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Mittwoch, 6. Juni 2012

Fußball, Macht und Diktatur


Tagungsbericht


Fußball, Macht und Diktatur
Streiflichter auf den Stand der historischen Forschung
5. Juni 2012, 8:30 bis 21:00 Uhr
Karl-Franzens-Universität Graz,
Neuer Senatssaal


Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung
Institut für Geschichte, Universität Graz
in Kooperation mit: Verein zur Aufarbeitung und Erforschung regionaler Zeitgeschichte



Das Grazer Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung rief zu einer Tagung, die sich der historischen Forschung zum Komplex Fußball, Macht und Diktatur widmete. Es ging in thematischen Blöcken um epochenübergreifende Bemerkungen zu Sport im Dienste von Politik und Ideologie, dann um Mythos, Identität und Aufarbeitung − „Drittes Reich“, Sowjetunion, Polen und Ukraine und anschließend um dieselbe Themenstellung an konkreten Vereinsbeispielen im Teil Mythos, Identität und Aufarbeitung II − Fußballklubs im Fokus. Im vierten Teil wurde das Forschungsprojekt Der Steirische Fußball und seine Traditionsvereine in der NS-Zeit 1938−1945 präsentiert.
Am Abend gab es noch eine Podiumsdiskussion zum Thema Tradition und Zukunft des österreichischen Fußballs. Diesen Programmpunkt habe ich allerdings ausgelassen, um mich der Zukunft der Tradition des GAK im Hinspiel der Relegation gegen Hartberg zu widmen.

Panel 1

Epochenübergreifende Bemerkungen zu Sport im Dienste von Politik und Ideologie

Das erste Panel stellte Moderatorin Andrea Penz als „Rahmenklammer für den Tag“ vor. Denn zunächst ging es nicht um Fußball. Der Alt- und Sporthistoriker Peter Mauritsch referierte über die „Attraktivität des Sports für die Politik“ in der griechischen und römischen Antike. Mörderische Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen im alten Rom haben mit heutigem Sportverständnis wenig zu tun, aber schon die Charakteristika von emotionalen Menschenmassen und politischer Nutzung der durch die Spiele geschaffenen Aufmerksamkeit gemein.
Der Mediävist Johannes Gießauf widmete sich sportlichen Wettkämpfen im Mittelalter. Die antike Tradition lebte in Byzanz weiter, wo im Hippodrom Wagenrennen stattfanden, die von enthusiastischen Fangruppen (erst vier, dann zwei) in ihren Farben begleitet wurden. Die politische mobilisierbaren Massen waren dabei auch ein politischer Kristallisationspunkt, wie sich am Nika-Aufstand des Jahres 532 zeigte, der von der Armee mit zehntausenden Toten niedergeschlagen wurde.
In Westeuropa standen derweilen nicht Profiathleten wie in Konstantinopel im Mittelpunkt der Spiele. Die Angehörigen der Elite selbst maßen in Turnieren in Waffen ihre Kräfte. Wie populär diese männliche Adelskultur war, zeigt sich daran, daß die Kirche darin scheiterte, das blutige Treiben einzudämmen.
Den größten Fußballbezug haben die seit dem 13./14.Jh. belegten Wettspiele auf Straßen und Plätzen der Städte, am bekanntesten das bis in 18.Jh. gepflegte Spiel Calcio in Florenz, einer Mischung aus Fußball, Rugby und Ringen. Mit der Geschichte des Fußballs hat dies wenig zu tun, auch wenn der Calcio Fiorentino 1930 unter faschistischen Vorzeichen wiederaufgenommen wurde und der historisch lokale Brauch nationale propagandistische Weihen erhielt. Politische Symbolik hatte dieses Spiel des Stadtadels von Florenz, als es 1530 in der von Truppen Kaiser Karl V. belagerten Stadt demonstrativ abgehalten wurde.

