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Mittwoch, 16. September 2009
Ultrakulturen und Rechtsextremismus
Rezension
Jonas Gabler
Ultrakulturen und Rechtsextremismus
Fußballfans in Deutschland und Italien
(Hochschulschriften 79)
Köln 2009 (PapyRossa)
153 S.
Ein spannendes Buch, das über Entstehung, Selbstverständnis und Differenz von Ultras in Italien und Deutschland informiert, deren "rechte Wende" in Italien diskutiert und Strategien gegen Rechtsextremismus im Fußball aufzeigt. Eine gute Zusammenfassung gibt das Interview des Autors im Ballesterer 42.
Gabler analysiert zunächst die Entwicklung im Ursprungsland Italien. Aus der Entstehung der italienischen Ultras in den politisch heißen und bewegten 1960er/70er Jahren, deren Ikonographie sie übernahmen, kam es zu einem speziellen Verhältnis zu Politik im allgemeinen: "Weder in Deutschland noch in England oder Spanien spielte die Politik bei der Entstehung der Fankultur eine so wichtige Rolle. Politische Symbole und politisierte Fans sind demnach ein der italienischen Ultrakultur prinzipiell immanentes Element, was zum einen sicher als Erklärungsfaktor für die Bedeutung von Rechtsextremismus in der italienischen Fankultur angesehen werden muss und zum anderen den Umgang mit diesem Phänomen in der italienischen Gesellschaft nachhaltig beeinflusste".
Die Ultrakultur, "eine Gegenkultur, die die Autorität des Staates, seine Institutionen und prinzipiell alles, was außerhalb der eigenen Subkultur war, kritisch betrachtet", erfaßte in den 70er Jahren alle Fankurven Norditaliens und breitete sich in den 80er Jahren in den Süden sowie in die unteren Ligen aus. Jetzt kam es aber auch zu einem tiefgreifenden Wandel: Ein Generationswechsel, die linke Kultur verlor sich, ein Kulturwandel durch das Anwachsen zur Masse und eine Fragmentierung. Gabler bezeichnet die Zeit Ende der 80er Jahre als "Schlüsselperiode für die Bedeutung des Rechtsextremismus für die Ultrakultur". Die neue Situation ohne einer dominanten Gruppe in den Kurven, angesichts wirtschaftlicher Stagnation und Existenzängste und des Umstands, daß das zuvor klassische Auswanderungsland Italien angesichts dennoch erreichten Wohlstands erstmals mit signifikanter Einwanderung konfrontiert war, nutzen Rechtsextreme, verstärkt aufzutreten. Interessant dabei eine Neudefinition: "Während die Gemeinschaft vorher eher auf Freundschaft und dem gemeinsamen Engagement in der Gruppe basierte, lösten sich diese Bindungen in den 80er Jahren zunehmend auf, und die gemeinsame Identität wurde stattdessen durch die Betonung der Herkunft aus der gleichen Stadt hergestellt."
Angesichts des Ausgangsmaterials mit Vorsicht zu genießen, aber dennoch erschreckend ist die von Gabler präsentierte Statistik, daß es in Serie A und B in der Saison 2005/06 im Schnitt fast zwei und 2006/07 im Schnitt einen rechtsextremistischen Vorfall (von Spruchbändern und Symbolen bis zum faschistischen Gruß) pro Runde gab. Hauptsächlich handelt es sich dabei um rassistische Vorfälle, was gesellschaftlich weniger problematisiert wird als eindeutig faschistische. Bei 17 Vereinen wurden in den letzten 15 Jahren eigene Spieler rassistisch beschimpft. Es sind just jene Vereine, die auch am meisten rechtsextremistische Vorfälle verzeichneten. Kein Zufall. Es geht bei rassistischen Beschimpfungen nicht nur um Verhöhung des Gegners an einer vermeintlich verwundbaren Stelle, Freund/Feind etc. Ein im Kern rassistisch geprägtes Weltbild steht dahinter.
