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Dienstag, 27. Mai 2008

I Furiosi

I Furiosi - Die Wütenden
Fußball, Fans & Prügeleien

nach einem Roman von Nanni Balestrini
mit: Holger Schober, Sebastian Wendelin
Musik: Siegmar Aigner, Didi Bruckmayr
Regie: Thomas Gratzer
Spielfassung: Roman Freigaßner
Bühne/Visuals: Chili Galilei

Rabenhof Theater, 20.5.-6.6.2008


Die Aggression steht im Mittelpunkt des "Fußball, Fans & Prügeleien" untertitelten Stücks. In Nanni Balestrinis Roman dient die Schilderung der Gewalt zur Darstellung der Geschichte, genauso wie die Drogen und die Leidenschaft des Fanseins, des Gemeinschaftserlebnisses der Gruppe, der Kurve, der Masse. Letzters kommt, wie die sozialkritische Dimension, im Stück vor, aber mehr zur Beschreibung des Terrains (manifestiert im gelungenen Bühnenbild mit Maschendrahtzaun als Zitat einer Sektorabsperrung), in dem sich die Geschichte der Wut und Gewalt abspielt. So ist es weniger als Einführung in die italienische Ultràkultur tauglich als das Buch (mit Ausnahmen, z.B. der Bedeutung des Transparents). Die Aufführung steht eher für sich, indem sie Aspekte des Romans nimmt und sie zu etwas eigenem macht, "dramatisiert". Die Zuspitzung des Rauschs der Gewalt wird in ca. einer Stunde in der Tat beeindruckend in Szene gesetzt. Dies wird durch die laute, harte elektronische Musik, die jetzt nicht mein Fall ist, noch deutlich unterstrichen. Dafür erhält man zur Karte gleich Ohrenstöpsel dazu, was auch lieb ist. Etwas gewöhnungsbedürftig war für mich nur die Hochsprache des Textes, etwas, was mir beim Lesen des Buchs nicht aufgestoßen ist, aber gehört wirkt das gleich anderes. So geschliffen redet im Fußballkontext natürlich niemand, andererseits war dies doch auch gut, um die Künstlichkeit des Gezeigten rüberzubringen.

Problematisch finde ich, daß der Abend als Kontrapunkt zur EM beworben wird, da er als "Aggressionsshow" (Rabenhof) im Fußballfankontext funktioniert, aber eben nicht zum besseren Verständnis von Fußballfans und Ultras und deren Kritik an Kommerz und Repression, wie damit impliziert wird. Das muß das Stück auch nicht, Theater muß sich nicht als Lehrstück begreifen - man sollte es dann aber nicht so bewerben, sodaß das unbedarfte Publikum hinausgeht und schaudernd denkt, etwas über Fußballfans erfahren zu haben. Das ist trotz Überrollfahne, Fackeln, Rauch, Trommeln und You'll never walk alone nicht wirklich der Fall.

"Non ci sono più non ci sono più
i Furiosi non ci sono più"




Rezension

Nanni Balestrini
I Furiosi
Die Wütenden. Roman
Aus d. Ital. v. Dario Azzellini
Berlin 22001 (ID Verlag)
141 S.





Nanni Balestrinis 1994 im Orginal erschienenen Roman habe ich als mir passend erscheinende Begleitlektüre zum Besuch des Mailänder Derbys gelesen. In elf Gesängen schildert Balestrini die Welt eines Milan-Ultras der 1980er Jahre. Er tut dies, indem er seinen Protagonisten ohne Punkt und Beistrich (es gibt keine Satzzeichen) in literarisierter Form gesprochener Sprache scheinbar sich frei von einem Thema zum nächsten hangelnd, sein Leben (definitionsgemäß deckungsgleich mit dem Ultra-Sein) erzählen läßt.

In der teilweise in Heimen und Jugendgefängnis verbrachten Kindheit erfährt Falco Halt in der Gruppe der Fans, wo er gleichzeitig seinen Lebensstil von Diebstahl, Drogen und Gewalt weiterpflegt. Die Auswärtsfahrten sind Abenteuer, sei es wegen der kaputten Busse, der auseinandergenommenen Züge und Schiffe oder den nach Alkohol und Drogen noch als zusätzlicher Adrenalinrausch erlebten gewalttätigen Aufeinandertreffen mit gegnerischen Fans. Der entscheidende Satz ist dazu, daß die Gewalt als Droge dient.

Die Schlägereien und Zerstörungsorgien sind die heroischen Raubersgschichten, quasi nebenbei gibt es aber die Essentials, "alleine gehe ich vielleicht ein Heimspiel anschauen aber bis runter nach Neapel zu rattern wie wir das zum Beispiel morgen tun sowas mache ich nur aus Lust gemeinsam mit meinen Freunden was zu machen nicht nur wegen dem Milan und dem ganzen Rest" (S.57), die Symbole, die Rituale. Balestrini bringt seine Geschichte in einen Kontext sozialer Verwerfungen, die linke (Jugend-)Subkultur Mailands in den gewaltätigen italienischen 1970er Jahren und der fließende Übergang zum Fußballfan - Balestrini erzählt en passant die Geschichte der Ultrà-Bewegung nach - und dann auch das spätere Auftauchen der Rechtsextremen in den hochpolitisierten italienischen Kurven ("bei den Jüngeren habe ich auch gesehen daß die nach rechts gingen weil es in diesen Jahren auch wirklich eine politische Leere gab eine völlige Leere in der Linken weil all die Vorstellungen die es gegeben hat die Welt zu verändern die ganze Scheiße wegzufegen diese ganzen Vorstellungen diese Hoffnungen wurden weggefegt und was haben wir an ihrer Stelle bekommen nichts wir haben noch mehr Scheiße bekommen" (S.98f.). Gab es früher viele und stolze linke Kurven in Italien, gibt es ja heute hauptsächlich rechte.

Wenig berücksichtigt wird etwa die harte Arbeit an den Choreographien und die Leidenschaft des Supports während des Spiels der Ultras und die emotionale Hochschaubahn zwischen Jubel und Niedergeschlagenheit aller Fußballfans, ganz abseits von Gewalt, mit der ja die meisten nichts am Hut haben. Es ist Literatur, nicht Realität. Aber ein sehr gelungenes Stück Literatur.

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