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Mittwoch, 28. September 2011
Die Legionäre
Rezension
David Forster / Bernhard Hachleitner / Robert Hummer / Robert Franta
„Die Legionäre“
Österreichische Fußballer in aller Welt
(Österreichische Kulturforschung: Bd. 12)
Münster 2011 (LIT Verlag)
337 S.
Vier markante Persönlichkeiten zieren das Titelblatt des Buchs über „österreichische Fußballer in aller Welt“. Hans Krankl beim FC Barcelona, Herbert Prohaska bei Inter Mailand, Ernst Happel beim HSV und Ernst Ocwirk bei Sampdoria. Doch die folgenden Seiten machen deutlich, daß die Geschichte österreichischer Fußballegionäre viel weiter zurückreicht und viel weiter faßt.
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Eine chronologische Abhandlung von den 1890er Jahren bis zu Bosman und den Folgen bietet im ersten Teil eine umfassende, detailreiche und spannende Darstellung über die Fußballmigration im Wandel der Zeit. Im zweiten Teil gibt es hundert kurze Biographien österreichischer Fußballer, die ihr Glück jenseits der Grenzen gesucht hatten. Teils bekannte, manch unbekannte und oftmals kuriose Geschichten. Nach diesen Abschnitten der Autoren David Forster, Bernhard Hachleitner und Robert Hummer folgt im abschließenden dritten Teil der Part von Robert Franta, der eine erschöpfende Liste jener Legionäre in Herkulesarbeit zusammengetragen hat, von A wie Karl „Waschi“ Adamek bis Z wie Herrn Zwiebel, der einst von der Hakoah nach Metz gewechselt war. Selbst ein gewisser Franz Strohsack, der in jungen Jahren vom SC Weiz zu Helvetia Bern ging, bevor er als Frank Stronach einen anderen Karriereweg einschlug, entging Franta in seiner peniblen Arbeit nicht.
Vor drei Jahren erschien bereits das zeitgleich erarbeitete Buch Legionäre am Ball von Barbara Liegl und Georg Spitaler über Fußballmigration nach Österreich, von Forster, Hachleitner und Hummer in ihrem Vorwort als „Komplementärstudie“ ihres Werks bezeichnet. Wenn man beide Bücher zusammennimmt, steht nun ein bisher ungekanntes Ausmaß an Wissen über ausländische Fußballer in Österreich und österreichische Fußballer im Ausland zur Verfügung. Ein wahrer Schatz.
Die Frage, was das „Ausland“ ist, das aus einem Fußballer einen Legionär macht, ist gerade in den ersten Jahrzehnten des österreichischen Fußballs in der Habsburgermonarchie schwierig zu beantworten. Bernhard Hachleitner bejaht die Frage, wer ein Legionär ist für Wiener Fußballer, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in Ungarn spielten, nach heutigen Maßstäben. In Ungarn bestand ein von der FIFA anerkannter eigener nationaler Verband. Für jene Kicker, die nach Prag oder andere böhmische Städte gingen, ist die Frage schwieriger zu beantworten, da hier unter den Vorzeichen des allgemeinen Nationalitätenkonflikts tschechische und deutschböhmische Verbände parallel bestanden und der tschechische Verband zwar 1906 seine FIFA-Anerkennung erreichte, ihm diese zwei Jahre später auf österreichisches Bestreben, das ihn als lediglich regionalen Teilverband unter seiner Jurisdiktion wollte, aber wieder aberkannt wurde. Waren sie Legionäre? „In Anlehnung an Robert Musil“ löst Hachleitner das Dilemma auf: „Sie waren Legionäre, aber nicht zu sehr.“
Als „Ausnahmezustand“ definiert David Forster die österreichische Fußballmigration in der NS-Zeit. Ein Beispiel für die mörderische Unmenschlichkeit ist die Geschichte des Hakoahners Oskar Reich, der 1938 den Nazis in Österreich nach Frankreich zum AS Cannes entkommen konnte, nach dem deutschen Einmarsch 1940 weiter ins vorerst unbesetzte Südfrankreich fliehen und dort weiterspielen konnte, bis er 1943 festgenommen wurde. Der Ermordung entkam er, indem er sich an Verhaftungsaktionen von Jüdinnen und Juden beteiligte. Nach Kriegsende wurde er wieder in Wien am Red-Star-Platz von einem ehemaligen Häftling erkannt und schließlich in Paris zum Tode verurteilt und hingerichtet. „Damit erhielt Reich eine strengere Strafe als jene SS-Schergen, die ihn zur Mittäterschaft gezwungen hatten.“ stellt Forster trocken fest (siehe über Reich auch den Artikel von Forster und Georg Spitaler im Ballesterer 38). Für die Mehrheit der rund hundert über ganz Europa verstreuten österreichischen Fußballarbeiter, Spieler und Trainer, bedeuteten die NS-Herrschaft und schließlich der Kriegsbeginn das Ende ihres Auslandsengagements. Nachvollziehbarerweise wurden Deutsche in ganz Europa immer unbeliebter und schließlich ab September 1939 vielerorts als „feindliche Ausländer“ klassifiziert.
