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Dienstag, 16. September 2014

Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“


Rezension


David Forster / Jakob Rosenberg / Georg Spitaler (Hg.)
Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“
Göttingen 2014 (Die Werkstatt)
351 S.






Seit über einem Jahrzehnt erscheinen im Ballesterer Beiträge der Serie Fußball unterm Hakenkreuz. Sie werfen einen kritischen Blick auf den Fußball in Österreich von 1938 bis 1945. Es entstand daraus eine „zweite Generation“ der österreichischen Fußballgeschichtsforschung. Diese baute auf den Ergebnissen der seit den 1980er Jahren mit den Ansätzen von Oral History und Cultural Studies erarbeiteten Geschichtsschreibung auf, beschäftigt sich aber speziell mit der Hinterfragung populärer Mythen. Das nun erschienene Buch versammelt den Stand der Forschung und beinhaltet vor allem Beiträge, die aus der Ballesterer-Serie sowie der Konferenz zu 70 Jahre „Großdeutscher Meister“ SK Rapid im Jahr 2011 hervorgegangen sind.

Eines der wichtigsten Themen sind Klarstellungen zur Frage von Opfern und Tätern. Hier haben sich im letzten Jahrzehnt einige Nebel gelichtet: Jahrzehntelang gepflegte Opferlegenden erwiesen sich als nicht haltbar, tatsächliche Opfer waren dagegen vergessen worden. David Winterfeld, geb. Forster, und Georg Spitaler beschreiben die Verfolgung und Ermordung jüdischer Spieler und Funktionäre. Es dauerte nur vier Tage nach dem 12. März 1938 bis alle Juden, die den Wiener Fußball seit Jahrzehnten mitgeprägt hatten, vom Fußballbetrieb ausgeschlossen waren: „Dies betraf das Spielverbot für jüdische Aktive, die Enthebung jüdischer Funktionäre aus ihren Ämtern, die ,kommissarische Verwaltung‘ von ,Judenklubs‘ wie des FK Austria und schließlich den Ausschluss jüdischer Vereine vom Sportbetrieb. Auch der Wiener Sportjournalismus wurde ,gleichgeschaltet‘ und ,bereinigt‘.“

Winterfeld beschäftigt sich in zwei Artikeln mit der Austria in der NS-Zeit sowie dem Verlauf und den Folgen der vor zehn Jahren einige Wellen schlagenden Debatte um den Austria-Starspieler Matthias Sindelar. Dieser profitierte von der NS-Unrechtspolitik durch „Arisierung“ eines Kaffeehauses, das seinem jüdischen Besitzer abgenötigt wurde (Einlieferung des Sohnes und von Kaffeehausbesuchern ins KZ), wurde aber später zu einem österreichischen Widerstandshelden stilisiert. Winterfeld kritisiert in deutlichen Worten die violetten Geschichtsbilder, die wider anderer Ankündigungen bis heute „in anekdotischer Form weitergesponnen“ werden. Eine eindimensionale Opferrolle verstelle den Blick sowohl auf Schattenseiten wie auch auf tatsächlich verfolgte und ermordete Austrianer. Mit „guat is gangen, nix is gschehn“ bilanziert er die Sindelar-Debatte. Sie „hätte für die Aufarbeitung der Fußballgeschichte während der NS-Zeit dieselbe Funktion erfüllen können wie die Diskussion um den ,Fall Waldheim‘ für die österreichische Vergangenheitspolitik, doch die Chance wurde vertan.“

