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Donnerstag, 17. März 2011
Grün-weiß unterm Hakenkreuz
Rezension
Jakob Rosenberg / Georg Spitaler
unter Mitarb.v. Domenico Jacono u. Gerald Pichler
Grün-weiß unterm Hakenkreuz
Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938−1945)
Hg.v. SK Rapid u. DÖW
Wien 2011
303 S.
Als erster österreichischer Bundesligaverein ließ der SK Rapid unter Präsident Rudolf Edlinger seine Geschichte in der Nazizeit kritisch aufarbeiten. Dafür Respekt und Anerkennung! Ausgegangen war die Initiative von den Autoren Jakob Rosenberg und Georg Spitaler, die anläßlich des Jubiläumsspiels gegen Schalke 04 im Jahr 2009 auf das Fehlen einer solchen Auseinandersetzung aufmerksam gemacht hatten.
Ein äußerst verdienstvolles Buch, das aufgrund akribischer Recherche mit Halbwahrheiten aufräumt, Mythen richtigstellt und Vergessenes wieder zu Tage fördert. Darüber, daß der Rapid-Namensgeber, Wilhelm Goldschmidt, 1942 deportiert und ermordet wurde, hatte schon Domenico Jacono in seinem Artikel über Rapid und das Judentum vor 1938 im Ballesterer 49 im Februar 2010 informiert. Nicht nur der damalige Klubsekretär Goldschmidt hatte aus einer jüdischen Familie gestammt, sondern auch weitere Funktionäre; mit Hans Fischer und Leo Deutsch in den 1920er Jahren sogar zwei Präsidenten. Dies alles wurde in der nachfolgenden Zeit erst unter den Tisch gekehrt und dann „vergessen“.
Neben Opfern (mit Flügelstürmer Fritz Dünmann wurde zumindest ein weiterer Rapidler ermordet), gab es auch Täter wie den Folterer Fritz Durlach. Während sich die Vereinsführung 1938 dem neuen Regime bald und erfolgreich anpaßte und die Hälfte des Vorstands der NSDAP beitrat, fanden die Forscher kein einziges Parteimitglied bei den Spielern. Der Verein Rapid fügte sich in das NS-Regime ein, war nicht übereifrig, aber auch nicht widerständig. Geschichten wie der Operation am gesunden Blinddarm, der sich zumindest Franz „Bimbo“ Binder unterzog, um einem Kriegseinsatz in der Sowjetunion zu entgehen und nach Frankreich geschickt zu werden, demonstrieren den Wahnsinn des Krieges. Gerüchte über eine Bestrafungsaktion durch Einberufung zur Wehrmacht für die großdeutsche Meistermannschaft 1941 scheinen früh aufgetaucht zu sein, haben aber keine Grundlage.
Die „institutionelle“ Rapid wird in diesem Buch gut aufgearbeitet. Die Korrespondenz von Spielern und Verein mit dem deutschen Reichstrainer Sepp Herberger ist etwa interessant zu lesen. Was wohl aufgrund des Mangels an Quellen vergleichsweise wenig vorkommt, ist die Dimension der Rapid-Fans. Über die anti-deutsche Stimmung und Ausschreitungen bei den Spielen der Rapid gegen Fürth und der Admira gegen Schalke 1940 wird berichtet. Auch darüber, daß der Fußballplatz ein vergleichsweise offener Ort angesichts der ringsum verbreiteten Denunziationen war.
Die Studie ist ein Meilenstein und sollte der Anstoß zu ähnlichen Projekten bei weiteren österreichischen Vereinen sein.
Fußballkultur lebt von Tradition und Tradition bedingt, seine Geschichte zu kennen.
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