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Mittwoch, 2. Mai 2007

Wie ich einmal vergaß, Schalke zu hassen


Rezension

Christoph Biermann

Wie ich einmal vergaß, Schalke zu hassen. Wahre Fußballgeschichten

Köln 2007 (Verlag Kiepenheuer & Witsch)
208 Seiten




In seinem neuen Buch schreibt Christoph Biermann gleich zu Beginn „Eigentlich ist es seltsam, dass es in der deutschen Sprache keinen Begriff für das gibt, was die Italiener calcio parlato nennen. Denn auch bei uns ist der gesprochene Fußball nicht minder wichtig als der auf dem Rasen gespielte. … Warum ging dieses Spiel verloren und wurde jenes gewonnen? Wer ist gerade der beste Spieler in welcher oder für welche Mannschaft? Oder wir diskutieren bis zur Erschöpfung die Zukunftsverläufe im Fußball, ob nur jene der zweiten Halbzeit eines Spiels oder die Aussichten für die kommende Partie, den Rest der Saison oder folgende Spielzeiten.“

Biermann ist mit seinen „wahren Fußballgeschichten“, wie der Untertitel lautet, ein weiteres Meisterwerk des geschriebenen Fußballs gelungen. Als solchen verstehe ich nicht nur die klassische Sportreportage, sondern vor allem die viel interessantere Fußball-Literatur. Da denke ich jetzt nicht an die adorierenswerten Romane von Balestrini, Hornby, McGinniss und Parks, sondern an die Fußball-Essayistik. Hier gibt es neben grandiosen Meisterwerken (Galeano, Marías) leider aber auch viel und immer mehr Blödsinn. Auch von guten Leuten, die wohl mit Leidenschaft über Fußball schreiben, es aber leider nicht schaffen. So schätze ich Franzobel als Autor, freue mich jedes mal über einen Artikel von ihm über Fußball und habe auch sein letztes Fußball-Buch blind gekauft – jedes Mal wieder lege ich ihn aber schließlich enttäuscht weg.

Biermann schafft es mit seiner bunten Textsammlung die Emotionen des Fußballs zu wecken. Er beschreibt Situationen, die man selbst ähnlich erlebt hat und in die man sich so gut hineinversetzen kann. Er bietet aber darüber hinaus noch wunderbare Geschichten aus der Welt des Sportjournalisten wie eine längere Beschäftigung mit der, noch Jahre nach dem Champions League Finale 1999 (oh, wie war das schön!), davon traumatisierten Gefühlswelt von Bayern-Trainer Hitzfeld.

Man stimmt mit Biermann nicht immer überein, ärgert sich auch ziemlich, wenn er etwa eine Hymne auf den Sportklub-Platz mit einem unnötigen Rapid-Verarschungslied abschließen zu müssen glaubt. Da fällt einem dann ein, dass er ja in seinem letzten Buch, der herrlich unterhaltsamen Faktensammlung „Fast alles über Fußball“, bei der Auflistung der Europacupfinal-Teilnahmen österreichischer Vereine doch glatt das glorios-chancenlose 1:3 von Rapid gegen Everton im Finale des leider abgeschafften Cupsieger-Cups 1985 vergessen hat. Aber böse ist man deswegen nicht, vielmehr denkt man daran, daß man sich die DVD des Finales von 1985 doch mal wieder anschauen könnte.

Besonders schätze ich sein Plädoyer für die Achtung vor gepflegter Defensive. César Luis Menotti hat mit seiner Theorie vom linken und rechten Fußball einen wichtigen Denkanstoß geliefert und wir alle lieben Fußball wegen „linker“ Offensivstürme und nicht wegen „rechten“ Ergebnisfußballs. Es ist aber ein Kardinalfehler, Verteidigung mit Zerstören, Schienbeintritten und Ball-ins-Aus-Schießen zu verwechseln. Die hohe Kunst der Verteidigung erfordert viel technische Finesse – darum sieht man sie so selten – und bringt außerhalb von Italien nur Desinteresse ein. Nie wird man sich in eine Mannschaft ihrer Verteidigungskünste allein wegen verlieben, doch Biermann spricht mir aus der Seele, wenn er schreibt:

„Es hat etwas Kontemplatives, italienischen Mannschaften in ihrem Bemühen zuzuschauen, das Spiel des Gegners zu unterbinden und den besten Stürmern der Welt keine Torchance zu geben. Und es gibt Tage, an denen mich das mit großer Zufriedenheit erfüllt. Dann finde ich es nicht hässlich, sondern die Idee beruhigend, ein Spiel nicht zu verlieren, statt es gewinnen zu müssen. Dann ist die Welt voller schützender Kräfte, die ihre ganzen spielerischen Fähigkeiten der großen Aufgabe unterordnen, kein Tor zu kassieren. Die all ihr Denken allein auf dieses Ziel ausrichten und dabei zu größten Verfeinerungen kommen. Dann erliege ich dem Zauber von Alessandro Nesta, möchte Fabio Cannavaro bejubeln oder Jaap Stam, die Wiedergeburt von Gerd Wiesemens aus dem Geist des 21. Jahrhunderts. Dann kann mir Menotti den Buckel runterrutschen, und ich schaue mir noch mal das Tackling von Frank de Boer gegen Ronaldo im Halbfinale der WM in Frankreich an. Gab es je ein besseres? Doch auch diese Tage gehen vorbei, und dann geht es doch wieder um jene, die mit dem Ball am schönsten tanzen.“

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