Liverpools Keeper Bruce Grobelaar, der Schreie vernommen hatte, rannte sofort aus seinem Tor und brüllte die Polizisten an, sie sollten verdammt noch mal helfen. Aber sie halfen nicht. Sie hatten nicht den Befehl zu helfen.“ schreibt Gieselmann.
Er erinnert daran, wie es möglich war, daß immer mehr Fans in den Pferch hineingetrieben wurden und zugesehen wurde, wie ihnen die Luft wegblieb und sie zu dutzenden starben. Dazu führt Gieselmann zurück in die gewalttätigen englischen 1980er Jahre: „Es war die Hochphase der Arbeiterstreiks, der IRA und zugleich die Hochphase des Thatcherismus mit seinen sozialen Ressentiments. Bei aller Verherrlichung der englischen Fußballkultur jener Zeit darf eines nicht vergessen werden: Fans galten damals als Staatsfeinde, spätestens seitdem Liverpool-Anhänger beim Europapokalfinale 1985 im Brüsseler Heysel-Stadion eine Massenpanik verursacht hatten, der 39 Zuschauer zum Opfer gefallen waren. Es scheint auf die deprimierendste Weise logisch, dass eine derart konditionierte Polizei blind für das Leiden in Hillsborough war. Sie wollte um jeden Preis einen Platzsturm verhindern und begriff nicht, wie hoch der Preis sein würde.“ Die Scheuklappen waren zu groß geworden.
Es gab Betrunkene, es gab Gewalttäter unter den Fans, mehr als genug und oft traurig unter Beweis gestellt. Die mediale Berichterstattung der folgenden Tage, vor allem im großen Boulevardblatt Sun machte sie aufgrund dieser Geschichte als Schuldige an diesem Tag aus. Unter Berufung auf Polizeiangaben wurde verbreitet, daß die Liverpool-Fans auf die Polizisten uriniert hätten, sie während Wiederbelebungsversuchen verprügelt hätten, die Toten von anderen Fans ausgeraubt worden wären und es sich überhaupt um einen betrunkenen Mob gehandelt hätte, der am eigenen Schicksal selbst schuld gewesen wäre. Dieses Bild hat sich in bis heute gängigen Schmähgesängen festgesetzt. „Noch im Leichenschauhaus von Sheffield fragten die Polizisten die Hinterbliebenen, wie viel Bier ihre Söhne, Brüder, Väter, Ehemänner vor einem solchen Spiel denn zu trinken pflegten. Den Verstorbenen wurden Blutproben entnommen.“ Die 96 Toten waren an ihrem Tod nicht schuld. Sie waren Opfer einer Tragödie, die nicht vom Himmel fiel, sondern vermieden hätte werden können.
Institutionelle Konsequenzen wurden gezogen. Aber wer von den handelnden Personen auf Seiten der Behörden warum wie versagte und ob etwas verhindert hätte werden können, wurde nie offiziell aufgeklärt. Dies könnte nun erfolgen.
Eine gute Reportage.

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