Übersichtsseiten:

Montag, 28. November 2011

Franz „Bimbo“ Binder


Rezension


Franz Binder jr.
Franz „Bimbo“ Binder
Ein Leben für den Fußball
St. Pölten / Salzburg 2011
(Residenz Verlag)
299 S.




Franz „Bimbo“ Binder wurde am 1. Dezember 1911 in St. Pölten geboren. Aus Anlaß seines 100. Geburtstags erschien eine Biographie aus der Feder seines Sohnes.
Wenn ein Sohn ein Buch über seinen Vater schreibt, kann diese Nähe das Werk beeinträchtigen oder es erst richtig interessant machen. Für dieses Buch gilt letzteres. Binder jr. kann nicht nur aus seinem familiären Erfahrungsschatz schöpfen, sondern auch eine Vielzahl wunderbarer Fotos, interessante Dokumente und einige Zeitungsausschnitte beisteuern. Menschliches, Schönes und Tragisches aus dem privaten Leben findet so ebenfalls Platz und läßt einen ungekannten Blick auf den Mensch hinter dem Fußballer Binder zu. Viel Autobiographisches des Autors fließt ebenfalls ein.

Manch herrliche Geschichte fand den Weg ins Buch. So die Anekdote, wie im heißen Sommer des Jahres 1930 der 19-jährige Franz Binder vor dem Kino im heimatlichen St. Pölten von einem Herrn im Anzug angesprochen wurde:
„San Sie net der Binder?“ Franz will nicht unhöflich sein und antwortet: „Ja. Warum?“ − „Maier“, stellt sich der Fremde vor und tupft sich die Schweißperlen von der Stirn. „Ich möcht' Sie bitten, mit mir heute noch nach Wien zu fahren, denn ich bin der Sekretär vom Sportklub Rapid. Wir interessieren uns nämlich für Sie.“
So begann eine unglaubliche Karriere bei Rapid. Sein Debut gab Franz Binder am 20. September 1930 in einem Freundschaftsspiel gegen die Post, wo er zwei Tore zum 4:0 beisteuerte. Sein letztes Spiel in grün-weiß fand am 9. Juni 1949 auf der damaligen Brasilien-Tournee Rapids statt, gegen Vasco da Gama. Dazwischen lag eine glänzende Stürmerkarriere mit insgesamt 1.045 Toren in 754 Spielen (so die Zahl der im Buch aufgelisteten Spiele, die ebenfalls hierin angegebene FIFA-Statistik nennt die Zahl von 1.155 Toren, wohl inkl. der Reserve-Spiele). 984 Tore in 700 Spielen schoß er für Rapid. Gegen die Austria erzielte er zweimal (!) jeweils vier (4!) Derbytore.
Damals gab es viel weniger Meisterschaftsspiele und viel mehr nationale und internationale Freundschaftsspiele als heute. Auch wenn man nur die Pflichtspiele heranzieht, ist Binders Bilanz allerdings beeindruckend: 469 Tore in 379 Pflichtspielen (Torquotient 1,24!) für Rapid und diverse österreichische bzw. nach 1938 großdeutsche Auswahlmannschaften. Dabei muß man noch berücksichtigen, daß er drei Jahre, 1942 bis 1945, im Krieg verbrachte und nur eine Handvoll Partien spielen konnte.
Für die WM 1934, bei der Österreich (damals enttäuschender) Vierter wurde, wäre er nominiert gewesen, versäumte sie aber durch eine Verletzung. Für die deutsche Nationalmannschaft machte er nach 1938 ebenfalls einige Spiele, im großdeutschen Kader der WM 1938 stand er aber nicht. Insgesamt kam er auf 19 Länderspiele für Österreich (16 Tore) und 9 Spiele (10 Tore) für Deutschland. Der statistische Anhang des Buchs bietet eine stattliche Menge an Zahlen und Daten.

