Freitag, 21. Februar 2014

David gegen Goliath


Rezension


Reinhard Pillwein
David gegen Goliath
Die österreichische Pokalgeschichte zwischen 1897 und 1949
Wien 2013 (Verlagshaus Hernals)
175 S.





Eine stete Begleiterin des Cups in Österreich ist die Unzufriedenheit. Der ÖFB-Cup führt im Vergleich zur Bundesliga ein Schattendasein, wird weder von den Vereinen noch von der Mehrzahl der Fans ernst genommen. Dies ist alles im großen und ganzen nicht neu, wie Reinhard Pillwein in seinem Buch zur österreichischen Cupgeschichte ausführt: „In einer Mischung aus Größenwahn und Einfältigkeit wurde der regional ausgetragene Wiener Pokal und allen voran seine Besucherzahlen stets an der ältesten und berühmtesten Pokalkonkurrenz der Welt, dem englischen FA-Cup, gemessen und dabei regelrecht niedergeschrieben. An dieser unrealistischen Betrachtungsweise hat sich bis heute nichts geändert, mit dem kleinen Unterschied, daß man dem heutigen Österreichischen Cup gerne den deutschen DFB-Pokal vorhält.“

Die relevanten Cupbewerbe auf nationaler und regionaler Ebene werden in diesem Buch beschrieben, beginnend mit dem Challenge Cup. Es war dies der einzige Fußballwettbewerb, der Vereine der getrennten Fußballverbände Österreichs und Ungarns in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie verband. Hier standen sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts die großen Vereine aus Wien, Prag und Budapest gegenüber. Dieses Kapitel, in dem auch die organisatorischen Verwerfungen im noch jungen Fußballbetrieb vorkommen, gehört zu den interessantesten.
Das Buch ist keine wissenschaftliche Analyse, aber eine lesenswerte Darstellung und vor allem eine in dieser Form bisher nicht existente Aufbereitung. Pillwein wühlte sich sichtlich durch die zeitgenössischen Zeitungsberichte und vermittelt aus dieser Recherche ein anschauliches Bild vom Umfeld des Bewerbs, den Spielen und auch der Stimmung auf den Plätzen. So hieß es in einem Artikel zum Finale zwischen der Vienna und dem FAC vom 21. Juli 1907 auf der (alten) Hohen Warte: „Das Publikum, zu dem die Heiligenstädter Jugend ein Hauptkontingent lieferte, nahm bedauerlicherweise lärmend gegen die Gäste Partei.“

Das Schöne an solchen Büchern sind die unbekannten Geschichten. Wer hat schon von „einem der dramatischsten Pokalendspiele der österreichischen Fußballgeschichte“ gehört, dem 8:6 (!) der Amateure gegen Slovan im Finale des Wiener Cups 1924, vor 7.000 Leuten am alten Simmeringer Sportplatz. Auch einige Reglement-Kuriosa gab es:
1930/31 sollte der Bewerb als „Winter-Cup“ von 22. November bis 1. März ausgetragen werden. Aufgrund nicht sehr überraschend zahlreicher Spielverschiebungen zog sich das ganze dann aber bis Ende Mai hin. Darüber hinaus wurde der Cup in diesem Jahr im Meisterschaftsmodus und nur unter den Erstligavereinen ausgespielt, womit all das gestrichen wurde, was den Cup besonders macht. Bereits in der nächsten Saison kehrte man zum guten alten Modus zurück.
Im Achtelfinale 1931/32 traf Rapid auf die eigene Reserve (8:1). Diese Verrücktheit sollte sich 2010 wiederholen.
Das verwunderlichste Cup-Kuriosum: Am 1925 erstmals ausgetragenen Vorarlberger Landespokalbewerb nahmen die großen Vereine mit mehreren Mannschaften teil, der FC Lustenau sogar mit vier (!) Teams. Paarungen wie FC Lustenau IV gehen FC Hard II klingen nicht sehr prickelnd. Das Finale gewann FC Lustenau I gegen FC Lustenau II.

Die Besonderheit der österreichischen Cupgeschichte im internationalen Vergleich ist, daß es lange keinen landesweiten Bewerb gab. Ebenso wie bei der Meisterschaft wehrten sich die Wiener Vereine jahrzehntelang erfolgreich gegen eine Öffnung ihrer hochstehenden Konkurrenz, ab 1925 im Profibetrieb geführt, gegenüber den Bundesländern. „Auf der einen Seite stand mit Wien eine der großen Fußball-Metropolen Europas,“ schreibt Pillwein, und auf der anderen Seite waren die Bundesländer. Deren Fußball war zwar „keineswegs schwach, nur hatte der Wiener Fußball zum damaligen Zeitpunkt eben Weltgeltung.“ So gab es Cupbewerbe der einzelnen Landesverbände, von denen der bedeutendste natürlich der Wiener Cup war. 1935 wurde er (bis 1938) als Kompromiß mit einigen ausgewählten Vereinen aus der Steiermark, Oberösterreich und Niederösterreich erweitert.
1936 scheiterte der Wiener Neustädter SC (1908−2008, nicht zu verwechseln mit dem durch Lizenzkauf entstandenen Retortenprodukt, das ihn kannibalisiert hat) in der ersten Runde an Helfort aus Wien und erlebte dabei eine Invasion von zwischen dreihundert und vierhundert Fans aus Ottakring: „Dem Mannschaftsbus folgten sechs weitere Autobusse mit Schlachtenbummlern. Schon lange vorher waren rund einhundert Anhänger mit dem Fahrrad in Richtung Wiener Neustadt aufgebrochen.“

Das Buch ist mit vielen wunderschönen Bildern versehen. Vor allem die Bilder aus der Frühzeit sind immer interessant. Es erfreuen aber auch die bekannten Bilder wie z.B. vom sichtlich vom Spiel erschöpften Franz „Bimbo“ Binder mit dem Pokal in Händen neben Bürgermeister Theodor Körner nach dem Rapid-Cupsieg 1946. Der als Wiener Cuptrophäe und dann österreichischer Cup über viele Jahrzehnte von 1919 bis 1985 verliehene Silberpokal hat heute einen Ehrenplatz im Rapideum.

In der Nazizeit spielten österreichische Vereine sehr erfolgreich im quer zur deutschen Meisterschaft ausgetragenen Tschammer-Pokal, benannt nach einem NS-Funktionär. Rapid gewann den deutschen Pokal 1938 und die Vienna 1943. Nach der Befreiung gab es von 1946/47 bis 1948/49 wieder einen österreichischen Cup mit Wiener Vereinen und Vertretern der übrigen Bundesländern.

Das Salz in der Suppe des Cups sind ungewöhnliche Aufeinandertreffen. Im ÖFB-Cup-Semifinale lockte 1949 die Begegnung zwischen dem SC Siebenhirten (!) und der Wiener Austria 30.000 Menschen ins Praterstadion. Das Cupfinale zwischen den Lilanen und Vorwärts Steyr interessierte daraufhin mit 15.000 nur mehr halb so viele Leute. Darunter waren aber stolze 1.000 mitgereiste Steyrer Fans, die ihren Verein zum größten Spiel der Vereinsgeschichte begleiteten (leider 5:2-Niederlage).

Mit dem Finalspiel 1949 wurde der ÖFB-Cup aufgegeben, begründet mit der Ausweitung der Meisterschaftsspiele mit der Einführung der neuen Staatsliga. Damit endet auch das Buch. Erst 1958/59 wurde der Cup nach einem Jahrzehnt Pause wiederaufgenommen. Eine Fortsetzung ist also möglich.

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