Panel 2

Mythos, Identität und Aufarbeitung − „Drittes Reich“, Sowjetunion, Polen und Ukraine

Mit dem Fußball ging es erst im weiteren Verlauf des Vormittags los. In einem großen zeitlichen Sprung zum Morgen bot Markwart Herzog einen Einstieg in die kritische Aufarbeitung der Fußballgeschichte in Deutschland im letzten Jahrzehnt. Er sprach über „Forschung, Märchen und Legenden“. In den Jahrzehnten nach 1945 war die Geschichtsschreibung von apologetischen Opfernarrativen zur Nazizeit geprägt gewesen. Doch die Fußballvereine hatten sich mit dem NS-Regime auch arrangiert.
Michail Prozumenščikov vom Moskauer Archiv für Zeitgeschichte gab einen kurzen Einblick in politische Einflußnahmen im sowjetischen Fußball der Stalin- und Chruschtschow-Zeit. Der Fußballbetrieb war unter politischer Kontrolle, die Vereine gehörten zu Institutionen oder Großbetrieben. Direkte politische Einflußnahme gab es z.B. bei der durch den gefürchteten Geheimdienstchef Berija veranlaßten Wiederholung des Cup-Semifinales von 1939 (nach dem bereits ausgetragenen Finale!), das Spartak Moskau gegen sein Dinamo Tiflis gewonnen hatte.
Mit Fußballmythen in Polen und der Ukraine beschäftigte sich der Beitrag von Thomas Urban. Der Osteuropakorrespondent der Süddeutschen Zeitung war leider nicht anwesend. Sein inhaltlich spannender Text wurde daher verlesen. Hartnäckig gegen Widerlegungen und Fakten sträuben sich die Mythen des sogenannten „Todesspiels“ zwischen Ukrainern und Deutschen im besetzten Kiew 1942 (Spieler wurden nicht aufgrund des gewonnenen Spiels ermordet) und um das „Regenspiel“ zwischen Polen und Deutschland bei der WM 1974, bei der Polen laut polnischer Überlieferung unfair benachteiligt wurde. In der Diskussion der Beiträge wurde von TV-Zeitzeugen der WM 1974 festgehalten, daß Erinnerungen trügen. Aktuell ist das „Todesspiel“ im Frühjahr 2012 Gegenstand russisch-ukrainischer geschichtspolitischer Kontroversen um den russischen Film Match, der die sowjetische Propagandalegende in nationaler Variante wiederaufnimmt, indem Nazikollaborateure ukrainisch und Widerständler russisch sprechen.

Panel 3

Mythos, Identität und Aufarbeitung II − Fußballklubs im Fokus (Forschungen aus Österreich)