Schön und spannend ist beim Eintauchen in die Vergangenheit das Feststellen von Parallelen und Unterschieden zur Gegenwart. Die Assoziation zu einem heutigen Spieler kam unvermeidlich, wenn Binder jr. über seinen Vater schreibt: „Aufgrund seiner Körpergröße hatte er fast während seiner ganzen Karriere damit zu kämpfen, dass man ihn für steif, unbeweglich und langsam hielt. Selbst als er bereits einer der erfolgreichsten Stürmer war, blieb ihm dieser Ruf erhalten. Es störte ihn aber persönlich wenig. Die Lauf- und Ballarbeit eines fast 190 cm großen Athleten mit rund 90 kg Kampfgewicht wird nie locker und geschmeidig aussehen.“ Seinen lebensbegleitenden Spitznamen „Bimbo“ verdankte Binder ebenfalls seinem Laufstil. 1936 wurde er nach einem Kinobesuch der Mannschaft, bei der im Film ein Afrikaner ähnlich lief, so getauft.

„Bimbo“ Binder ist einer der größten Rapidler der Vereinsgeschichte. Er war von 1930 bis 1949 als Spieler beim Verein sowie von 1946 bis 1952, von 1962 bis 1966 und noch einmal 1975/76 als Sektionsleiter, also Trainer bzw. „Manager“ im britischen Verständnis. Sechs mal wurde er als Spieler österreichischer Meister (1935, 1938, 1940, 1941, 1946, 1948) und einmal Cupsieger (1946). Dazu kamen der deutsche Cupsieg 1938 und die deutsche Meisterschaft 1941. Sechsmal wurde Binder Torschützenkönig, von 1937 bis 1941 sogar fünfmal hintereinander. Auch als Trainer führte Binder Rapid zu Titeln. Noch während seiner aktiven Laufbahn übernahm er 1946 die Verantwortung für die Mannschaft und gewann mit ihr 1946, 1948, 1951 und noch einmal 1964 den österreichischen Meistertitel. 1946 und 1976, bei seinem letzten Mal auf der Trainerbank, gewann er mit Rapid den Cup.
Die Abschiede von der Trainerbank 1952 und 1966 waren nicht freiwillig und von bösem Blut begleitet. Binder sah sich von der Vereinsführung seiner Rapid ungerecht behandelt, sah sich um Früchte seiner Arbeit gebracht, nachdem er jeweils neue Mannschaften zusammengestellt und aufgebaut hatte, die sich anschließend tatsächlich zu Triumphen aufschwangen. Wenn Franz Binder jr. über Frustrationserlebnisse seines Vaters mit Rapidfunktionären berichtet, spricht einer, der dieses Geschäft kennt, nachdem er selbst den Verein von 1979 bis 1985 und 1987 bis 1993 gemanagt hatte. Die erste Bekanntschaft mit unverständigen Funktionären hatte „Bimbo“ Binder bereits als junger Spieler nach seinem ersten Jahr 1930/31 gemacht, nach dem er wieder heimgeschickt wurde. Er war schon wieder zuhause in St. Pölten und war im Begriff, wieder für seinen Jugendverein Sturm 19 zu spielen zu beginnen, als ihn Rapid-Trainer Edi Bauer persönlich abholte und wieder zurückbrachte, nachdem er in Hütteldorf einen Aufstand gemacht hatte.

In kollektiver Erinnerung ist „Bimbo“ Binder als Stürmerstar verankert, vor allem dank seiner Tore im Endspiel um die deutsche Meisterschaft 1941 (ein Hattrick beim 4:3 nach 0:3 gegen Schalke 04), aber auch durch die Anekdote des von ihm beim Torschuß zerfetzten Tornetzes (es geschah am 30. April 1939 in München gegen den FC Bayern). Dieses Buch rückt verdienstvollerweise sein Wirken als Trainer ebenso in den Fokus. Wie erwähnt verliefen seine Trainerzeiten bei Rapid erfolgreich, aber endeten jeweils unschön. Dazwischen coachte Binder von 1954 bis 1960 den 1. FC Nürnberg, mit dem er 1957 die süddeutsche Oberliga gewann und zweimal die Endrunde um die deutsche Meisterschaft erreichte. Mit seinen sechs Jahren ist er dort bis heute der Trainer mit der längsten Amtszeit. Danach folgten 1960 bis 1962 zwei Jahre bei PSV Eindhoven in den Niederlanden (mit einem Punkt Rückstand Tabellenzweiter 1962). 1969/70 trainierte er eine Saison 1860 München in der deutschen Bundesliga. Mitsamt den Erfolgen bei Rapid eine Visitenkarte auch als Trainer. Er dürfte auch ein ausgefuchster sportlicher Leiter gewesen sein. Die Geschichte, wie er den jungen Simmeringer Gustl Starek, der als Testspieler schon im Austria-Trainingslager war, dort besuchte und zu Rapid brachte, ist legendär.

