Wiener Fußball 1920-1965
Stadtinformationszentrum/Rathaus, 6.6.-29.8.2008
Wiener Stadt- und Landesarchiv, 6.6.-29.8. u. 1.9.-26.9.2008
Die Ausstellung ist in zwei Teile an zwei Standorten in Wien aufgeteilt. Die Wahl der beiden Orte ergibt sich aus dem präsentierten Material (Zeitungsberichte und Plakate aus der Wienbibliothek im Rathaus und Dokumente im Stadt- und Landesarchiv - man muß aber schon sehr interessiert sein, um deswegen zwischen Innenstadt und Simmering zu pendeln. Die Ausstellung ist daher wohl für "Laufkundschaft" gedacht; diesen Schluß legt das eher bescheidene, den laufenden Betrieb nicht störende Ausstellungsdesign nahe. Es gibt auch keine Hinweise auf den zweiten Ausstellungsort.
Die gebotene Information ist hochqualitativ, allerdings ist die Präsentation leider nicht gut. Ein anderer Ort wäre hier vielleicht doch besser gewesen.
Im aufliegenden Gästebuch wird zu Recht kritisiert, daß fast ausschließlich Persönlichkeiten von Rapid und Austria portraitiert werden. Auch wenn es wirklich faszinierende Geschichten (Béla Guttmann!) sind, stimmt diese Kritik, da ja gerade im Zeitraum 1920-1965 die heutige Dominanz der beiden Wiener Großvereine nicht derart gegeben war. Da haben nicht nur Sportclub und Vienna mitgeredet.
Auch wenn der Raum den Charme eines Bahnhofswarteraums hat, ist dieser Teil der Ausstellung aufgrund der gezeigten Originaldokumente (Meisl! Sindelar!) der beste.
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Wolfgang Maderthaner / Alfred Pfoser / Roman Horak (Hg.)
Die Eleganz des runden Leders
Wiener Fußball 1920-1965
Göttingen 2008 (Verlag Die Werkstatt)
223 S.
Das Begleitbuch zur Ausstellung beinhaltet einige hochinteressante Artikel zur Geschichte und Kultur des Wiener Fußballs zur Zeit seiner Weltbedeutung, von den zwanziger bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Da gibt es persönliche Anmerkungen zur Leidenschaft für Rapid (Wendelin Schmidt-Dengler) und Austria (Peter Pelinka - kann bei diesem Gegenüber nur schlecht aussehen), Biographisches zu Hugo Meisl und Béla Guttmann (dessen Lebensgeschichte in der Fülle seiner Details für mich die Entdeckung von Buch und Ausstellung ist) und Wolfgang Maderthaner und Roman Horak veröffentlichen ein weiteres Mal über ihr Exzellenzthema, die Wiener Schule. Sehr spannend die Zugänge des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Andrei S. Markovits über sein Erleben der Wiener Fußball(fan)kultur der 1950er/60er Jahre als rumänischer Jude und von Hardy Hanappi über seinen Vater, "Legende und Mensch" Gerhard Hanappi.
Zu einem wirklichen Glanzstück machen das Buch allerdings seine neun Dokumentationen, in denen hauptsächlich zeitgenössische Medienberichte wiedergegeben werden. Was man in der Ausstellung im Rathaus also nicht geschafft hat zu lesen, kann man hier, leider nur im Titel faksimiliert, zumindest ein wenig nachlesen. Hochamüsant zeitgenössische Stimmungsberichte zu lesen wie über das Länderspiel Österreich-Ungarn (6:0) 1927:
"Wenn 44.000 Wiener gut aufgelegt sind, und das waren sie Sonntag nachmittags auf der Hohen Warte, dann sind sie zu jeder Hetz zu haben. Und wenn die Brüder Fogl, die gewaltigen und keineswegs zarten ungarischen Verteidiger, zum Schuß ausholten, ging jedesmal ein vieltausendstimmiges "Ho-ruck!" durch die Arena, eine gutmütige Frotzelei für den gewaltigen Budapester Spieler".
Bemerkenswert auch der faksimiliert abgedruckte Bericht des SS-Sicherheitsdienstes von Oktober 1940 über "ausgesprochene Skandalszenen" beim Cupspiel von Rapid gegen Fürth (6:1):
"Es war schon eine Explosivstimmung vorhanden bevor das Spiel überhaupt los ging. Die Zuschauer waren besessen von dem Gedanken, daß Rapid siegen muß. Der Krach ging schon los, als der Schiedsrichter das Feld betrat und bekannt wurde, daß es ein Berliner sei. Er wurde mit Pfeifen und Gejohle empfangen. ... Es waren genug gegnerische Elemente unter dem Publikum, denen es gelang, mit der Parole "gegen die Altreichsdeutschen" auch selbst Gutwillige und Parteigenossen mitzureißen. Die Demonstrationen gingen zweifellos über das beim Fußball übliche Maß hinaus. ... Es wird darauf hingewiesen, daß, wenn es nicht gelingt, daß diesen sportlichen Ereignissen durch entsprechende Maßnahmen der politische Unterton (Wien - Altreich) genommen wird, es das Beste wäre, reichswichtige Spiele eine Zeit lang nicht mehr nach Wien zu legen."
Einerseits nett, wie auch schon vor 60 Jahren Stimmung bei Rapid-Heimspielen war; andererseits bedrückend, wenn man daran denkt, daß das Nazi-Regime auch ganz andere Maßnahmen gegen Zuwiderhandeln gekannt hat.
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