Den Beginn des Nachmittagsblocks machten Jakob Rosenberg und David Forster, die über Opfermythen und Widerstandslegenden − Austria und Rapid unterm Hakenkreuz sprachen. Rosenberg stellte Entstehungsgeschichte und Erkenntnisse der Studie Grün-weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938−1945) vor. Eine gründliche Aufarbeitung, wie sie bisher noch kein anderer österreichischer Fußballverein vorgelegt hat.
Forsters Vortrag interessierte mich auch insofern, als ich seinen Part bei der letztjährigen Konferenz Fußball unterm Hakenkreuz im Hanappi-Stadion versäumt hatte. Da sich seither entgegen Ankündigung des Vereins bei der Austria nichts getan hat und es gegenüber 2011 nicht viel Neues gebe, wie Forster kritisch bemerkte, konnte ich nun das Versäumte nachholen. Forster bezeichnete das Bild der Opferrolle der Austria zwar in vieler Hinsicht berechtigt, aber doch zu eindimensional. So wurde der als „Judenklub“ verschrieene Verein 1938 u.a. erst gesperrt und dann kommissarisch geleitet. Jüdische Funktionäre wie der Präsident Schwarz mußten fliehen. Im Nachhinein wurden aber viele Legenden produziert und auch aktuell in den offiziellen Vereinspublikationen zum 100-jährigen Jubiläum 2011 weitergegeben. Darin, von bekannten Journalisten verfaßt, finden sich, so Forster „Mythen und Märchen“ (siehe dazu seinen Artikel mit Matthias Marschik im Ballesterer 63). So gab es 1938 keine jüdischen Spieler und im Ausland als Legionäre tätige Spieler wurde als quasi verfolgte Flüchtlinge genannt. Es gab aber auch Spieler wie namentlich Walter Nausch, die sich nicht von ihrer jüdischen Frau scheiden lassen wollten, und daher in die Schweiz gingen.
Sportlich war die NS-Zeit für die zuvor erfolgreiche Wiener Austria ein markanter Einschnitt, man befand sich nun im Mittelmaß. Dazu nannte Forster neben vergleichsweise vielen Einberufungen in die Wehrmacht allerdings auch die Überalterung der zuvor erfolgreichen Mannschaft als Grund. Es gab Nazis und Verfolgte, Profiteure (die Ariseure Sindelar und Sesta) und Ermordete. Diese Geschichte kann man differenziert darstellen − oder nostaligisch-verklärt mit vielen Grauzonen, wie es die Austria tut. David Forster plädierte dafür, daß Vereine gewinnen, wenn sie sich ihrer Vergangenheit stellen.
Die 100-jährige Geschichte der SV Ried stellte Bernhard Bachinger vor. Der Verein entstand 1912 aus dem deutschnationalen bürgerlichen Milieu des Innviertels und hatte ab 1921 den Arierparagraphen in seinen Statuten. In der Zwischenkriegszeit gab es große Aufregung, als man einen SK Kadimah aus Wien zu einem Spiel eingeladen hatte und erst während der Anreise derselben drauf kam, daß es sich dabei um einen zionistischen, jüdischen Verein handelt. Das Fußballspielen gegen Juden war in Ried in Innkreis nämlich statutenwidrig. Leider wurde im Jahr 1994 bei einem Wohnungsbrand das Vereinsarchiv vernichtet. Die Quellenlage ist daher schwierig, wenn auch noch nicht konsequent ausgeschöpft. Bachingers Fazit zur politischen Geschichte der SV Ried war, daß aufgrund der geringen Strahlkraft des Vereins (Amateurbetrieb bis 1989) es zwar keine große Instrumentalisierung gab, die NS-Ideologisierung aber von innen erfolgte. Die antisemtische Geschichte wurde in der Darstellung zum 100-jährigen Vereinsjubiläum 2012 einbekannt und nicht verdeckt.
Weiters referierte noch Christian Eberle über den FC Barcelona und seine Opferrole in der Franco-Diktatur. Er hob die „Extrasportivität“ des Vereins hervor, der sich seit den 1920er Jahren dem katalanischen Nationalismus verschrieben hatte und dadurch in Konflikt mit dem Regime geriert. Dies war allerdings keineswegs einseitig, man arrangierte sich ebenso. Als Problem nannte Eberle den Umstand, daß es wissenschaftliche Publikationen v.a. auf Barça-Seite gibt, während auf Seiten des Antipoden Real Madrid Journalisten publizierten.

Panel 4

Präsentation des Forschungsprojektes „Der Steirische Fußball und seine Traditionsvereine in der NS-Zeit 1938−1945“

Als Finale präsentierten die Mitarbeiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung Walter Iber, Harald Knoll und Alexander Fritz ihr Forschungsprojekt Der Steirische Fußball und seine Traditionsvereine in der NS-Zeit 1938-1945. Dieses ist im Laufen, so stellten sie Zwischenergebnisse und Thesen vor. Ein gutes Projekt, um die Basis der hauptsächlich auf Wien zentrierten österreichischen historischen Fußballforschung zu verbreitern.
Walter Iber stellte Sturm Graz mit der Forschungsfrage „ein unpolitischer Verein?“ vor. Sturm war schon in jenen Jahren der populärste Verein war, sein sportliches Gegenüber war allerdings der Grazer Sportclub (spielt heute in der Gruabn) und noch nicht der GAK. Der Verein bekam 1938 vereinsfremde Vereinsführer, arrangierte sich aber auch mit dem Regime, etwa in enger Kooperation mit der HJ. Sturm hatte nach der Gründung 1909 den Arierparagraphen im Statut, dieser fiel aber nach dem Ersten Weltkrieg weg und die Positionierung als unpolitisch wurde ins Statut geschrieben. Iber verwies auf noch anzustellende Forschungen, sah dieses Etikett aber derzeit bestätigt. Im Anschluß an das Referat entspann sich eine Diskussion über den Wesensgehalt des Begriffs unpolitisch. Iber sieht am schmalen Grat zwischen unpolitisch und opportunistisch den Vereinsegoismus im Vordergrund.
Anders sah die Situation beim GAK aus. Dieser wurde 1902 nicht als Fußballverein gegründet, sondern Fußball war (und ist) nur eine seiner Sektionen. Zwar nicht die Fußballer, aber die doch unter dem selben Vereinsdach stehenden Handballer traten bereits im Mai 1938 nicht mehr als GAK sondern als SS Graz zu Spielen an. Der Verein rekrutierte sich aus dem bürgerlich-deutschnationalen Grazer Milieu und führte von Beginn an bis 1945 den Arierparagraphen. Harald Knoll nannte aber demgemäß „nicht satzungsgemäße“ Mitglieder als noch offenes Forschungsfeld. Der Verein zeigte personelle Kontinuitäten über 1938 und 1945 hinweg.
Sehr spannend war der Forschungsbericht von Alexander Fritz zum Donawitzer SV. Hier gibt es eine Geschichte, die in den Worten von Fritz, „vor Mythen nur so strotzt“. Das damalige „Hochofenballett“ der 1970er Jahre mit Walter Schachner wurde mit der Donawitzer Stahlindustrie identifiziert und bot Identifikationsmöglichkeiten für viele Arbeiter. Dennoch sieht die Gründungsgeschichte ganz anders aus. So sahen die Statuten vor, „Mitglieder des Vereins können nur Arier, die gleichzeitig Angehörige des Heimatschutzbundes sind, sein.“ Der paramilitärische Heimatschutz, die steirische Heimwehr, ging in den 1930er Jahren praktisch bruchlos zur NSDAP über. Bereits 1931 hatte sie im sogenannten Pfrimer-Putsch versucht, die demokratische Republik zu stürzen. Maßgeblicher Financier des Heimatschutzes war die Alpine Montangesellschaft. Die historische Verbindung des Fußballvereins zur örtlichen Stahlindustrie war also eine ganz andere als die eines Werkssport- oder Arbeitervereins. Vorläufer war der Deutsche Sportverein Leoben, dessen Fußballsektion 1928 nach Donawitz übersiedelte und dort neu gegründet wurde. Das Naheverhältnis zur Alpine war eng, 1939 wurde der Fußballverein als Betriebssportgemeinschaft eingegliedert.
Harald Knoll nannte als noch offene Fragen die Vereinsgeschichten von Hakoah Graz, dem Kapfenberger SV und dem 1942 bis 1944 im steirischen Verband spielenden Rapid Marburg. Dazu würden noch Biographien von Spielern erforscht und weiter die Quellenlage erhoben. Ein Forschungsprojekt, das im Auge zu behalten ist. Ich bin auf weitere Ergebnisse und eine allfällige Publikation gespannt.

Ein langer Tag, aber eine spannende Tagung mit manch neuer Erkenntnis. Vor allem der Umstand, daß nun auch in der Steiermark tiefer gegraben wird, ist sehr zu begrüßen.
Den Abschluß der Konferenz versäumte ich, da es mich vom historischen zum aktuellen Fußballgeschehen zog.

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