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Mittwoch, 23. Juni 2010
Ein halbes Jahrhundert am Ball
Rezension
Roman Horak
Ein halbes Jahrhundert am Ball
Wiener Fußballer erzählen
Wien 2010 (Löcker Verlag)
229 S.
Der Kulturwissenschaftler Roman Horak führte vor zwanzig Jahren für ein Forschungsprojekt Interviews mit Legenden der besten Zeit des Wiener Fußballs von 1920 bis 1970. Nun wurden sie veröffentlicht und zeichnen ein sehr lebendiges Bild der damaligen Zeit. Durchgehender roter Faden aller Schilderungen ist die Feststellung, daß früher alles besser war. Für Horak "eine rhetorische Wendung, die zur Grundausstattung der Rede des gegenwärtigen Fußballfreundes zählt", sie sei wahrscheinlich "unabdingbarer Bestandteil des Fußballdiskurses per se".
Die Erzählungen haben natürlich großen nostalgischen Wert, der das Buch sehr kurzweilig macht. Der große kulturelle Unterschied im Vergleich zu heute ist die damalige Allgegenwart des Fußballs, wie sie Karl Decker (1921-2005), Spieler der Vienna von 1938-1952 und legendärer Teamchef der Nationalmannschaft Anfang der 60er Jahre, schilderte: "Zu dieser Zeit war das einfach der billigste Sport. Ein Tennisball oder ein 'Fetzenlaberl' hat 20 Leute auf der Gasse unterhalten. Was hätten wir zu dieser Zeit schon anderes unternehmen können? Da und dort hatten wir ein Fußballfeld, haben uns zusammengerottet und Fußball gespielt."
Auch später dann, bei den Vereinen, kam der Spaß nicht zu kurz. So erzählte der 1926 geborene Alfred Körner, der auch heute noch jede Versammlung von Rapid, auf der er auftritt, mit seinen Anekdoten zu Begeisterungsstürmen bringt, von der Geselligkeit: "Nach dem Match waren wir beim Wirten, da mußte man keinen dazu zwingen, die Spieler haben sich darum gerauft! Wir hatten auch unseren Herrentag, da konnte uns keine Frau halten, da waren wir alle beisammen. Das hat sich alles geändert, jetzt trainieren sie ja schon am Montag, nicht wahr." Eine andere Zeit. Teambuilding würde man das heute nennen. Beisl und Heurigen entsprechen allerdings dafür nicht mehr dem letzten Stand der Trainingslehre.
Es gab aber auch früher nicht nur Sonnenschein im Fußball. Karl Decker erzählt, wie Vereine auf Kosten der Spieler wirtschafteten: "Es gab keinen Vertrag. Das war eine Gemeinheit von diesen Klubs, dass die Spieler nicht angemeldet waren. Später mußten wir dann um unsere Pension kämpfen. Ich habe das auch lange nicht kapiert, aber dann bin ich draufgekommen, als ich um 1950 herum nebenbei eine Firma gegründet hatte, da dachte ich mir: 'Halt. Da stimmt doch etwas nicht.' Sonst wäre ich genauso im Dreck gewesen, wie viele andere Fußballer."
In sportlicher Hinsicht am bemerkenswertesten ist die Veränderung von Position und Aufgabe des Trainers im Lauf der Jahrzehnte. So meinte der Austrianer Karl "Vogerl" Geyer (1899-1998): "Der Trainer kann dem Spieler etwas sagen, aber er soll ihn nicht dirigieren. Entweder man ist ein Mann, der den Geist hat und die Situation beherrscht − jetzt muss ich dies oder das machen − oder man ist es eben nicht." Über seine Zeit als (erfolgreicher) Trainer des WAC: "Ich habe den Spielern gesagt: 'Burschen, geht hinaus und spielt Euer Spiel!'. Ich sagte wohlgemerkt 'Euer Spiel' und nicht 'mein Spiel'! Und das kritisiere ich heute, es wird zuviel eingeschachtelt, bürokratisiert. Künstler darf man auch nicht einschränken, die wollen das nicht, die wollen sich ihre eigenen Gedanken machen."
Ins selbe Horn stießen auch andere der Interviewten. Der ehemalige Wacker-Spieler Ernst Reitermaier (1918-1993) sagte gar: "Ich habe das Gefühl, die müssen sich ja schon grausen vor dem Ganzen. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, wenn wir früher diese ganzen Lehreinheiten an der Tafel hätten machen müssen, das hat es ja früher überhaupt nicht gegeben, da hat sich alles auf dem Spielfeld abgespielt."
Heute geht ohne taktische Konzepte gar nichts mehr. Allerdings sind auch die wenigsten Kicker mit Künstlern zu vergleichen.
Man sollte frühere Zeiten nicht verklären, auch wenn es naheliegt. Gerade der O-Ton der Akteure jener Zeit über Licht und Schatten macht das Buch zu einem gelungenen Beitrag zum Diskurs des "früher war alles besser".
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