Als einziger österreichischer Verein ließ der SK Rapid seine Geschichte in der NS-Zeit umfassend erforschen. Die Autoren der Studie Grün-weiß unterm Hakenkreuz Jakob Rosenberg und Georg Spitaler referieren in diesem Buch teilweise aktualisiert die zentralen Erkenntnisse daraus. So sind viele der Mythen, die sich um das gewonnene Finalspiel um die deutsche Meisterschaft 1941 ranken, als haltlos zu beurteilen − auch die Geschichte der angeblichen Strafversetzung von Rapidspielern an die Front. Rapideum-Kurator Domenico Jacono reflektiert in seinem Eröffnungsvortrag zu obengenannter Konferenz, auch mit persönlichen Bezügen, über „die NS-Zeit im Vereinsgedächtnis des SK Rapid“: Auch hier wurden Brüche in der Vereinsgeschichte und Biografien von Tätern, Mitläufern und Nutznießern der Nazis „geglättet“, verfolgte, vertriebene und ermordete Rapidler „verschwiegen, verdrängt und vergessen“. Hier ist vor allem die Leidensgeschichte des ehemaligen Klubsekretärs Wilhelm Goldschmidt zu nennen, auf dessen Antrag hin Rapid 1899 seinen Namen bekam und der 1942 aufgrund seiner jüdischen Herkunft 62-jährig aus Wien ins deutsch besetzte polnische Izbica deportiert und dort ermordet wurde.
Die Vertuschung und Verdrängung hatte wie in ganz Österreich so auch bei Rapid Folgen bis heute, wie Jacono deutlich macht: „Auch weil niemand das Braune im Grün-Weißen beim Namen nannte, war es möglich, dass antisemitische Ressentiments gegen den Erzrivalen, die spätestens seit den 1920er Jahren als ,Judenverein‘ stigmatisierte Austria, den Holocaust überlebten und bis heute wirken können.“ Mit der Aufarbeitung der NS-Geschichte und der durchdachten Präsentation in der nunmehr aufgrund des geplanten Stadionneubaus geschlossenen Ausstellung im geschlossenen Hanappi-Stadion nahm Rapid eine geschichtspolitische Vorreiterrolle ein. Leider ist kein anderer österreichischer Verein gefolgt.

Dazu berichtet Alexander Juraske über die Vienna und die Gründe warum sie durch tatkräftige Hilfe eines Vienna-Anhängers als Personalchef der Wiener Lazarette nach Rapid zum erfolgreichsten Wiener Verein jener Zeit werden konnte, Michael Almási-Szabo schreibt über den Pragmatismus des Wiener Sport-Club und Matthias Marschik beleuchtet die Admira. Die noch in Floridsdorf beheimatete Admira war der erfolgreichste österreichische Verein der 1930er Jahre, führte ihre Dominanz zunächst auch nach 1938 weiter und erreichte 1939 das Finale der deutschen Meisterschaft. Nach der dortigen 0:9-Demütigung durch Schalke 04 erlebte die Admira einen „nachhaltigen Knick in der Vereinsbiografie“ weit über die NS-Zeit hinaus, den sich auch Marschik noch nicht wirklich erklären kann.

Der für mich persönlich interessanteste Text stammt von Hans Bonde und beschreibt die hierzulande unbekannten politischen Folgen von Fußballspielen zwischen Kopenhagener und Wiener Mannschaften im besetzten Dänemark während des Zweiten Weltkriegs. Auf ein Spiel der Admira in Kopenhagen 1941 folgten Ausschreitungen, da das dänische Publikum den Hitlergruß der Mannschaft gepaart mit der massiven Präsenz von Wehrmachtssoldaten auf den Tribünen als symbolische Zurschaustellung deutscher Überlegenheit am dänischen Nationalfeiertag empfanden. Das Spiel hatte weitreichende politische und sportpolitische Folgen für die deutsche Besatzungspolitik in Dänemark.

Der Wiener Fußball gehörte seit den 1920ern zur europäischen Spitzenklasse. Hier zog der Fußball die Massen an. Hier gab es in der NS-Zeit 1940 aufsehenerregende widerständige Zuschauerausschreitungen. Die Admira, Rapid und die Vienna erreichten „großdeutsche“ Endspiele und die letzteren beiden Vereine gewannen sogar Titel. Die Dominanz des Wiener Fußballs im österreichweiten Vergleich spiegelt sich in diesem Buch wieder. Es wird aber auch die Situation in einigen Bundesländern beleuchtet. Beiträge beschäftigen sich mit Oberösterreich, der Steiermark, Salzburg und für Vorarlberg dem Beispiel des FC Lustenau. Dies sind spannende Artikel weil sie den wienzentrierten Blick erweitern. Im Bereich der Regionalgeschichte gab es zuletzt große Fortschritte in der Forschung. Es gibt weiter noch viel zu tun und manche Beiträge nennen hier auch Themenfelder, wo noch einiges unerforscht ist. Dennoch zeigt das Buch auch sehr gut, welcher Wissensstand bereits erarbeitet wurde.

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