Die Reaktionen von Staat, Gesellschaft und Fußballwelt sind dürftig: Gesetzt wird "fast ausschließlich auf repressive Maßnahmen. Dabei steht jedoch die vermeintliche symbolische Kraft der Regelungen im Vordergrund. Auf die Durchsetzung der Gesetze auf individueller Ebene verzichtet man und erlässt stattdessen Verbote nach dem Gießkannenprinzip, die bei allen Fangruppen - auch den gegen rechts engagierten - großen Unmut hervorrufen und weitere Spannungen mit der Polizei heraufbeschwören." Leute, die sich dagegen wehren und zusammenschließen gibt es genug, doch es bleibt ein gesellschaftliches Problem im gespaltenen Land, in dem "Antirassismus noch immer hauptsächlich als Anliegen der extremen Linken verstanden wird, was den Initiativen von konservativer Seite eine große Skepsis einbringt. Kurz gesagt: Antirassismus wird noch nicht als ein gesamtgesellschaftliches Anliegen verstanden." Das "noch" Gablers zeugt von großem Optimismus.
Gabler kontrastiert die italienische Entwicklung mit der in Deutschland. Dort entwickelten sich Ultras erst in den 1990er Jahren, die Fankultur war zuvor britisch geprägt und ist es teilweise noch heute. Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus gab und gibt es, bis in die 90er Jahre war das Stadion aber "ein Ort, an dem neben zahlreichen anderen sonst gesellschaftlich geächteten Verhaltensweisen auch rassistische und rechtsextremitsische Handlungen ungeahndet blieben. [...] Erst der Wandel im Selbstverständnis der Fußballvereine von Sportvereinen zu Unterhaltungsunternehmen Mitte der 90er Jahre in Kombination mit dem in der übrigen Gesellschaft bereits etablierten Verständnis von political correctness ließ den Akteuren keine Wahl", führte zu mehr oder minder ernsthaftem Engagement gegen "imageschädigende" Handlungen. Man muß es eingestehen, hier bewirkte der moderne Fußball etwas Positives. Dazu kamen der positive Effekt des ZuschauerInnenbooms, der das Toleranzniveau für rechte Äußerungen senkte, sowie das "unpolitische" Auftreten der deutschen Ultras.
Ein auch medial oft kolportierter Hotspot ist Ostdeutschland. Für Gabler wird deutlich, "an welche Grenzen das Unterfangen stößt, rechtsextremistische Verhaltensweisen aus der Fankultur zu verbannen, ohne sich der damit eng verbundenen gesellschaftlichen Problematik und dem gesellschaftlichen Umfeld des Fußballstadions zu stellen."
Das Gute an Gablers Buch ist seine differenzierte Herangehensweise, die nicht mit scheinbar einfachen Lösungen daherkommt. Basis des rechtsextremistischen Einfluß "war und ist die Anfälligkeit der Ultras durch eine unter ihnen weit verbreitete Weltanschauung, die stark durch Werte wie Männlichkeit und Aggressivität, Militarismus und Hierarchie geprägt ist." schreibt er. Er thematisiert aber am deutschen Beispiel auch die selbstregulierende Rolle der strikter organisierten Ultrakultur gegen gewaltbereite oder rechtsextreme Minderheiten, die sie durch ihre soziale Kontrolle unter den Fans an den Rand drängen können.
Und er plädiert für einheitliches, rechtsstaatliches, nicht den Eindruck von Willkür erweckendes Vorgehen der Polizei bei repressiven Maßnahmen. Ein Zeichen, wie nah er an der Wirklichkeit ist. So versagt z.B. das Mittel des Stadionverbots dadurch in seiner generalpräventiven Wirkung: "In der Wahrnehmung der Fans wird es bereits für absolut nichtige Regelübertretungen verhängt, was dazu führt, dass es nicht mehr als Strafe für ein konkretes Vergehen empfunden wird. Es verliert so zum Teil seine Abschreckungswirkung und wird nur noch als eines der Mittel einer ungerechtfertigten und unverhältnismäßigen Repression wahrgenommen."
Gabler ist für repressives Vorgehen gegen rechtsextreme Strukturen. Nachhaltig könne eine Änderung aber nur gelingen, wenn man Ultrakultur mit ihren positiven Aspekten akzeptiere und fördere und nicht pauschal kriminalisiere. Ohne aktive Beteiligung der Fans sei eine Verhaltensänderung nicht zu erreichen. Große institutionelle Kampagnen seien zwar wünschenswert, aber würden von den betroffenen Jugendlichen skeptisch gesehen. In Italien erwartet er keine Änderung der aktuellen Fangeneration, vielmehr gehe es darum, "die nachwachsenden Fangenerationen positiv zu prägen und sich auf die kreativen Ursprünge der Ultrakultur zu besinnen." Auch wenn die Aussichten angesichts der gesellschaftlichen und politischen Akzeptanz von rassistischen und rechtsextremistischen Diskursen (Berlusconi, Fini, Bossi als Personifikationen) düster sind.
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