Mittwoch, 2. Januar 2013

Zwölf − Sonderheft Fankultur



Rezension


Zwölf
Sonderheft Fankultur
2012
118 S.






Begleitend zur Ausstellung Fankultur − Szenen aus dem Stadion im Museum des des FC Zürich (Oktober 2012 bis März 2013) erschien im Herbst ein bemerkenswertes, ansprechend gestaltetes Sonderheft des Magazins Zwölf.
Die Zeitschrift beschreibt sich als Erzähler von „Fußballgeschichten aus der Schweiz“. So ist denn auch diese Publikation kein klassischer Ausstellungskatalog, sondern greift die verschiedenen Themen rund um den Fußball und seine Fans auf, die wohl Gegenstand der Ausstellung sind.
Die Texte und vielen Bilder handeln fast ausschließlich von der Schweiz. Dadurch haben die gut 120 Seiten für Auswärtige einen hohen Bildungswert. Abgesehen davon sind es aber auch für sich stehend lesenswerte, allgemeingültige Betrachtungen zum Thema Fankultur. Denn auch wenn manches Detail hier anders ist, die großen Themen sind dieselben.

Zur Gewaltthematik ist Saro Pepes Artikel interessant, der sachlich die Geschichte der Schweizer Hooligans in den 1980er Jahren und die verbreitete neonazistische Ausrichtung beschreibt. Nicht nur in der Schweiz wird in den öffentlichen Debatten um die Gewalt im Fußball das historisch falsche Bild eines friedlichen früher und eines von Angst und Gewalt gekennzeichneten Stadionbesuchs heute gezeichnet. Pascal Claude beschäftigt sich in einem Essay mit der Frage, wie aus (auswärtsfahrenden) Fans in der öffentlichen Wahrnehmung Kriminelle wurden: Er ist nicht nur Staatsgewalt, Medien und Politik gegenüber kritisch, sondern spricht auch den Beitrag von Fans selbst zur Entstehung dieses Bilds an.
In einer Zusammenschau von Gewalt im Stadion in über vier Jahrzehnten resumiert Michael Lütscher, daß sich weniger die Taten selbst als ihre Rezeption geändert haben: „Die Vorfälle unterscheiden sich offensichlich kaum von jenen in heutiger Zeit. Nur die Argumentation hat sich stark gewandelt.“

Eine spannende Zeitreise ist das Interview mit zwei Herren 50+, die ab 1973 (!) im italienischsprachigen Tessin die Welt des italienischen Tifo mit Choreos, Gesängen und Pyro in die Schweiz brachten: Notabene aber nicht im Fußball, sondern im Eishockey, beim HC Lugano. „Ja, wir waren die ersten Ultras der Schweiz. Aber wir waren Ultras der 70er Jahre. Das hat wenig gemeinsam mit dem, was heute als Ultra bezeichnet wird. Der größte Unterschied der heutigen Fans zu uns damals ist, daß sie heute immer incazzati (wütend) sind.“ erzählt Mauro Medolago.

Diego Stocker beschreibt seine Fankurve, in der er sich seit 35 Jahren bewegt, als „erfrischender Gegenentwurf zum vorherrschenden Zeitgeist, der immer beengender, egoistischer und spießiger wird.“ Die Kurven stehen naturgemäß im Zentrum der Betrachtungen, doch immerhin ein Artikel beschäftigt sich auch mit einem anderen Teil des Stadionpublikums abseits von Fankurven und VIP-Verköstigung: „Fans gibt es längst nicht nur in der Kurve. Auf den Gegentribünen sitzen ebenfalls Tausende mit Saisonabos, von denen kaum je Notiz genommen wird. Sie singen nicht, sie sind nicht organisiert, sie haben keine Stimme.“ David Mugglin beschreibt hier, wie anhand einer Umfrage im Konflikt zwischen Fankurve und Vereinsführung des FC Luzern die Meinung dieser Fans ausgelotet wurde. Ein aus eigener Perspektive wichtiger Ansatz. Zu dieser Thematik hätte ich gerne mehr gelesen.

Schön sind die Bilder von Fans beim „Höhepunkt des Fußballjahres“, dem Schweizer Cupfinale in den 70er und 80er Jahren, interessant ist Pascal Claudes Verweis auf Fanzines. Zur Entfremdung von Fußballprofis und Fans schreibt der Exprofi und Intellektuelle Ivan Ergić.

Neben manchmal ungewohnter Grammatik lernt man hier auch neue Ausdrücke kennen, wie so oft in der Konfrontation mit der fremden Sprachwelt der Schweiz. Weder kannte ich etwa die historische Begebenheit noch konnte ich mir im aus meinem ostösterreichischen Wortschatz zusammenreimen, was mit dem Wort Saubannerzug gemeint wäre. Auch in dieser Hinsicht ist die Lektüre dieses Hefts somit gewinnbringend kenntniserweiternd.

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