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Donnerstag, 11. Dezember 2008
11 Freunde, 85
Rezension
11 Freunde
Magazin für Fußball-Kultur
Nr.85, Dezember 2008
114 S.
Die 11 Freunde versuchen mit ihrem Titelthema Aufmerksamkeit zu erregen. Philipp Köster schreibt dagegen an, daß die Fankurven durch die Ultràbewegung zu "gut dedrillten Männerchören" verkommen, deren Choreographien "oft so kreativ wie nordkoreanische Feierlichkeiten" seien, die, aufgrund des "merkwürdigen Ideals" des 90-minütigen Dauersupports, unabhängig vom Spielverlauf ihr Programm herunterspulen und sich dabei "polemisch formuliert, nur ausnahmsweise und höchst ungern von Toren unterbrechen" lassen. "Merkwürdige Rituale, kindische Diebstähle" und die modische Uniformierung im "Autonomen-Chic, der derzeit in den Szenen grassiert" als Zeichen des "Rückzugs aus den offenen Strukturen des Fanblocks" stellt er einer vergangenen Zeit gegenüber, wo noch "Wildheit, Anarchie, Spontaneität" im Fansektor herrschten und "spontane Zwischenrufe" noch eine Chancen hatten.
Als exemplarischer "deprimierender Abend" gilt ihm ein Spiel in der deutschen 2. Bundesliga zwischen Nürnberg und Duisburg, wo die Ultras Nürnberg als Protest gegen fanfeindliche Anstoßzeiten erst 20 Minuten lang still waren und dann laut Köster "bis zum Abpfiff eine einschläfernde Endlosmelodie" sangen.
So differieren die Sichtweisen. Im Block West Echo neu Nr. 3 der Ultras Rapid war zeitgleich ein Bericht der Nürnberger Ultras über ihre Aktion, der ein anderes Bild vermittelt - wenngleich dieses natürlich alles andere als unparteiisch war: der Protest habe über ihre Gruppe hinaus im Stadion Unterstützung gefunden. The truth is out there.
Selbstverständlich sind wir Fans da, um unsere Mannschaft zu unterstützen. Aber genauso selbstverständlich hat das Individuum und hat die Gruppe das Recht gegen was auch immer zu protestieren. Haglich wird's einzig dann, wenn andere zu etwas gezwungen würden, was sie nicht wollen.
Niemand hat das Recht, daß andere singen. Und ich singe dann mit, wann ich will, und nur das mit, was ich will. Mit Koordination und Vorsänger hab' ich da kein Problem. Ich bin zwar wohl durchaus leidenschaftlicher und verrückter Fan, aber alles andere als ein Ultra. Muß ich auch nicht sein. Drum sitze ich bei Heimspielen auf der Längsseite und steh und supporte ausgiebiger im Gästesektor bei den Auswärtsspielen. Ich find' es gut und wichtig, wenn das ganze Spiel über - und auch wenn wir mal hinten sind - Stimmung ist. Ich find' es schlecht, wenn 10 Minuten lang etwas Fades gesungen wird, wenn wir schlecht spielen anstatt 'was Aufrüttelndes. Ich find' es großartig, wenn's was zu feiern gibt und der mitreißende minutenlange Endlosgesang immer lauter wird. Ich für meinen Teil mach dabei sowieso immer nur das, was ich will und mir taugt.
Die gewollte Provokation mit dieser Titelgeschichte ist wohl nur zum Teil aufgegangen. Am besten finde ich eine, von 11 Freunde selbst auf ihre Homepage gestellte Reaktion eines St.-Pauli-Fans:
"So ist denn die Anmerkung weiter oben in diesem Thread, dass alte Männer über etwas schreiben, woran sie sich seit Jahren nicht mehr beteiligen, nicht gänzlich falsch. Es geht aber noch weiter. Diese Männer blicken melancholisch auf eine Zeit zurück, die ihre Jugend war, die sie natürlich als die geilste aller Zeiten sehen. Alles war super, der Support im Stadion der beste, den es je gab etc. pp. Sie überhöhen das Damals gegenüber dem Heute. Sie suchen einen Schuldigen für den Verlust dessen, was sie erlebt haben. Der Schuldige ist der Ultra, der so alles anders macht und damit für die Zerstörung des Damals verantwortlich ist. Dabei war das Damals schon kaputt, bevor die Ultras kamen. Die Jugend geht von alleine vorbei, die Zeiten ändern sich, und so ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis sich die Rollen abermals verschieben und es die heutigen Ultras sind, die über den Support in der Kurve meckern, weil die Jugend nicht mehr weiss, wie es richtig geht."
Der Reflex "früher war alles besser" ist ja nicht neu. Schon Ovid hat seinerzeit vom goldenen Zeitalter, das früher war, geschwärmt - "Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo, / sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat."
Köster sieht den "Autonomen-Chic" mit Kapuzenpulli als Uniformierung jenseits einer Vereinsidentität. Illustriert ist der Artikel im Heft u.a. mit Bildern von "Oldschool"-Fans in Kutten. Das war keine Uniformierung, wenn die Leute mit Jeansjacken mit Aufnähern überall gleich ausgeschaut haben? An anderer Stelle im Heft schreibt Dirk Gieselmann in seinem Artikel über den Co-Trainer von Werder Bremen, daß dessen Vokuhila-Frisur "viel mehr nach Fußball aussieht als die Feuchtfrisuren der neuen Generation". ManUnited-Fans der 60er Jahre haben sich dasselbe vielleicht in den 80er Jahren gedacht, als sich niemand mehr wie Bobby Charlton eine Handvoll langer Haare quer über die Glatze gekämmt hat. Nennen wir es einfach Mode.
Sonst gibt's im Heft noch Interessantes über die Mannschaft von Zaire bei der WM 1974 und ihre problematische Situation unter Diktator Mobutu (darüber war vor einiger Zeit auch im WSC zu lesen) oder das Meistercupduell zwischen Bayern München (BRD) und Dynamo Dresden (DDR) 1973 zu lesen.
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