Der Ort seiner Triumphe, der Ort, wo „Bimbo“ Binder sein Leben verbrachte, war die Pfarrwiese in Hütteldorf. Nachdem Rapid 1977/78 ins neue Weststadion (später Hanappi-Stadion) gezogen war, diente das ehrwürdige alte Stadion dem Nachwuchs. Bis 1981 die Bulldozer kamen und siebzig Jahre Tradition dem Erdboden gleichmachten, um Platz für eine Autobahn zu machen − die nach einer ablehnenden Volksbefragung nie gebaut wurde. „Mit Tränen in den Augen stand mein Vater ,Bimbo Binder am alten Zaun und beobachtete gemeinsam mit alten, treuen Rapid-Anhängern die Planierung und Zerstörung ihres so geliebten Platzes. Als letztes Andenken an die Pfarrwiese steckten sie sich noch schnell einen Holzsplitter der Tribüne in die Tasche.“ berichtet Binder jr. von einem traurigen Tag.

Im Statistikanhang werden zwei Spiele Binders im März und April 1930 angeführt. Nachdem dies vor seinem Engagement bei Rapid war, nehme ich an, daß dies Matches bei seinem Jugendverein Sturm 19 St. Pölten waren, wo laut Binder jr. ansonsten Aufzeichnungen fehlen.

Sieben Honoratioren-Vorworte sind im übrigen schon ein bisserl viel, auch wenn die Herren zur Finanzierung des Buchs beigetragen haben. Leider werden dabei in zwei Beiträgen Mythen wiederholt, die spätestens seit der vorbildlichen Aufarbeitung der Geschichte Rapids in der NS-Zeit als überholt zu betrachten sind.
Die Binder-Biographie ist trotz erkennbar akribischer Arbeit keine wissenschaftliche Studie. Abseits der persönlichen Geschichte „Bimbo“ Binders gibt Franz Binder jr. an manchen Stellen gerade im Bezug auf die Nazizeit leider tradierte Erzählungen wieder, auch wenn diese nicht den Fakten entsprechen. Daß Matthias Sindelar sein Kaffeehaus 1938 „von seinem jüdischen Freund zum marktüblichen Preis erworben hatte“ ist falsch und widerlegt, der vorherige Besitzer wurde Opfer einer „Arisierung“. Der Sieg Rapids in der deutschen Meisterschaft 1941 war und bleibt ein großer sportlicher Erfolg. Auch wenn dies die populäre Nachkriegserzählung war, die Version „In Wahrheit aber war es ein Kampf des kleinen annektierten Österreichs gegen das ,großdeutsche Reich.“ ist eine nach 1945 kultivierte Version retrospektiven Widerstands gegen das Naziregime, die falsch und nicht haltbar ist. Dies wurde zum 70. Jahrestag in einem von Rapid mitveranstalteten Symposion zum Fußball unterm Hakenkreuz, mit Franz Binder jr. im interessierten Publikum, aufgearbeitet.
Den weiteren Geschichtsmythos, den das Spiel umrankt, daß es strafweise Einberufungen in die Wehrmacht gegeben hätte (ebenso widerlegt), erwähnt Binder jr. korrekt in seinem Buch nicht, sondern schreibt richtigerweise, daß bei allen Mannschaften die Spieler entweder schon eingerückt waren oder jetzt drankamen (wie auch schon teils textgleich in seinem 1993 erschienen Buch Sportklub Rapid. Die „unendliche“ grün-weiße Geschichte).

Kurz nach den Feiern zum 90-jährigen Jubiläum Rapids starb „Bimbo“ Binder im April 1989. In Binders Geburtsstadt St. Pölten wurde die Straße, an der die Landessportschule und der Sitz des Niederösterreichischen Fußballverbands liegen und das in Bau befindliche neue Stadion liegen wird, Bimbo-Binder-Promenade benannt.

Franz Binder jr. setzt seinem Vater mit dieser umfangreichen Biographie ein verdientes und würdiges Denkmal zu dessen 100. Geburtstag.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen