Übersichtsseiten:
▼
Freitag, 16. Oktober 2009
Der Papierene
Rezension
Sascha Dreier
Der Papierene
Das Leben des Fußballstars Matthias Sindelar
Band 1: 1903-1933
Wien 2009 (Ueberreuter)
206 S.
Ein beeindruckendes Comic-Buch über das Leben von Matthias Sindelar, des Superstars der besten Zeit des Wiener Fußballs hat der von Illustrationen in 11 Freunde her bekannte deutsche Zeichner Sascha Dreier veröffentlicht.
Dem Buch müssen umfangreiche Recherchen über österreichische bzw. Wiener Kultur und Fußballgeschichte vorausgegangen sein, denn von der Tribünenkonstruktion der Hütteldorfer Pfarrwiese über literarische Zitate von Friedrich Torberg zur Verdeutlichung des herben Wiener Charme bis zu historischen Details, hier paßt alles. Selten wird Geschichte in derart gelungener, kurzweiliger Form präsentiert.
"Graphic Novel" heißt so etwas, lernt der Unkundige. Dreier spinnt seinen gezeichneten Roman um eine junge Frau namens Roxy, die mit Sindelar zusammenkommt. 1937 spielte Sindelar in einem Kinofilm namens "Roxy und ihr Wunderteam" eine Rolle. Hieraus scheint Dreier den Namen entlehnt zu haben. Sonst ist seine Erzählung über ihre Verwandtschaft mit dem Fußballpionier Jimmy Hogan, ihre Freundschaft mit Hugo Meisl und ihre Arbeit am Bau des Praterstadions ein wunderbarer Aufhänger für die Tour durch das zeitgenössische Wien (Armut, politische Gewalt, Antisemitismus, aufkommende Nazis, Austrofaschismus) und die Anfänge des "Wunderteams", mit dem Austrianer Sindelar als Mittelstürmer.
Da Dreier offenbar das Leben Hugo Meisls studiert hat, aus dem er eine Fülle von Details präsentiert, hat mich die Szene stutzig gemacht, in der Meisl (ÖFB-Verbandskapitän 1912-1937) vom nicht minder legendären Rapid-Sektionsleiter (1910-1938) Dionys Schönecker antisemitisch verächtlich gemacht wird. Ohne tieferes Wissen um beider Biographien bin ich bisher von einem eher kollegialen bis amikalen Verhältnis der beiden ausgegangen. Da würde mich Näheres interessieren.
Das Buch ist eine liebenswürdige, assoziationsreiche Lektüre für diejenigen, die sich mit der Wiener Fußballgeschichte der Ersten Republik bereits auseinandergesetzt haben und eine spannende, aber doch weitgehend faktenbasierte Aufbereitung derselben für diejenigen, die dies noch nicht getan haben und für die ein Comic eine niedrige Schwelle ist. Für alle ist es aber in der Hauptsache eine große Freude.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen