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Mittwoch, 10. März 2021
Ballesterer 159
Rezension
ballesterer
Nr. 159, April 2021
84 S.
„Eine Vereinsgeschichte wie eine Achterbahnfahrt.“ So beschreibt die Titelgeschichte von Jan Mohnhaupt und Nicole Selmer Schalke 04. Man kann dem nach der Lektüre zustimmen, nachdem man in hoher Geschwindigkeit durch Aufs und Abs geführt wurde. Über „Euphorie und Empörung gleichermaßen“, mit denen vom großen Skandal 1930 hinweg ein „Akkord widersprüchlicher Emotionen“ den Klub begleitet, bis hin zum 2021 wohl nur mehr schwer zu vermeidenden vierten Abstieg der Vereinsgeschichte und seinen Ursachen. „Eines der größten Probleme besteht darin, dass der Verein die Verbindung zu seiner Basis verloren hat.“ Dazwischen sind u.a. der „Zirkus Schalke“ der 70er/80er Jahre sowie Höhenflüge und Fehlschläge der letzten Jahrzehnte Thema. Für einen dauerhaften Absturz – in die Regionen der Dritt- und Viertklassigkeit, wohin es einst auf Augenhöhe agierende andere Ruhrgebietsvereine verschlagen hat – sei Schalke aber „too big to fail“, meinen Mohnhaupt und Selmer. Rapid verbindet mit Schalke vor allem das Finale um die deutsche Meisterschaft 1941. Das wird hier auch behandelt. Der Titelgewinn Rapids ließ auf beiden Seiten Mythen entstehen, die beiderseits falsch sind.
Rapid ist darüber hinaus in anderen Texten des Hefts Thema. So spricht Rapid-Vereinsarzt Thomas Balzer im Interview mit Jakob Rosenberg über den Stellenwert seiner Rolle in der Corona-Pandemie sowie den Umgang im Profisport mit der Situation und äußert seine Ablehnung einer Bevorzugung von Profifußballern bei Corona-Impfungen. Mit dem Stein der Erinnerung für Alfred „Fritz“ Dünmann und der Absicht, aus der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft zu lernen, beschäftigt sich Moritz Ablinger. Für Laurin Rosenberg vom Rapideum soll das Gedenken an die von den Nazis Ermordeten auch zu einer verstärkten Reflexion eigenen Verhaltens beitragen: „Es geht sich nicht aus, andere Vereine als ,Judenklubs‘ zu beschimpfen“, sagt er. „Erst recht nicht mit dem Wissen um die eigene Geschichte. Es war ein Jude, der uns unseren Namen gegeben hat.“ (Wilhelm Goldschmidt)
Ein Stadion, von dem mich im Lauf der Jahre immer wieder Bilder von den charakteristischen historischen Tribünen beeindruckten, zu dem ich es aber umständehalber nie zu einem Spiel schaffte, ist bzw. war das Bosuilstadion im belgischen Antwerpen. Jürgen De Meester, der seit Kindestagen an damit viele Erinnerungen verbindet, beschreibt in einem schönen Artikel die Stadiongeschichte und das letzte Stück des alten Stadions, die Längsseiten-Fantribüne Tribune 2. Seit der Saison 2019/20 ist sie aus Sicherheitsgründen gesperrt. „Der Charme einer Tribüne mit Holzbänken und Stahlträgern, die das Dach halten und die Sicht behindern, ist heute weder Verbänden und Behörden vermittelbar noch kommerziellen Erfordernissen dienlich.“ De Meester berichtet, dass die Coronapandemie aufgrund erforderlicher Abstandsregeln fast zu einer Wiedereröffnung der Tribune 2 geführt hätte, aber die Geschwindigkeit der Virusentwicklung mit erneuten Geisterspielen im Herbst 2020 dazwischen kam. Der Abriss und die nachfolgende Komplettierung des Stadionneubaus von Royal Antwerp ist nur eine Frage der Zeit.
Weitere Themen im Heft sind u.a. Fanproteste in China gegen Vereins-Umbenennungen, der Stand zum Stadionneubau von Blau-Weiß Linz, spannende Einsichten zum Konflikt in der Vereinsführungsriege des LASK, ein dubioser Investor in Elche, ein Nachruf auf den an COVID-19 mit 45 Jahren verstorbenen ehemaligen Spieler von Sturm Graz Mehrdad Minavand oder ein interessantes Interview mit Felix Gasselich zu seiner Karriere.
In der mangels offener Stadien und Reisemöglichkeiten anstelle der Groundhopping-Berichte getretenen Erinnerungsrubrik über bedeutende Spiele im Fanleben erinnern sich zwei Redakteure in ihren Beiträgen an Niederlagen der Wiener Austria (respektive einmal einem Europacup-Ausscheiden). Das erfreute mich. Der These, dass man in Graz den virulenten „Wien-Komplex“ überwunden habe, kann ich mich allerdings nicht anschließen.
In die Gruabn im XX. Wiener Gemeindebezirk zum WAF Brigittenau geht es diesmal in meiner Amateurfußballreihe Nebenschauplätze.
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