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Donnerstag, 15. Januar 2009

Florentiner Fußball


Rezension


Horst Bredekamp
Florentiner Fußball:
Die Renaissance der Spiele
Vollst. überarb. Neuausg.
Berlin 2001 (Verlag Klaus Wagenbach)
238 S.






Horst Bredekamp bietet ein fulminantes kulturhistorisches Buch über das Florenz der Renaissance, dessen dort gepflegtes Spiel Calcio er als Kunsthistoriker anhand bildlicher Darstellungen sowie gestützt auf eine Fülle an literarischen Werken präsentiert.

Der Begriff calcio ist heute einfach das italienische Wort für Fußball. Die Geschichte des englischen Sports begann in Italien in den 1880er Jahren. War zunächst schlicht "football" die gebräuchliche Bezeichnung für das Spiel, wurde unter nationalistischen Vorzeichen auf das historische, fußballähnliche Spiel in Florenz zurückgegriffen. "The choice of calcio was an attempt by Italians to claim the game for their own. They had really invented what was now called football many hundreds of years earlier." schreibt John Foot in seinem großen Geschichtsbuch. Bis 1909 hieß italienische Fußballverband noch Federazione Italiana Football, bis heute heißt er Federazione Italiana Giuoco Calcio.

Unser Fußball ist ein englischer Sport. Keine Frage. Dieser Fußball wird auch heute in Florenz gespielt. Dennoch interessiert die Betrachtung desjenigen Spiels, das vor hunderten von Jahren dort gepflegt wurde. Hauptsächlicher Austragungsort des historischen Calcio war die von mir vor wenigen Monaten besuchte Piazza di Santa Croce.

Zu seinen Spielregeln stellt Bredekamp fest, daß der Calcio fiorentino "trotz seines Namens nicht etwa einen Vorläufer des modernen Fußballspieles dar[stellt], sondern eine unabhängige, Elemente des Rugby und des Football vorwegnehmende Sportart." Aber der Calcio umfaßte die Essenz der drei Spiele, wie in Giovanni de' Bardis Definition der Regeln von 1615:

"Il Calcio è un giuoco pubblico di due schiere di giovani a piede, e senza arme, che gareggiano piacevolmente di far passare di posta, oltre alio opposto termine, un mediocre pallone a vento, a fine d'onore."
("Der Calcio ist ein öffentliches Spiel zweier zu Fuß agierender und unbewaffneter Mannschaften von Jugendlichen, die auf angenehme Weise um der Ehre willen wetteifern, einen aufgepumpten Ball über den gegenüberliegenden Endpunkt hinauszubringen.")


Ist das nicht großartig! 400 Jahre alte Fußballregeln - da lacht das Historikerherz! "Un giuoco pubblico" und "a fine d'onore". Bis heute die tragenden Säulen des Erfolgs des Spiels.

Bredekamp stellt zwei Mißverständnisse in der Rezeption des Florentiner Calcio fest: Einerseits werde er manchmal angesichts des modernen Massensports nicht als das adelige Vergnügen gesehen, das er war. Andererseits werde er zwar oft in die Sphäre des Adels und dessen Festkultur eingeordnet, aber nicht als Sport gesehen. Der Ablauf der Spiele war bei Massen von zehntausenden Menschen ringsum auf eigens errichteten Tribünen nicht konfliktfrei. Auf den bildlichen Darstellungen sieht man genug "Sicherheitskräfte" und Bredekamp berichtet von Fällen, die an pitch invasions von heute erinnern.

Die theatralischen Inszenierung des Calcio in der Zeit der Herrschaft der Medici diente auch als Element der Herrschaftssicherung. In der Zeit der Republik war dies nicht derart ausgeprägt. Augenscheinlich anhand eines Berichts aus dem Jahr 1589, wo erzählt wird wie nach dem Spiel mitten am Platz ein kostbares Bankett für die Spieler stattfand, in Zuge dessem auch die umstehende Masse des Publikums Köstlichkeiten zugeworfen bekamen - "Ebenso bedeutsam wie die Luxuspropaganda war offenbar der Aufbau einer nach dem Muster der Messe sich bildenden sozial gestaffelten Konsumgemeinschaft." folgert Bredekamp. Der Calcio als Ausdruck und Mittel der Identitätsbildung der Stadt und des Staats mit seiner "natürlichen" Herrschaftsschicht:
"Von der Eingangszeremonie über die Speisung der Spieler und teils auch der Zuschauer bis zum Festbankett des Hofes mit anschließender Ballnacht vollzog sich ein eigenartiges Doppelspiel von sozialer Abschottung und Gemeinschaftsstiftung. Calcio stellte zunächst nur einen Teilaspekt der theatralischen Inszenierung der Lebenswelt dar. Seine Sonderstellung lag aber darin, daß er gegenüber den Giostren, Aufzügen, Theaterspielen und Katafalken, die auch in anderen Städten aufgeführt wurden, als unverwechselbar Florentiner Element des Festwesens ausgewiesen war. Einem Staatsakt gleich, in dem sich die Nobili als allein befugte Akteure absonderten, während die übrigen Teile der Bevölkerung als Zuschauer und Almosenempfänger beteiligt waren".

Ein offenbar erfolgreiches politisches Konzept. Nachdem die Medici im 16. Jahrhundert aus Florenz vertrieben worden waren und einige Jahre eine Republik und kurz sogar ein fundamentalistischer Gottesstaat etabliert worden waren, herrschten schließlich die Medici als (Groß-)Herzöge Jahrhunderte über Florenz (und die Toskana). Zwar nicht nur aufgrund einer durch den Calcio vermittelten kulturellen Hegemonie, da gab es schon ordentliche militärische Sicherungsmaßnahmen, aber eben doch auch. Eine politikanalytisch faszinierende Verschmelzung der alten römischen Herrschaftidee panem et circenses mit dem heutigen (noch vor ein paar Jahren hoch im außenpolitschen Kurs stehenden) Konzept des nation building.

Der englische Reiseschriftsteller Richard Lassels beschrieb 1670 (deutsche Ausgabe 1673) eine regelrechte Idylle:
"Die Florentiner leben fried- und freundlich mit ihrem Hertzog / und haben allerley Kurtzweil / womit das Volck sowohl des Winters als des Sommers seine Zeit zubringet / und denket nicht im Winckel auf Rebellion und Meuterey. Zu Winters Zeiten / haben sie ihre Givocco di calcio."

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