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Sonntag, 13. November 2016

Chemie Leipzig - Lok Leipzig 0:1 n.V. (0:0, 0:0)

Deutschland, Sachsen, Sachsenpokal, Viertelfinale, 13.11.2016
Alfred-Kunze-Sportpark, 4.999

Ein sehr kämpferisch und leidenschaftlich (dreimal Rudelbildung, eine rote Karte) gespieltes Leipziger Traditionsderby ging erst in der Verlängerung an die höherklassigen Gäste. Beide Vereine waren heuer jeweils aufgestiegen, die BSG Chemie in die fünftklassige Oberliga und der 1. FC Lokomotive Leipzig in die viertklassige Regionalliga. Ein Klassenunterschied war aber in den 120 Minuten nicht zu sehen. In der Verlängerung traf Chemie („Schämie“) erst nur die Stange bevor dann Lok kurz vor Schluss das Siegestor nach einem Freißstoß gelang.
Brisanz hatte das Stadtderby auch durch das Aufeinanderprallen der linken Fankultur bei Chemie und den Rechten bei Lok, die sich in verschiedenen Zusammenhängen in Leipzig immer wieder gegenüberstehen. In den Wochen vor dem Derby hatte es von Lok-Seite einige Aktionen gegeben, vom Aufmarsch in der Stadt über einem Einbruch in das Stadion und Posieren mit einem Spruchband bis zu lebensgroßen grünen Leichen-Attrappen, die am Hals aufhängt von Brücken baumelten. Neben einem dutzend Hausverboten von Seiten Chemies verhängte die Stadtbehörden 150 Betretungsverbote für bestimmte Lok-Anhänger. Die 750 Plätze der Gäste-Hintertorseite waren dennoch ebenso gefüllt wie das ganze Stadion mit den knapp unter 5.000 Leuten, die hereindurften.
Die gewachsene Rivalität zwischen den beiden Vereinen auf den politischen Gegensatz der Fanszenen der letzten Jahre zu reduzieren, wäre zu eindimensional und kurz gegriffen. Die Vielschichtigkeit sprachen auch beide Seiten in Spruchbändern an. Chemie machte ihre rechten Gegenüber auf die „Zecken“ (Linken) unter ihnen (Fankurve 1966) aufmerksam, Lok zeigte ein Spruchband mit dem alten Chemie-Spruch aus DDR-Zeiten „Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher“, der in den 90er Jahren noch gängig war und dort heute verpönt ist. Im Frühjahr hatte er zu internen Reibereien im Stadion geführt, als er von einigen skandiert wurde. Plakativ war dann aber natürlich schon die politische Zuspitzung dominant. Vor dem Auswärtsblock prangte ein Banner „Good Night Green White“, bei dem bei der − zu diesem Spruch dazugehörigen − Abbildung des Eintretens auf einen am Boden liegenden der Treter mit der Beschriftung „NS“ wohl als Nazi gekennzeichnet war und der am Boden liegende mit einem Stern wohl als Jude. Am Leutzscher Norddamm wurden die Facebook-Aktivitäten der Lok-Fanszene verächtlich kommentiert, auf die zahlreichen Neonazis mit Nebeneinkommen als Verfassungsschutz-Informant angespielt (was nicht zuletzt anlässlich der Affäre um die NSU-Terroristengruppe öffentlich wurde) und Lok mit ihnen gleichgestellt oder kurz auch eine israelische Flagge gezeigt. Zu Spielbeginn gab es eine Chemie-Wendechoreographie, die auf Bändern über den Fanblock erst BSG Chemie Leipzig und dann Gruppo Anti Lok zeigte. Von der Stimmung her hatte klar Chemie im Heimspiel die Oberhand, nicht zuletzt da sich auf Lok-Seite nur ein Teil am Support beteiligte.
Die BSG Chemie Leipzig wurde 1950 im Rahmen der Neuorganisation der DDR-Sportvereine auf Basis von Betriebssportgemeinschaften (BSG) im Leipziger Stadtteil Leutzsch gegründet. Auf Anhieb wurde man 1950/51 Meister der DDR-Oberliga, doch 1954 wurde der Verein in einer erneuten Umstrukturierung aufgelöst und die zentrale Sportvereinigung Chemie in in Halle etabliert. Die Spieler konnten entweder dorthin oder zum neugegründeten SC Lokomotive Leipzig wechseln, was sie taten. Unter dem Namen Chemie spielte eine Mannschaft in der Bezirksliga weiter. 1963 wurde die BSG Chemie aber wieder reaktiviert und bekam von Lok die „nicht förderungswürdigen“ Spieler zugeteilt. Diese, abfällig der „Rest von Leipzig“ genannte, Mannschaft gewann 1963/64 zu aller Überraschung unter Trainer Alfred Kunze erneut die DDR-Oberliga und wurde mit dieser Saison zur Legende. Ein Denkmal neben der Tribüne erinnert an die Spieler. Zu den beiden DDR-Meistertiteln 1951 und 1964 kam 1966 noch ein FDGB-Pokalsieg hinzu. Bis zum Ende der DDR spielte Chemie in der DDR-Oberliga, wurde 1990 in einer Fusion zum FC Sachsen Leipzig. 2008 wandte sich die Ultra-Fanszene um die Diablos nach Streit vom FC Sachsen ab und die bereits 1997 als Verein neugegründete BSG Chemie Leipzig begann 2008/09 ihren Spielbetrieb. Zunächst spielten beiden Vereine parallel und es gab bis zur Beendigung des parallelen Spielbetriebs im Stadion durch den Sachsen-Nachfolgeverein SG Leipzig-Leutzsch 2014 laufende Spannungen. Nicht zuletzt auch dadurch, da die Rechten im Chemie-Anhang beim anderen Verein verlieben.
Der Alfred-Kunze-Sportpark wurde 1920 als Sportanlage der damals noch eigenständigen Gemeinde Leutzsch eröffnet. Die traditionelle Erdbauweise mit der Aufschüttung von Böschungen spiegelt sich in der Benennung der Tribünenseiten als Norddamm (Hintertor-Stehplatz) oder Dammsitz (Längsseite) wider. In der DDR hieß das Stadion Georg-Schwarz-Sportpark, benannt nach einem von den Nazis hingerichteten kommunistischen Politiker und Widerstandskämpfer. 1992 wurde es noch zu seinen Lebzeiten nach dem erfolgreichsten Trainer der Vereinsgeschichte, Alfred Kunze, benannt. Der Rekordbesuch stammt aus dem Jahr 1950, als hier 32.000 Zuschauerinnen und Zuschauer die BSG Chemie Leipzig gegen die BSG Turbine Erfurt spielen sahen. Nach der Wende wurde die Kapazität mit Umbauten von 22.000 auf 18.000 Plätze reduziert. Derzeit sind aus baulichen Gründen nur 4.999 Plätze zugelassen. Nicht einmal die überdachte Tribüne ist vollständig nutzbar. Für Sanierungsmaßnahmen im Stadion wird laufend Geld gesammelt.
Vor dem Spiel wurde die Stadt Leipzig besichtigt.

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