Viele, viele Details bereichern das historische Wissen. So wußte ich etwa nicht, daß vor Ernst Happel bereits Max Merkel 1955/56 einmal niederländischer Bondscoach gewesen war. An der zweiten deutschen Meisterschaft des FC Bayern München 1969 hatten mit Gustl Starek und Peter Pumm zwei österreichische Spieler einen wichtigen Anteil. Aber auch beim ersten Meistertitels dieses Vereins 1932 war mit Richard Dombi als Trainer ein Österreicher entscheidend beteiligt gewesen. Nach der NS-Machtübernahme 1933 mußte Dombi als Jude den Verein verlassen.
Leider erschließt kein Namensregister das Buch für spätere erleichterte Verwendung. Auch der großzügige Verzicht auf Anmerkungen mag zwar die Lesbarkeit fördern, erschwert aber die praktische Verwendung des Buchs. Bei manchem Zitat, bei manchem Hinweis hätte ich liebend gern die Quelle gewußt. Bernhard Hachleitner sei der Fehler verziehen, daß er behauptet (S. 203), die Rapid wäre 2008/09 und 2009/2010 mit Siegen über Aston Villa in die Gruppenphase der Europa League eingezogen. Das ist natürlich falsch. Es war vielmehr in den Saisonen 2009/10 und 2010/11. Ein Grüner wüßte das ;-)
Die vielen Biographien faszinieren, ja fesseln geradezu. Da ist Karl Pekarna, der Tormann der Vienna, der 1904 beim Turnier zu deren zehnjährigem Vereinsjubiläum die Gastmannschaft so beeindruckte, daß er einen Profivertrag bei ihnen bekam. Es waren die Rangers aus der schottischen Fußballhauptstadt Glasgow. Pekarna wurde zum ersten und für lange Zeit einzigen Österreicher, den den Sprung in eine britische Profiliga schaffte. Aber auch die thematischen Infomationen im ersten Teil sind hochspannend. So ist es fast unglaublich, wieviele österreichische Trainer Teamchefs von Nationalmannschaften in halb Europa und aller Welt waren. Herrliche exotische Geschichten wie die Emigration von Leo Baumgartner nach Australien nach der Tournee der Wiener Austria ebendort 1957 und sein Avancement zur australischen Fußballegende, die 2001 in die dortige Football Hall of Fame aufgenommen wurde. Unglaublich ja auch die Geschichte der Rückkehr von Franz Hasil, der trotz großen Erfolgs 1973 sein Engagement bei Feyenoord Rotterdam (wo er 1970 den Europacup der Meister gewonnen hatte) beendete und unbedingt nach Österreich zurückwollte, „weil der Alltag als Profikicker dort weniger anstrengend war“, wie Bernhard Hachleitner schreibt: „In Rotterdam mußte er zwei Mal pro Tag trainieren und immer 100 Prozent bringen, in Österreich reichte ein gutes Spiel, dann konnte er drei Matches mit halber Kraft bestreiten.“ Ein potschertes Leben nannte diesen Zugang Jahre später auf sich bezogen Zeitgenosse Hans Orsolics.
Ein gutes Buch.
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