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Donnerstag, 14. Januar 2010

Die Fußball-Matrix



Rezension


Christoph Biermann
Die Fußball-Matrix
Auf der Suche nach dem perfekten Spiel
Köln 2009 (Kiepenheuer & Witsch)
255 S.





Christoph Biermann nimmt die "Suche nach dem perfekten Spiel" ernst und fußt sein Buch auf gründlicher Recherche sowie den Erfahrungen und Ansätzen von vielerlei Gesprächspartnern. Vom "Milan Lab" bis zu professionellen Wettern. Angleitet von US-amerikanischen Beispielen führt er zunächst vor Augen, wie die technische Entwicklung den Profifußball bereits prägt. "Videoanalyse und Videoschulung verändern den Fußball nachhaltig. Das Bewusstsein dafür, was richtiges und was falsches Verhalten auf dem Platz ist, wird den Spielern durch die Bilder deutlicher. Und es verstärkt den Stil, dass die meisten Mannschaften inzwischen defensiv gut organisiert sind und gut umschalten". Er nennt dabei auch Fußball-Computerspiele, die Erfahrungswelt und Wahrnehmung des Spiels beeinflussen. Da ich von Computerspielen nicht die leiseste Ahnung habe, war ich schon sehr erstaunt, als ich kürzlich zuschauen konnte, wie mehrere Leute ein solches Fußballspiel am Bildschirm gegeneinander ausgetragen haben. Hatte keine Vorstellung davon, wie und was das ist. Den Reiz verstanden hab' ich nicht, aber da dürfte ich wohl allein sein.

Eine zweite Ebene sind die Zahlen einer professionellen statistischen Spielanalyse, wie sie mittlerweile von verschiedenen Unternehmen für große Vereine erstellt oder von eigens angestellten Analytikern gemacht werden. "Ich glaube zwar nicht, dass man das ganze Spiel auf Zahlen reduzieren kann, aber sie geben dir eine bessere Sicht auf die Parameter, die wirklich wichtig sind", zitiert Biermann Arsène Wenger.

Den Fußball wissenschaftlich analysieren, um ihn auf empirischer Grundlage anstatt auf Instinkt und Trial and Error aufbauen zu können. Das ist Biermanns Anliegen. Hierbei fehlt es aber schon bei den physischen Grundlagen: "Noch immer gibt es keine gesicherten Standards, wie man Fußballprofis in einen optimalen körperlichen Zustand versetzt. Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Fußball seit neun Jahrzehnten ein Gegenstand der Sportwissenschaft ist. Doch selbst heute noch gibt es deutliche Unterschiede im Trainingszustand von Profiteams." Die Frage, ob holländisches Fußballtraining durch Fußballspielen, modische Gymnastikübungen oder doch das seit Jahrzehnten gepflogene Berg- und Waldlaufen die beste Fitness für den Fußball, die richtige Mischung aus Ausdauer und Spritzigkeit, verschafft, bleibt trotz Fortschritten in der Leistungsdiagnostik offen. "Um den Platz zu laufen ist eine gute Alternative, wenn der Trainer nicht coachen kann." läßt Biermann Guus Hiddinks Fitnesscoach Raymond Verheijen Konditionsarbeit mit dem Ball erklären: "Der Trainer ruft nicht 'Kämpf! Lauf! Hau dich rein!', wenn die Spieler in den letzten zehn Minuten nachlassen. Er gibt fußballspezifische Anweisungen: 'Umschalten! Press! Freilaufen! Draufgehen!' Er coacht nicht Motivation, sondern Fußball. Aber dazu muss man das Spiel lesen können, und dazu sind nur wenige Trainer in der Lage." Klingt zugegebenermaßen überzeugend. Auch wenn die Physis nicht alleine Spiele entscheidet, ein wichtiger Baustein ist sie jedenfalls..

In Fragen der Taktik gibt es Biermann zufolge "inzwischen so etwas wie eine Generaltaktik fürs erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Sie besteht darin, die eigene Offensive ausschließlich von der Defensive aus zu denken. Man versucht, dem Gegner bei dessen Spielaufbau den Ball abzuluchsen und ihn dann auszukontern." Auch wenn es nicht so ist wie beim Schach, wo es ausgefeilte Theorien des Spiels gibt. Am Beispiel der norwegischen Nationalmannschaft der 1990er Jahre zeigt Biermann wie die Theorie falsch sein, aber trotzdem die Praxis stimmen kann.

Wo die Zukunft des Profifußballs liegt, da ist sich Biermann sicher: "Die inzwischen auf breiter Basis durchgesetzte Videoanalyse hat das Bewusstsein der Spieler für das eigene Tun verschärft. Die Digitalisierung, die Möglichkeit von Statistikanalyse und die Wahrscheinlichkeitsrechnung mit den Daten werden die Entwicklung des Spiels stark beeinflussen. Sie sind Teil einer längst noch nicht abgeschlossenen Entwicklung im Fußball, bei der sich das Spiel von einem der Meinungen in eines des Wissens verändert."
Doch trotz aller Annäherung an das perfekte Spiel wird die Suche danach nicht aufhören. "Fußball bleibt auch unter den Bedingungen von Wissenschaft und Digitalisierung ein System mit der Neigung zu Instabilität und Chaos. Das muss man aushalten können, wie im wahren Leben."

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